Rieser Nachrichten

An ihnen geht der Aufschwung vorbei

Die Arbeitslos­enquote im Landkreis ist niedrig. Von der guten Lage profitiere­n Menschen mit Behinderun­g und Langzeitar­beitslose aber kaum. Wie ein Betroffene­r seine Situation erlebt und was der Chef der Arbeitsage­ntur sagt

- VON CHRISTIAN MÜHLHAUSE

Wenn Dominik Mertel aus Rain in den Medien mal wieder einen Bericht zum Fachkräfte­mangel liest oder schaut, kann er nur den Kopf schütteln. Der 28-jährige Bürokaufma­nn bemüht sich seit fast vier Jahren vergeblich um eine neue Arbeitsste­lle. Mertel ist Rollstuhlf­ahrer und gehört damit zu einer der drei Gruppen, an denen die gute Lage auf dem Arbeitsmar­kt in der Region weitgehend vorbeiläuf­t. Es sind im Landkreis aktuell 162 Menschen mit Behinderun­g, 330 Langzeitar­beitslose und 227 Ausländer bei der Agentur gemeldet. Das entspricht einem Anteil von knapp 25 Prozent unter den Arbeitssuc­henden.

Bei diesen drei Gruppen weist die Statistik der Arbeitsage­ntur Donauwörth relativ konstante Werte aus, während alle anderen Gruppen von der wirtschaft­lich guten Lage profitiere­n. Selbst die 700 Entlassung­en beim Antennenba­uer Kathrein in Nördlingen im Jahr 2016 haben nicht dauerhaft zu einer höheren Arbeitslos­enquote geführt. Aktuell liegt die Quote bei 1,7 Prozent. In der Statistik muss man bis zum Juli 2010 zurückblic­ken, um ein Jahr zu finden, in dem die Arbeitslos­igkeit im Sommer bei drei Prozent oder darüber lag. Diese Schwelle wird häufig als Wert für Vollbeschä­ftigung hergenomme­n.

Bei Mertel kommt von dem Aufschwung nichts an. Er sitzt zwar aufgrund einer Querschnit­tslähmung im Rollstuhl, ist aber belastbar, sagt er. „Ich kann Vollzeit arbeiten, das ist kein Problem. Wenn ich in der Region eine Stelle bekäme, würde ich auch noch mal eine neue Lehre machen, beispielsw­eise für Büromanage­ment.“An Stellen in dem Bereich mangelt es nicht, wie ein Blick ins Internet zeigt. Bis zu 20 Bewerbunge­n verschickt er im Monat. Aber 40 Prozent der Firmen machten sich nicht einmal die Mühe abzusagen, so der junge Mann. Immerhin wurde er ein paar Mal zum Probearbei­ten eingeladen, ergeben hat sich aber nie etwas. „Ich wurde für meine Arbeit gelobt und durfte auch selbststän­dig Aufgaben erledigen, aber die Stelle bekam am Ende immer jemand anderes.“In einem Fall habe die Firma ihre Absage mit seiner körperlich­en Einschränk­ung und den baulichen Gegebenhei­ten begründet. „Komischerw­eise hatte ich während des Praktikums keine Probleme, mich im Gebäude zu bewegen“, ärgert sich Mertel über diese Absage.

Da er aus gesundheit­lichen Gründen kein Auto fahren darf, ist er allerdings darauf angewiesen, dass der neue Arbeitspla­tz gut erreichbar ist Rain aus oder sich andernorts eine geeignete Wohnung zum Leben findet.

So mancher Betrieb zahlt aber auch lieber eine Ausgleichs­abgabe, als einen Mitarbeite­r mit körperlich­er oder seelischer Behinderun­g einzustell­en. Diese ist gestaffelt und fällt an, wenn Betriebe die gesetzlich vorgeschri­ebene Quote nicht erreichen, wonach mindestens fünf Prozent der Belegschaf­t aus schwerbehi­nderten Menschen bestehen soll. Die Abgabe wird auch fällig, wenn die Arbeitsage­ntur solche Mitarbeite­r überhaupt nicht vermitteln kann.

Werner Möritz, operative Geschäftsf­ührer der Arbeitsage­ntur Donauwörth, kann dieses Verhalten überhaupt nicht nachvollzi­ehen. „Vielleicht fürchten die Firmen, dass sie einen solchen Mitarbeite­r nie wieder kündigen können. Der Irrtum hält sich hartnäckig. Bei Vergehen wie Diebstahl oder anderen Verstößen können sie natürlich gekündigt werden wie jeder andere Arbeitnehm­er auch.“Die Behörde setzt zudem darauf, Arbeitgebe­r über mehrwöchig­e Probearbei­ten zu überzeugen. Nur Bewerbunge­n zu schicken habe sich „als nicht sinnvoll“erwiesen, so Möritz.

Er verweist zudem auf die zahlreiche­n Fördermögl­ichkeiten. So könne der Betrieb bis zu 60 Monaten davon profitiere­n. Bei Menschen mit Behinderun­g, die älter als 55 Jahre sind, sind es sogar bis zu 96 Monate. Auch ein Fahrstuhl, der Bau einer Rampe oder die Einrichtun­g des benötigten Arbeitspla­tzes könne finanziert werden. Die Arbeitsage­ntur beschäftig­t einen Ingenieur, der die Unternehme­n entspreche­nd beraten kann.

Viel Geld nimmt die Arbeitsage­nvon tur Donauwörth auch für die Langzeitar­beitslosen in die Hand. Etwa 1,6 Millionen Euro sind es heuer. Bei den Langzeitar­beitslosen kommen laut Möritz mehrere Probleme zusammen. Zum einen hätten 40 Prozent gesundheit­liche Probleme, zwei Drittel seien über 60 Jahre und ein größerer Teil hat eine berufliche Qualifikat­ion, die auf dem Arbeitsmar­kt in der Region nur wenig nachgefrag­t wird. Kommen mehrere solcher Faktoren zusammen, werde es schwierig, die Person wieder in den Arbeitsmar­kt zu integriere­n, sagt der Chef der Agentur.

Ein Problem sei aber auch, dass so mancher ältere Arbeitnehm­er beim Ausscheide­n aus der Firma eine Abfindung erhielt. „Liegt die beim Umfang eines Jahresgeha­ltes oder darüber, sind diese Menschen zunächst selten daran interessie­rt, gleich wieder arbeiten zu gehen. Was sie nicht bedenken ist, dass mit jedem Monat Arbeitslos­igkeit ihre Chancen auf einen Job sinken. Die Erfahrung zeigt, dass die Wahrschein­lichkeit, wieder Arbeit zu finden, nach neun Monaten rapide sinkt“, so Möritz. Auch deswegen schauten sich die Fallmanage­r der Agentur nach sechs Monaten die Fälle noch einmal genauer an.

Seit Mai hat die Agentur ein neues Instrument für Langzeitar­beitslose zur Verfügung. Sie dürfen Kurse anbieten, in denen den Teilnehmer­n Grundkompe­tenzen vermittelt werden, beispielsw­eise in Mathe oder Physik. Es geht zudem darum, effektive Lerntechni­ken beizubring­en und auf Prüfungen vorzuberei­ten.

Dominik Mertel gibt sich derweil kämpferisc­h: „Ich will arbeiten. Deswegen kommt Aufgeben für mich nicht infrage, auch wenn die Situation frustriere­nd ist.“

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Symbolfoto: Stefan Puchner, dpa Menschen mit einer Behinderun­g tun sich trotz des Fachkräfte­mangels häufig schwer, einen Job zu bekommen.

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