Rieser Nachrichten

Wähler der ersten Stunde

Im September stehen die Bundestags­wahlen an. Es gibt noch Nördlinger Bürger, die bereits bei der ersten Bundestags­wahl 1949 ihr Kreuz gemacht haben. Drei davon erinnern sich

- VON DENIS DWORATSCHE­K

Im ersten Moment ist es schwer zu glauben. Die 97-Jährige beugt sich nach vorne und berührt mit ihren Handfläche­n den Boden – als wäre es das Einfachste auf der Welt. Gleich daneben sitzt die eineiige Zwillingss­chwester und sagt: „Wir waren Turnerinne­n seit unserer Jugend.“

Antonia Wendt und Dorothea Näcke wohnen beide im Altenheim St. Vinzenz in Nördlingen, aber nicht auf demselben Stock. „Wir besuchen uns jeden Tag, zusammen wohnen könnten wir aber nicht“, sagt Wendt und muss laut lachen. Geboren wurden die Zwillinge am 9. April 1920 in Berlin. Ob sie denn in diesem Jahr zum Wählen gehen? „So lange ich hören und sehen kann, wähle ich“, erklärt Wendt. „Als deutscher Staatsbürg­er ist das doch selbstvers­tändlich, dass man zur Wahl geht“, ergänzt Dorothea Näcke. Immerhin haben sie beide eine Zeit erlebt, als Wahlen nicht möglich waren. „Unsere Eltern hatten uns damals vor Hitler gewarnt“, erinnert sich Wendt. Ihre erste Bundestags­wahl war erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1949.

Das war auch die erste Wahl von Friedrich Steinmeyer. Der 90-Jährige stammt aus Goldburgha­usen. Mit 14 wurde er Seemann auf einem Frachtschi­ff. Kurz vor Ende des Krieges versenkten die Engländer sein Schiff. Bis August 1945 diente er auf einem britischen Frachtschi­ff, danach kam er zurück in die Heimat und begann in Nördlingen eine Karriere bei der Eisenbahn.

Seit er zwölf ist, liest er die Zeitung. „Das war damals das A und O. Ich bin mehrmals in der Woche mit dem Fahrrad nach Aalen gefahren um sie zu holen“, erinnert sich Steinmeyer. Auch heute noch liest er jeden Tag die Zeitung – von hinten nach vorne. „Ohne sie käme ich nicht aus“, sagt der Rentner. Auch das politische Geschehen verfolge er täglich, oder wenn Bekannte zu Besuch kommen, dann redet er mit ihnen darüber. Zum Krawall des G 20-Gipfels hat er eine klare Meinung: „Großer Quatsch mit den Demonstran­ten.“Früher habe es Krieg gegeben und heute schlagen sich die Menschen im eigenen Land gegenseiti­g die Köpfe ein. Zur allgemeine­n Situation in Deutschlan­d sagt er: „Ich kann mich nicht beklagen.“Er sei zufrieden mit der politische­n Lage. Im September möchte er unbedingt wählen gehen. Dann aber im Wahllokal oder gar nicht. Die Briefwahl sei ihm „nicht koscher“. Bei wem er das Kreuz macht, weiß Steinmeyer schon, will es aber nicht verraten.

Die Zwillinge dagegen stehen öffentlich zu ihrer Haltung: „Die SPD, das machen wir schon immer.“Beide sind auf einem Auge blind, weswegen sie keine Zeitung mehr lesen können. „Wir schauen aber jeden Tag die Nachrichte­n im Fernsehen“, sagt Dorothea Näcke. Sie würden sich immer noch sehr für Politik interessie­ren. „Wir wollen wissen, was in der Welt geschieht“, ergänzt Antonia Wendt.

Friedrich Steinmeyer, der seit zwei Jahren im Altenheim wohnt, hofft, das es eine Wahlkabine im St. Vinzenz geben wird, da er schlecht zu Fuß unterwegs ist. Der Pflegedien­stleiter Andreas Hurler erklärt jedoch: „Wenn die Bewohner wählen gehen wollen, dann müssen sich ihre Betreuer darum kümmern.“Wie üblich würden die Senioren einen Brief erhalten. Das Altenheim kann und möchte keine eigene Wahlkabine aufstellen. „In ähnlichen Fällen gab es ja schon Vorwürfe des Wahlbetrug­s, das wollen wir vermeiden“, sagt Hurler. Am Ende gebe es ja die Möglichkei­t einer Briefwahl, falls die Bewohner nicht zur Wahlkabine kommen.

 ?? Foto: Denis Dworatsche­k ?? Die Schwestern Antonia Wendt (links) und Dorothea Näcke sprechen mit den Rieser Nachrichte­n über die Bundestags­wahlen 2017.
Foto: Denis Dworatsche­k Die Schwestern Antonia Wendt (links) und Dorothea Näcke sprechen mit den Rieser Nachrichte­n über die Bundestags­wahlen 2017.

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