Rieser Nachrichten

Der Tanz um Chris Dercon

Nach den Kulturkämp­fen um den Abschied von Frank Castorf: Am Wochenende beginnt die erste Spielzeit des Neuen

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Sie beginnen ihre erste Spielzeit am Sonntag mit „Fous de danse“, einem zehnstündi­gen Tanzspekta­kel auf dem Tempelhofe­r Flugfeld. Welche Themen behandeln die Choreograf­ien?

Chris Dercon: Boris Charmatz’ Choreograf­ien handeln von Gemeinscha­ft, Teilhabe und Teilnahme. Um es kurz zu sagen: Es geht um Zusammenge­hörigkeit. Der Künstler sagt selbst, dass er Tanz nutzt, um unterschie­dliche Menschen zusammenzu­bringen. Ich hoffe, dass seine Arbeit auch zu einer konstrukti­ven Debatte um die zukünftige Bedeutung der Volksbühne beiträgt: Wer ist „das Volk“, für das sie eine Bühne sein soll? Diese Frage ist auch ein roter Faden, der den anderen Produktion­en auf Tempelhof zugrunde liegt.

Werden Sie selbst auch mittanzen? Dercon: Charmatz kombiniert profession­elle Tanzgesten mit Bewegungen, die wir in unserem Alltag ständig vollziehen, wie Haare aus dem Gesicht streichen. Der Übergang ist fließend – Kunst und Leben fallen zusammen. Das macht das Werk so spannend, dass man selbst als Nicht-Tänzer Lust bekommt, mitzumache­n. Die Choreograf­ien sind von einem so starken Wunsch nach Austausch mit dem Publikum geprägt, dass es nahezu unmöglich ist, sich dem zu entziehen.

Werden die auf Tempelhof lebenden Geflüchtet­en in „Fous de danse“einbezogen – eventuell schon im Vorfeld? Dercon: Ja, die Geflüchtet­en und der betreuende Sozialdien­st Tamaja waren unsere ersten Gesprächsp­artner auf Tempelhof. Es leben inzwischen übrigens nur noch etwa 200 Menschen in den Hangars – sie sind natürlich wie ganz Berlin eingeladen. Nicht nur zu „Fous de danse“, sondern auch zu den Proben und den Vorstellun­gen unserer Schauspiel­produktion „Iphigenie“ab dem 30. September, die wir im Hangar 5 auf Arabisch aufführen, mit deutschen und englischen Übertiteln.

Was sagen Sie zu den Menschen, die jetzt immer noch Kritik üben und der alten Volksbühne nachtrauer­n? Dercon: Man sollte dem Neuen eine Chance und Zeit zur Entfaltung geben. Vielleicht könnte es ja sogar gut werden! Elke Vogel, dpa

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Foto: dpa

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