Die Sonne scheint – aber es ist nichts wie zuvor
Ulla Hönig aus Rain lebt seit elf Jahren in Spanien. Der Terroranschlag geschieht unmittelbar in ihrer Nähe. Die Nördlingerin Susanne Moll zieht am Sonntag nach Barcelona. Die Frauen erzählen, wie sie die vergangenen Tage erlebten
Nördlingen/Barcelona „Das ist ein absolut seltsames, unwirkliches Gefühl: aufzuwachen, die Sonne scheint und trotzdem ist nichts mehr so wie zuvor.“Ulla Hönig sitzt in ihrer Wohnung in der Calle Carmen, einer Straße im Zentrum Barcelonas, sieht aus dem Fenster und kann nicht glauben, was am Abend zuvor passiert ist. Es ist Freitag Vormittag. Hinter der 41-Jährigen, die aus Rain stammt und seit elf Jahren in Spanien lebt, liegt eine kurze Nacht. Sie hat nur wenig Schlaf gefunden, dann hat die Realität sie wieder eingeholt. Eine Realität, die sie fassungslos und unglaublich traurig macht.
Nur etwa 17 Stunden zuvor hat ein Attentat grausam in den Alltag der spanischen Metropole eingegriffen. Ein weißer Transporter ist auf der 1,2 Kilometer langen Pracht- und Einkaufsmeile La Rambla in die flanierenden Menschenmengen gerast, hat mindestens 14 ahnungslose Einheimische und Urlauber getötet und bis zu 100 verletzt.
Ulla Hönig ist körperlich wohlauf, was sie vielleicht nur einem glücklichen Umstand verdankt, denn sie hielt sich just zur Zeit des Anschlags in der Rambla auf – in unmittelbarer Nähe des Terrors. „Ich hab einen Schutzengel gehabt“, ist sie im Gespräch mit unserer Zeitung überzeugt. „Wäre ich wenige Minuten früher dran gewesen, hätte ich mich genau dort aufgehalten, wo es passiert ist.“
Ulla Hönig hat an diesem Donnerstag zunächst bis gegen 16.45 Uhr an ihrer Arbeitsstelle, einem Restaurant in der Rambla (zu deutsch: Allee), gearbeitet. Zu Fuß macht sie sich nach Dienstschluss auf den Heimweg in die Calle Carmen, die nicht weit davon entfernt liegt – direkt an der Rambla. Wie eine dicke Ader zieht sich die Rambla im Herzen Barcelonas von der Placa de Catalunya bis zum alten Hafen Barcelonas. Eine pulsierende Ader voller Menschen, voller Leben.
Ulla Hönig geht nicht auf direktem Weg in ihre Wohngemeinschaft. Spontan macht sie noch an einem Geschäft halt, sieht sich dort um und bleibt dort für die Dauer von wenigen Minuten. Dann setzt sie ihren Heimweg fort. Sie will nach Hause, sich um die Hunde in ihrer WG kümmern. Im Rückblick vermutet sie, dass diese Minuten wohl die entscheidenden waren. Denn ohne diese Verzögerung wäre sie mit großer Wahrscheinlichkeit genau in jenem Bereich gewesen, wo die Attentäter zugeschlagen haben.
Plötzlich kommen Scharen von Menschen auf sie zu gerannt. Passanten, die eben noch in Straßencafés ge- waren, die Museen besucht oder durch die Stadt gebummelt waren, rennen in heller Aufregung um ihr Leben. „Sie haben alle geschrien und waren komplett hysterisch“, beschreibt die 41-Jährige. „Ich hab zu jemandem gesagt: Ich will aber dorthin, in die andere Richtung. Der hat mir dann geantwortet: Glaub mir, das willst du nicht.“
Ulla Hönig hat in diesem Moment keine Ahnung, was eigentlich los ist, aber sie folgt instinktiv den fliehenden Menschen. „Wir rannten einfach weiter, aber die meisten wussten gar nicht, wovor sie weglaufen, wodurch Gefahr droht und wo man vor dieser unbekannten Gefahr in Sicherheit ist.“Viele suchen Schutz in Läden, verkriechen sich in Kellern wie in Bunkern. Geschäfte lassen ihre Rollläden herunter, schotten sich ab. Überall sieht Ulla Hönig dann auch Polizei und Absperrungen. „Wir wollten raus aus dem Zentrum. Aber wohin eigentlich? Es ging auch keine Metro mehr. Wir waren praktisch im Zentrum eingesperrt. Viele von uns hatten Todesangst.“
Ulla Hönig findet schließlich zusessen sammen mit weiteren Menschen Zuflucht in jenem Restaurant, in dem sie auch arbeitet. Dort hat sie ein Funknetz für ihr Handy und kann nun im Internet nach Informationen darüber suchen, was sich in Barcelona in diesen Augenblicken abspielt.
Bis gegen 19 Uhr harrt sie im Lokal aus, versorgt sich immer wieder mit neuem Kenntnisstand, ohne zu wissen, dass auch falsche Informationen im Umlauf sind. „Man wusste einfach nicht wirklich, was los ist.“Sie telefoniert mit ihrer Schwester in Rain, die an diesem Abend ihren Sohn mit drei Freunden zum Flughafen nach München bringt – mit dem Urlaubsziel Barcelona. Ulla Hönig beruhigt ihre Schwester, dass sie in Sicherheit ist und postet auf Facebook für Freunde und Familie, die sich um sie sorgen ein „safe“– sicher. Dann will sie nicht länger warten. „Der einzige Punkt, an dem ich mich sicher fühlte, war meine Wohnung“, sagt Ulla Hönig. Rund eineinhalb Stunden dauert ihr Heimweg, für den sie normalerweise ein paar Minuten braucht. Denn um auf Nummer sicher zu gehen, läuft sie in einem weiten Umkreis um den Schauplatz des Attentats herum. „Es war totenstill“, beschreibt sie die Szenerie. „Ganz viele Leute waren unterwegs, aber niemand hat gesprochen.“
Was Ulla Hönig hautnah erlebt hat, erfahren Susanne Moll und Lukas Edler aus der Distanz. Schon am Sonntag aber wird das Paar ein Teil der Stadt sein, die zu einem weiteren Ziel des Terrors geworden ist. Ein neuer Lebensabschnitt steht bevor: Sie ziehen um in eine Wohnung, die gerade mal eine Minute von La Rambla entfernt ist. Die 25-jährige Nördlingerin und ihr Freund aus Schrobenhausen werden in Barcelona studieren und arbeiten. Die Wohnung haben sie sich Ende Juli ausgesucht. Und jetzt ist da dieses seltsame Gefühl in ihr, nach den Anschlägen in Spanien, erzählt Susanne Moll weiter. „Natürlich waren wir sehr geschockt“, sagt sie. Einige Freunde und Familienmitglieder waren es ebenfalls, denn sie dachten, das Paar hätte den Umzug schon hinter sich und befände sich im Herzen der Stadt, genau wie Ulla Hönig. „Wir haben viele Nachrichten von Freunden und Familie bekommen. Sie fragten, ob es uns denn gut geht“, sagt die 25-Jährige weiter. Doch auch wenn die Anschläge noch so verheerend waren, vor ihrem Umzug schreckt es sie nicht zurück. Sie erzählt weiter, mit ruhiger Stimme. „Wir fahren ohne Angst da runter und freuen uns.“Durch den Schicksalsschlag fühlten sie sich der Stadt viel näher verbunden, als zuvor.