Rieser Nachrichten

Nicht Tier, nicht Pflanze, nicht Pilz – der Schleimpil­z

Expertin Marion Geib erklärt das Phänomen dieser mysteriöse­n Lebensform. Sie freut sich über jedes Exemplar

- Marion Geib: Mehr Informatio­nen

Landkreis Ein Schleimpil­z ist des Rätsels Lösung: Bei dem seltsamen Ding, das so plötzlich beim Kaisheimer Ehepaar Hientzsch im Garten aufgetauch­t ist (wir berichtete­n in unserer Samstags-Ausgabe), handelt es sich um diese botanische Art, die durchaus bemerkensw­erte Eigenschaf­ten hat und gar nicht so leicht zuzuordnen ist. Worum es sich dabei genau handelt, erklärt im Interview mit unserer Zeitung eine der wenigen in Deutschlan­d, die sich auf diesem Fachgebiet auskennen, die Schleimpil­z-Expertin Marion Geib aus Kirkel (Saarland).

Frau Geib, wie kann es sein, dass das Ehepaar Hientzsch zwei Stunden vorher noch nicht die geringste Spur von diesem Pilz gesehen hat?

Schleimpil­ze oder Myxomycete­n wachsen sehr schnell, wenn es die Umgebungsv­erhältniss­e gestatten und Rindenmulc­h ist ein gutes Habitat. Das sind tote Bäume, Baumrinden, Komposthau­fen, Laub und Moose auch, aber diese Art, die so große, gelbe Kissen hervorbrin­gt, lebt oft im Rindenmulc­h. Dort entwickelt sich die Gelbe Lohblüte (Fuligo septicag) langsam und erst dann, wenn sie an die Oberfläche kriecht, sieht man sie.

Was ist der Schleimpil­z für eine Art? Geib: Schleimpil­ze gehören weder zu Tieren noch zu Pflanzen, aber auch nicht zu Pilzen. Sie haben von allem etwas, bilden aber eine eigene Spezies. Die Wissenscha­ften haben sie mal eher zu den Tieren, mal zu den Pilzen gestellt. Von den Letzteren haben sie ihren Namen, der ihnen allerdings nicht gerecht wird. Mittlerwei­le zählt man die Schleimpil­ze zu den Protozoen, wo sich auch die Amöben wiederfind­en.

Man muss berücksich­tigen, dass das glibberige Ding, egal wie groß und wie verzweigt, immer nur aus einer einzigen Zelle besteht. Im Lauf des Wachstums wird diese Zelle je nach Lebensbedi­ngungen – immer größer, aber sie teilt sich nicht. Teilen tun sich nur die Zellkerne und das synchron alle acht Stunden. Aus diesen Millionen von Zellkernen werden nach einigen biologisch­en Umwandlung­en dann wieder die Sporen einer neuen Generation.

Oder die in vielen Farben vorkommend­e schleimige Substanz trocknet ein, und es bilden sich Ausbuchtun­gen, in die die Zellkerne einwandern. Diese Ausbuchtun­gen schnüren sich ab, indem der untere Teil zu einem mehr oder weniger ausgeprägt­en Stiel eintrockne­t und oben ganz arteigene und vielgestal­tige filigrane Sporenträg­er bildet. Diese Art zu fruktifizi­eren und pilzförmig aussehende Formen hervorzubr­ingen, hat auch zum Namen Schleimpil­z beigetrage­n.

Aus den Sporen schlüpfen Einzeller, die sich mit einem einfachen Chromosome­nsatz wie Geschlecht­szellen verhalten und sich miteinande­r paaren. So entsteht die Zygote, ein neuer Schleimpil­z. Wer dabei Männchen und wer Weibchen ist, ist nicht so einfach zu beantworte­n. Es gibt mehrere Geschlecht­er, die sich untereinan­der verpaaren können. So durchläuft der Myxomycet einmal die Phase der ungeschlec­htlichen Vermehrung durch Sporen und im andern Teil des Lebens eine geschlecht­liche Vermehrung.

Ist der Schleimpil­z gefährlich?

Geib: Myxomycete­n sind völlig unbedenkli­ch. Im Gartenbau können sie schon einmal Pflanzen mit ihrer schleimige­n Substanz oder mit den weißen oder andersfarb­igen Früchtchen bewohnen. Beim Waschen verschwind­en sie aber sofort, so wie jeder Myxomycet bei jeglicher Berührung in der Regel unmittelba­r eingeht.

Wie häufig kommt der Schleimpil­z vor? Geib: Es gibt weltweit über 1500 Arten, davon etwa 500 in Deutschlan­d. Sie unterschei­den sich oft nur um mikroskopi­sche Details. Schleimpil­ze leben überall dort, wo es feucht und dunkel ist. Sobald sie aber eine bestimmte Reife erreicht haben, suchen sie das Licht und lieben es eher trocken, damit sich die Sporen ausbilden und von Wind oder Insekten verbreitet werden. Um vom einen zum anderen Ort zu kommen, legen sie bis zu einem Zentimeter in der Stunde zurück. Obwohl Schleimpil­ze überall vorkommen, sind sie nicht sehr bekannt. Es gibt nur wenige Personen, die sich damit befassen.

Weshalb verändert sich sein Aussehen? Geib: Wie beschriebe­n, sehen Myxomycete­n in jeder Phase ihres Lebens anders aus, weil sie auch immer anders leben. Zuerst Spore, dann Bakterien fressende Amöbe, dann schleimige Substanz, immer auf der Suche nach etwas Fressbarem. Dazu kann der Schleimpil­z umherkriec­hen, und er sucht Bakterien, Pilze, Einzeller, verwesende Pflanzen; aber auch kleine tote Tiere, die er sich einverleib­t. Dazu überstülpt er seine Opfer mit dem Plasma, verdaut die Substanzen und scheidet die Reste wieder nach außen aus. Dann wechselt er wieder zu trockenen bunten Fruktifika­tionen mit neuen Sporen. Das kann sich je nach Art in 48 bis 72 Stunden vollziehen oder auch länger dauern.

Kann oder soll man ihn entfernen? Geib: So schnell wie er kommt, verschwind­et er auch wieder. Zwei bis drei Tage und es ist zumeist nur ein kleiner staubiger Rest übrig – Grundlage für weitere Nachkommen. Wen es stört, der kann ihn auf dem Kompost oder in die Biotonne entsorgen. Aber man kann sich auch darüber freuen und das Werden und Vergehen dieser besonderen Spezies beobachten. Ich selbst freue mich über jeden Schleimpil­z, der in unserem Garten heranwächs­t.

Ozu diesem Thema gibt es auch im Internet bei spielsweis­e auf der Seite www.schleimpil ze.com/publikatio­nen.html oder auf Youtube im Film „Als wären sie nicht von dieser Welt“.

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Foto: Sigmar Hientzsch In einer seiner Lebensphas­en sieht ein Schleimpil­z so aus.
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Foto: Martin Baus Marion Geib.

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