An ihnen geht der Aufschwung vorbei
Die Arbeitslosenquote im Landkreis ist niedrig. Von der guten Lage profitieren Menschen mit Behinderung und Langzeitarbeitslose aber kaum. Wie ein Betroffener seine Situation erlebt und was der Chef der Arbeitsagentur sagt
Wenn Dominik Mertel aus Rain in den Medien mal wieder einen Bericht zum Fachkräftemangel liest oder schaut, kann er nur den Kopf schütteln. Der 28-jährige Bürokaufmann bemüht sich seit fast vier Jahren vergeblich um eine neue Arbeitsstelle. Mertel ist Rollstuhlfahrer und gehört damit zu einer der drei Gruppen, an denen die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt in der Region weitgehend vorbeiläuft. Es sind im Landkreis aktuell 162 Menschen mit Behinderung, 330 Langzeitarbeitslose und 227 Ausländer bei der Agentur gemeldet. Das entspricht einem Anteil von knapp 25 Prozent unter den Arbeitssuchenden.
Bei diesen drei Gruppen weist die Statistik der Arbeitsagentur Donauwörth relativ konstante Werte aus, während alle anderen Gruppen von der wirtschaftlich guten Lage profitieren. Selbst die 700 Entlassungen beim Antennenbauer Kathrein in Nördlingen im Jahr 2016 haben nicht dauerhaft zu einer höheren Arbeitslosenquote geführt. Aktuell liegt die Quote bei 1,7 Prozent. In der Statistik muss man bis zum Juli 2010 zurückblicken, um ein Jahr zu finden, in dem die Arbeitslosigkeit im Sommer bei drei Prozent oder darüber lag. Diese Schwelle wird häufig als Wert für Vollbeschäftigung hergenommen.
Bei Mertel kommt von dem Aufschwung nichts an. Er sitzt zwar aufgrund einer Querschnittslähmung im Rollstuhl, ist aber belastbar, sagt er. „Ich kann Vollzeit arbeiten, das ist kein Problem. Wenn ich in der Region eine Stelle bekäme, würde ich auch noch mal eine neue Lehre machen, beispielsweise für Büromanagement.“An Stellen in dem Bereich mangelt es nicht, wie ein Blick ins Internet zeigt. Bis zu 20 Bewerbungen verschickt er im Monat. Aber 40 Prozent der Firmen machten sich nicht einmal die Mühe abzusagen, so der junge Mann. Immerhin wurde er ein paar Mal zum Probearbeiten eingeladen, ergeben hat sich aber nie etwas. „Ich wurde für meine Arbeit gelobt und durfte auch selbstständig Aufgaben erledigen, aber die Stelle bekam am Ende immer jemand anderes.“In einem Fall habe die Firma ihre Absage mit seiner körperlichen Einschränkung und den baulichen Gegebenheiten begründet. „Komischerweise hatte ich während des Praktikums keine Probleme, mich im Gebäude zu bewegen“, ärgert sich Mertel über diese Absage.
Da er aus gesundheitlichen Gründen kein Auto fahren darf, ist er allerdings darauf angewiesen, dass der neue Arbeitsplatz gut erreichbar ist Rain aus oder sich andernorts eine geeignete Wohnung zum Leben findet.
So mancher Betrieb zahlt aber auch lieber eine Ausgleichsabgabe, als einen Mitarbeiter mit körperlicher oder seelischer Behinderung einzustellen. Diese ist gestaffelt und fällt an, wenn Betriebe die gesetzlich vorgeschriebene Quote nicht erreichen, wonach mindestens fünf Prozent der Belegschaft aus schwerbehinderten Menschen bestehen soll. Die Abgabe wird auch fällig, wenn die Arbeitsagentur solche Mitarbeiter überhaupt nicht vermitteln kann.
Werner Möritz, operative Geschäftsführer der Arbeitsagentur Donauwörth, kann dieses Verhalten überhaupt nicht nachvollziehen. „Vielleicht fürchten die Firmen, dass sie einen solchen Mitarbeiter nie wieder kündigen können. Der Irrtum hält sich hartnäckig. Bei Vergehen wie Diebstahl oder anderen Verstößen können sie natürlich gekündigt werden wie jeder andere Arbeitnehmer auch.“Die Behörde setzt zudem darauf, Arbeitgeber über mehrwöchige Probearbeiten zu überzeugen. Nur Bewerbungen zu schicken habe sich „als nicht sinnvoll“erwiesen, so Möritz.
Er verweist zudem auf die zahlreichen Fördermöglichkeiten. So könne der Betrieb bis zu 60 Monaten davon profitieren. Bei Menschen mit Behinderung, die älter als 55 Jahre sind, sind es sogar bis zu 96 Monate. Auch ein Fahrstuhl, der Bau einer Rampe oder die Einrichtung des benötigten Arbeitsplatzes könne finanziert werden. Die Arbeitsagentur beschäftigt einen Ingenieur, der die Unternehmen entsprechend beraten kann.
Viel Geld nimmt die Arbeitsagenvon tur Donauwörth auch für die Langzeitarbeitslosen in die Hand. Etwa 1,6 Millionen Euro sind es heuer. Bei den Langzeitarbeitslosen kommen laut Möritz mehrere Probleme zusammen. Zum einen hätten 40 Prozent gesundheitliche Probleme, zwei Drittel seien über 60 Jahre und ein größerer Teil hat eine berufliche Qualifikation, die auf dem Arbeitsmarkt in der Region nur wenig nachgefragt wird. Kommen mehrere solcher Faktoren zusammen, werde es schwierig, die Person wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sagt der Chef der Agentur.
Ein Problem sei aber auch, dass so mancher ältere Arbeitnehmer beim Ausscheiden aus der Firma eine Abfindung erhielt. „Liegt die beim Umfang eines Jahresgehaltes oder darüber, sind diese Menschen zunächst selten daran interessiert, gleich wieder arbeiten zu gehen. Was sie nicht bedenken ist, dass mit jedem Monat Arbeitslosigkeit ihre Chancen auf einen Job sinken. Die Erfahrung zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, wieder Arbeit zu finden, nach neun Monaten rapide sinkt“, so Möritz. Auch deswegen schauten sich die Fallmanager der Agentur nach sechs Monaten die Fälle noch einmal genauer an.
Seit Mai hat die Agentur ein neues Instrument für Langzeitarbeitslose zur Verfügung. Sie dürfen Kurse anbieten, in denen den Teilnehmern Grundkompetenzen vermittelt werden, beispielsweise in Mathe oder Physik. Es geht zudem darum, effektive Lerntechniken beizubringen und auf Prüfungen vorzubereiten.
Dominik Mertel gibt sich derweil kämpferisch: „Ich will arbeiten. Deswegen kommt Aufgeben für mich nicht infrage, auch wenn die Situation frustrierend ist.“