Rieser Nachrichten

Manchmal trügt der erste Blick

Japan ist ein fernes Land, doch finden viele seiner Künstler internatio­nal Beachtung. Eine Münchner Ausstellun­g zeigt aktuelle Arbeiten – darunter Werke aus besonderem Material

- VON CHRISTA SIGG

Trockenes Gras säumt einen Weg ins Nirgendwo. Mehrere Büschel haben Feuer gefangen, und es dürfte nicht mehr lange dauern, bis der graublaue Himmel von den Flammen erhellt wird. Ein Gemälde? Die Halme wirken wie aufgeklebt, die Funken könnten pastos mit Ölfarbe aufgetupft sein. Doch was sich hier ausbreitet, ist eine ziemlich imposante Fotografie.

Man fragt sich natürlich sofort, durch welche digitalen Mühlen dieses Lichtbild gedreht wurde. Aber Fehlanzeig­e. Die Japanerin Rinko Kawauchi macht das, was gute Fotografen tun: Sie wartet den richtigen Moment ab. Dann verwandelt sich ein Straßentun­nel in einen diamanteng­eschmückte­n Trichter, und ein sanfter schneebede­ckter Hügel wird zur Glaskuppel. Und das fügt sich fabelhaft in die Umgebung dieser Ausstellun­g, denn Kawauchis Arbeiten begegnen Glasobjekt­en. Sie gehören zum Kernprogra­mm der Münchner Alexander-TutsekStif­tung, die das Haus der Kunst nach dem Rückzug der Schörghube­r-Gruppe mit rund einer halben Million Euro jährlich unterstütz­t.

Die Stiftung hat ihren Sitz in der des 1933 verstorben­en Bildhauers Georg Albertshof­er an der Schwabinge­r Karl-Theodor-Straße. Die mag für Ausstellun­gsgänger nicht direkt auf dem Weg liegen, aber das hat auch wieder Vorteile. Denn man kann sich in Ruhe auf die Objekte konzentrie­ren, die in der lichten Atmosphäre des ehemaligen Ateliers gut zur Geltung kommen. Sowieso behagt das eher private Ambiente gerade der Glaskunst, die es in großen Museumssäl­en oft schwer hat. Besonders, wenn sie ohne oder mit wenig Farbe daherkommt.

Yuko Fujitsukas schmales Meditation­s-Haus aus formgeschm­olzenem Glas ist so ein schlichtes, fast unauffälli­ges Beispiel, das einmal wie ein präzise geschliffe­ner Eisblock, dann wie eine Arbeit aus massiven Kunststoff­platten anmutet. Der Clou? Es existiert nur ein einziges Fensterche­n, das den Blick auf winzige Schiffe freigibt. Ob und auf welchem Seelenflus­s sie dahingonde­ln, darf jeder mit sich selbst ausmachen.

Hier ist eben nicht alles glasklar. Das muss man sich vor den Werken ausschließ­lich japanische­r Künstler schnell eingestehe­n. Masahiro Sasaki etwa verkettet wirbelarti­ge Elemente zu bizarren, kaum fassbaren Formatione­n, die so fragil wirken, als würden sie im nächsten Moment in sich zusammenfa­llen („Tensei“). Und mehr noch gaukelt Yoshiaki Kojiros Arbeit „Be“ein weiches Stück Styropor, vielleicht auch eine dicke Matratze vor – und ist doch ein schwerer, harter Glasblock.

Genauso spielt Masayo Odahashi mit den klassische­n Eigenschaf­ten des Materials. Ihre in sich gekehrten Püppchen besitzen Terrakotta-artige Köpfe, Arme und Beine – die kleinen Risse an der Oberfläche tun ein Übriges. Nur das durchschei­Villa nende Kleid verrät ganz offen, dass hier Glas zum Einsatz kommt.

Diese Spannung zwischen transparen­ten und opaken Partien findet sich in den Landschaft­en Rinko Kawauchis wieder. Die 45-Jährige hat sich in ihrer Heimat Japan längst einen Namen gemacht, in Europa wird sie trotz Ausstellun­gen in Paris, London, Wien und übrigens auch 2010 im Kunstverei­n Augsburg noch als Geheimtipp gehandelt.

Doch das dürfte nicht lange so bleiben, zumal die Fotokünstl­erin über scheinbar einfache Sujets einen ganzen Kosmos antippt oder auf tief gehende, oft genug symbiotisc­he Beziehunge­n anspielt. Das eingangs beschriebe­ne Feuer, das in Kawauchis Serie „Ametsuchi“immer wieder auftaucht, rührt übrigens von der in Japan traditione­llen Brandrodun­g her. Die kann man so oder so sehen. O

„Lebenswelt – Life World“ist bis zum 20. Oktober in der Tutsek Stiftung in München zu sehen (Karl Theodor Straße 27). Öffnungs zeiten: Dienstag bis Freitag 14 bis 18 Uhr, feiertags geschlosse­n. Führungen gibt es am 3. August, 7. September und 5. Ok tober jeweils ab 16 Uhr.

 ?? Fotos: © Priska Pasquer; Gallery O 2/Tutsek Stiftung ?? Von wegen digitale Bildbearbe­itung: Rinko Kawauchi war ganz nah dran bei dieser Aufnahme, die eine Brandrodun­g zeigt.
Fotos: © Priska Pasquer; Gallery O 2/Tutsek Stiftung Von wegen digitale Bildbearbe­itung: Rinko Kawauchi war ganz nah dran bei dieser Aufnahme, die eine Brandrodun­g zeigt.
 ??  ?? Schaumstof­f? Matratze? Glas! „Be“hat Yoshiaki Kojiro seine Arbeit betitelt.
Schaumstof­f? Matratze? Glas! „Be“hat Yoshiaki Kojiro seine Arbeit betitelt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany