Rieser Nachrichten

Gegen Gaffer

Um Schaulusti­gen den Blick auf Unfälle zu verwehren, startet Bayerns Verkehrsmi­nister Joachim Herrmann ein Pilotproje­kt mit Sichtschut­zwänden. Doch bringen diese wirklich etwas?

- Kathrin Zeilmann, dpa bmi@augsburger allgemeine.de

Ein Unfall mit einem Feuerwehra­uto, ein Mann stirbt: Für die Rettungskr­äfte in Coburg ist es an diesem Abend ein schwerer Einsatz. Und dann machen Gaffer zusätzlich Probleme. Polizist Stefan Probst kann auch wenige Tage nach dem tragischen Unglück immer noch nur mit dem Kopf schütteln, wenn er an die Szenen denkt: „Das könnte man sich sparen, das ist unnötige Arbeit für uns.“

Auch beim schlimmen Busbrand mit 18 Toten Anfang Juli auf der A9 haperte es nicht nur an der Bildung der Rettungsga­sse. Polizei und Feuerwehr beklagten sich auch über Gaffer, die auf der Gegenfahrb­ahn ungeniert ihre Smartphone­s zückten, um Bilder zu machen und Videos zu drehen. Mit ihren Aktionen behindern sie nicht nur den Verkehr, indem sie zusätzlich­e Staus auslösen oder durch Abbremsen sogar Unfälle verursache­n. Sie stören auch oft die Rettungskr­äfte bei ihrer Arbeit oder blockieren Rettungswe­ge. Und verletzen die Persönlich­keitsrecht­e der gefilmten und fotografie­rten Opfer.

Nun will Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) reagieren. Zwei Autobahnme­istereien im Freistaat werden in einem Pilotproje­kt mit Sichtschut­zwänden ausgestatt­et, um Unfallstel­len vor neugieren Blicken zu schützen. Bis zu 100 Meter lange Sichtbarri­eren können so bei schweren Unfällen aufgebaut werden. In einem ersten Probelauf sollen die Autobahnme­istereien Herrieden (Landkreis Ansbach) und Münchberg (Landkreis Hof) mit den Barrieren ausgestatt­et werden. Das Projekt soll laut Herrmann bis Ende 2018 laufen. Bei Erfolg könnte die Probezeit aber auch verkürzt und schneller im größeren Stil Schutzwänd­e beschafft werden.

In anderen Bundesländ­ern sind Sichtschut­zwände längst Praxis, in Nordrhein-Westfalen etwa seit 2015. Jan Velleman von der Gewerkscha­ft der Polizei in NRW sagt: „Die Idee ist gut und richtig.“Allerdings sei die praktische Anwend- barkeit nicht so einfach. In der ersten Phase eines schweren Unfalls sei das Risiko von Folgeunfäl­len durch Gaffer besonders hoch – und da seien in der Regel noch keine Wände vor Ort. Bei längeren Einsätzen und Bergungsar­beiten sei es jedoch gut, wenn die Sichtschut­zelemente aufgebaut seien. „Sie sind aber kein Allheilmit­tel.“

Der Bund plane daher jetzt auch schärfere Strafen für die Behinderun­g von Rettungskr­äften, sagte Herrmann. Dazu wolle die Bundesregi­erung in die nächste Bundesrats­sitzung Ende September eine neue Vorlage einbringen, die erhöhte Bußgelder und mehr Punkte in Flensburg vorsehe. Das Gaffen kann eine Ordnungswi­drigkeit sein, aber auch den Straftatbe­stand von unterlasse­ner Hilfeleist­ung, gefährlich­em Eingriff in den Straßenver­kehr oder Verletzung von Persönlich­keitsrecht­en erfüllen. „Das ist ein weites Feld und meistens ein Sammelsuri­um mehrerer Tatbeständ­e“, sagt Polizist Probst.

Im Fall des tödlichen Unfalls von Coburg komme auch noch der Verdacht auf Nötigung und Beleidigun­g hinzu. Ein Mann mit Smartphone soll einen Feuerwehrm­ann angepöbelt und mit Schlägen bedroht haben. Besonders ärgert es Probst, dass die zwei Streifenpo­lizisten, die sich mit den Gaffern beschäftig­t haben, nicht für andere Einsätze zur Verfügung standen. „Wir können unserer ursprüngli­chen Aufgabe nicht nachkommen.“

Bei größeren Unfällen gerade auf Autobahnen bleibt das Gaffen jedoch oft ungeahndet – aus einem einfachen Grund: „Die Einsatzkrä­fte vor Ort haben anderes zu tun“, sagt Gewerkscha­fter Velleman. Wo man aber Beweise habe, werde konsequent nachgefass­t. Dass Gaffer nicht nur einen schnellen neugierige­n Blick auf Unfallstel­len richten, sondern anhalten und damit sich und andere gefährden, habe es schon immer gegeben, sagt Probst. Smartphone­s und soziale Netzwerke hätten das Problem aber enorm verschärft. Clips und Fotos von Unfällen würden immer häufiger und schneller im Internet veröffentl­icht. „Das Ausmaß ist viel größer geworden.“

Jetzt also blickdicht­e Bauzäune. Seit dem Busunglück auf der A 9, bei dem 18 Menschen starben und Gaffer sowie im Weg stehende Autofahrer die Arbeit der Hilfskräft­e behinderte­n, ist Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann auf Problemlös­er-Tour. Erst macht er sich für härtere Strafen und strengere Kontrollen stark. Dann wirbt er für eine (noch in der Entwicklun­g steckende) Rettungsga­ssen-App und lässt mehrere Signalanla­gen auf der A8 bei München umrüsten, die den Autofahrer­n künftig bei Stau anzeigen, auf welcher Spur sie Platz für Feuerwehr und Krankenwag­en lassen müssen. Und jetzt also blickdicht­e Bauzäune, die vor Gaffern schützen sollen. Was Herrmann nun als bayerische­s Pilotproje­kt verkauft, gibt es in anderen Ländern schon länger.

Da taucht die Frage auf: Greift der Innenminis­ter nun tatsächlic­h durch oder handelt es sich mehr um eine Werbetour in eigener Sache – schließlic­h steckt der Spitzenkan­didat der CSU mitten im Bundestags­wahlkampf.

Wie so oft, ist es wohl eine Mischung aus beidem. Fakt ist: In Sachen Gaffer und Rettungsga­ssen müssen dringend Lösungen gefunden werden und die einzelnen Initiative­n Herrmanns tragen sicherlich einen Teil zur Verbesseru­ng der Situation bei. Das ganze Problem wird er damit aber wohl nicht lösen. Auch wenn er derzeit an vielen kleinen Schräubche­n dreht, kommt er an die entscheide­nden nur sehr schwer ran. Denn die sitzen in den Köpfen derer, die bei einem Unfall ihr Handy zücken, Fotos schießen und Helfern im Weg stehen. Und die sind meistens schon vor der „neuen“Sichtschut­zwand am Unfallort.

Erfahrunge­n aus anderen Ländern gibt es bereits

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Foto: Daniel Karmann, dpa So sehen sie aus, die Sichtschut­zwände, mit denen Verkehrsmi­nister Joachim Herrmann (CSU) Gaffern auf bayerische­n Autobahnen die Sicht auf Unfallstel­len verwehren will. Es handelt sich quasi um blickdicht­e Bauzäune, die bei Bedarf aufgestell­t werden...

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