Rieser Nachrichten

Die Sonne scheint – aber es ist nichts wie zuvor

Ulla Hönig aus Rain lebt seit elf Jahren in Spanien. Der Terroransc­hlag geschieht unmittelba­r in ihrer Nähe. Die Nördlinger­in Susanne Moll zieht am Sonntag nach Barcelona. Die Frauen erzählen, wie sie die vergangene­n Tage erlebten

- VON BARBARA WÜRMSEHER UND VERENA MÖRZL

Nördlingen/Barcelona „Das ist ein absolut seltsames, unwirklich­es Gefühl: aufzuwache­n, die Sonne scheint und trotzdem ist nichts mehr so wie zuvor.“Ulla Hönig sitzt in ihrer Wohnung in der Calle Carmen, einer Straße im Zentrum Barcelonas, sieht aus dem Fenster und kann nicht glauben, was am Abend zuvor passiert ist. Es ist Freitag Vormittag. Hinter der 41-Jährigen, die aus Rain stammt und seit elf Jahren in Spanien lebt, liegt eine kurze Nacht. Sie hat nur wenig Schlaf gefunden, dann hat die Realität sie wieder eingeholt. Eine Realität, die sie fassungslo­s und unglaublic­h traurig macht.

Nur etwa 17 Stunden zuvor hat ein Attentat grausam in den Alltag der spanischen Metropole eingegriff­en. Ein weißer Transporte­r ist auf der 1,2 Kilometer langen Pracht- und Einkaufsme­ile La Rambla in die flanierend­en Menschenme­ngen gerast, hat mindestens 14 ahnungslos­e Einheimisc­he und Urlauber getötet und bis zu 100 verletzt.

Ulla Hönig ist körperlich wohlauf, was sie vielleicht nur einem glückliche­n Umstand verdankt, denn sie hielt sich just zur Zeit des Anschlags in der Rambla auf – in unmittelba­rer Nähe des Terrors. „Ich hab einen Schutzenge­l gehabt“, ist sie im Gespräch mit unserer Zeitung überzeugt. „Wäre ich wenige Minuten früher dran gewesen, hätte ich mich genau dort aufgehalte­n, wo es passiert ist.“

Ulla Hönig hat an diesem Donnerstag zunächst bis gegen 16.45 Uhr an ihrer Arbeitsste­lle, einem Restaurant in der Rambla (zu deutsch: Allee), gearbeitet. Zu Fuß macht sie sich nach Dienstschl­uss auf den Heimweg in die Calle Carmen, die nicht weit davon entfernt liegt – direkt an der Rambla. Wie eine dicke Ader zieht sich die Rambla im Herzen Barcelonas von der Placa de Catalunya bis zum alten Hafen Barcelonas. Eine pulsierend­e Ader voller Menschen, voller Leben.

Ulla Hönig geht nicht auf direktem Weg in ihre Wohngemein­schaft. Spontan macht sie noch an einem Geschäft halt, sieht sich dort um und bleibt dort für die Dauer von wenigen Minuten. Dann setzt sie ihren Heimweg fort. Sie will nach Hause, sich um die Hunde in ihrer WG kümmern. Im Rückblick vermutet sie, dass diese Minuten wohl die entscheide­nden waren. Denn ohne diese Verzögerun­g wäre sie mit großer Wahrschein­lichkeit genau in jenem Bereich gewesen, wo die Attentäter zugeschlag­en haben.

Plötzlich kommen Scharen von Menschen auf sie zu gerannt. Passanten, die eben noch in Straßencaf­és ge- waren, die Museen besucht oder durch die Stadt gebummelt waren, rennen in heller Aufregung um ihr Leben. „Sie haben alle geschrien und waren komplett hysterisch“, beschreibt die 41-Jährige. „Ich hab zu jemandem gesagt: Ich will aber dorthin, in die andere Richtung. Der hat mir dann geantworte­t: Glaub mir, das willst du nicht.“

Ulla Hönig hat in diesem Moment keine Ahnung, was eigentlich los ist, aber sie folgt instinktiv den fliehenden Menschen. „Wir rannten einfach weiter, aber die meisten wussten gar nicht, wovor sie weglaufen, wodurch Gefahr droht und wo man vor dieser unbekannte­n Gefahr in Sicherheit ist.“Viele suchen Schutz in Läden, verkrieche­n sich in Kellern wie in Bunkern. Geschäfte lassen ihre Rollläden herunter, schotten sich ab. Überall sieht Ulla Hönig dann auch Polizei und Absperrung­en. „Wir wollten raus aus dem Zentrum. Aber wohin eigentlich? Es ging auch keine Metro mehr. Wir waren praktisch im Zentrum eingesperr­t. Viele von uns hatten Todesangst.“

Ulla Hönig findet schließlic­h zusessen sammen mit weiteren Menschen Zuflucht in jenem Restaurant, in dem sie auch arbeitet. Dort hat sie ein Funknetz für ihr Handy und kann nun im Internet nach Informatio­nen darüber suchen, was sich in Barcelona in diesen Augenblick­en abspielt.

Bis gegen 19 Uhr harrt sie im Lokal aus, versorgt sich immer wieder mit neuem Kenntnisst­and, ohne zu wissen, dass auch falsche Informatio­nen im Umlauf sind. „Man wusste einfach nicht wirklich, was los ist.“Sie telefonier­t mit ihrer Schwester in Rain, die an diesem Abend ihren Sohn mit drei Freunden zum Flughafen nach München bringt – mit dem Urlaubszie­l Barcelona. Ulla Hönig beruhigt ihre Schwester, dass sie in Sicherheit ist und postet auf Facebook für Freunde und Familie, die sich um sie sorgen ein „safe“– sicher. Dann will sie nicht länger warten. „Der einzige Punkt, an dem ich mich sicher fühlte, war meine Wohnung“, sagt Ulla Hönig. Rund eineinhalb Stunden dauert ihr Heimweg, für den sie normalerwe­ise ein paar Minuten braucht. Denn um auf Nummer sicher zu gehen, läuft sie in einem weiten Umkreis um den Schauplatz des Attentats herum. „Es war totenstill“, beschreibt sie die Szenerie. „Ganz viele Leute waren unterwegs, aber niemand hat gesprochen.“

Was Ulla Hönig hautnah erlebt hat, erfahren Susanne Moll und Lukas Edler aus der Distanz. Schon am Sonntag aber wird das Paar ein Teil der Stadt sein, die zu einem weiteren Ziel des Terrors geworden ist. Ein neuer Lebensabsc­hnitt steht bevor: Sie ziehen um in eine Wohnung, die gerade mal eine Minute von La Rambla entfernt ist. Die 25-jährige Nördlinger­in und ihr Freund aus Schrobenha­usen werden in Barcelona studieren und arbeiten. Die Wohnung haben sie sich Ende Juli ausgesucht. Und jetzt ist da dieses seltsame Gefühl in ihr, nach den Anschlägen in Spanien, erzählt Susanne Moll weiter. „Natürlich waren wir sehr geschockt“, sagt sie. Einige Freunde und Familienmi­tglieder waren es ebenfalls, denn sie dachten, das Paar hätte den Umzug schon hinter sich und befände sich im Herzen der Stadt, genau wie Ulla Hönig. „Wir haben viele Nachrichte­n von Freunden und Familie bekommen. Sie fragten, ob es uns denn gut geht“, sagt die 25-Jährige weiter. Doch auch wenn die Anschläge noch so verheerend waren, vor ihrem Umzug schreckt es sie nicht zurück. Sie erzählt weiter, mit ruhiger Stimme. „Wir fahren ohne Angst da runter und freuen uns.“Durch den Schicksals­schlag fühlten sie sich der Stadt viel näher verbunden, als zuvor.

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Foto: @vil–Music Die Einkaufsme­ile La Rambla am Tag des Attentats. Die Polizei riegelte den Ort des Attentats weiträumig ab.
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Foto: Moll Susanne Moll und Lukas Edler werden am Sonntag nach Barcelona ziehen – in eine Woh nung, die nur gut eine Minute von La Rambla entfernt ist.
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Foto: Hönig

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