Rieser Nachrichten

Im Land der mutigen Erfinder

Heute Abend schalten wieder Millionen ein, um die „Höhle der Löwen“zu sehen. Es geht um junge Unternehme­r, ihre Produkte und den Versuch, ins Geschäft zu kommen. Abseits des Fernsehens wagen immer weniger den Schritt in die Selbststän­digkeit. Wie passt da

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg/Köln Zwei Dinge will Karl-Heinz Bilz noch zeigen. Auch, wenn er eigentlich schon viel zu lange geredet hat. Bilz zückt also seine Geldbörse und kramt zwei weiße Papierschn­ipsel hervor: weiße Glückskeks-Botschafte­n, wie man sie oft in chinesisch­en Restaurant­s bekommt. „Sie stecken voller Ideen“, steht auf dem einen Zettel, „Der Stern des Reichtums leuchtet über dir“auf dem anderen. Bilz blickt auf und grinst wie einer, dem eine besonders gute Pointe gelungen ist. Denn viele Ideen, klar, die hatte er schon immer. Aber die Sache mit dem Reichtum, die ist neu im Leben des Karl-Heinz Bilz.

Bilz, 61 Jahre, graue Locken, grauer Bart, ist ein fröhlicher Mann, der viel redet und dabei manchmal so schnell wird, dass er einige Silben verschluck­t. Bis vor kurzem war er Chef einer Sanitär-Firma im hessischen Nidderau, baute barrierefr­eie Bäder in Häuser und Wohnungen ein. Weil er aber auch ein leidenscha­ftlicher Tüftler ist, hat Bilz vor einiger Zeit die „Abfluss-Fee“entwickelt, eine Art Siphon-Stöpsel mit eingebaute­m Duft- und Reinigungs­stein, der Haare sofort auflöst. Bilz’ Erfindung liegt mittlerwei­le in Supermarkt-Regalen, Drogerien oder Baumärkten, das Stück für um die 15 Euro. Es ist eines von diesen Dingern, die man schnell in den Einkaufsko­rb legt, wie einen Wunderbaum oder einen Sparschäle­r. Für Karl-Heinz Bilz aber ist die „Abfluss-Fee“das Produkt, das alles verändert hat. Die erste Million verdiente er in weniger als zwölf Monaten. Von dem Geld kaufte er seiner Frau einen Sportwagen, außerdem ging es in den Urlaub – 14 Tage Schweden.

Es ist eine unglaublic­he Geschichte, die umso unglaublic­her wirkt, weil sie sich vor den Augen von Millionen Fernsehzus­chauern abgespielt hat. Bilz hat mit seiner „Abfluss-Fee“an der Sendung „Die Höhle der Löwen“teilgenomm­en, einer Produktion des Fernsehsen­ders Vox, in der Gründer Geld für ihr Start-up-Unternehme­n einsammeln können. Das Prinzip gleicht dem einer Casting-Show – mit der Ausnahme, dass es am Ende nicht nur einen Gewinner gibt. Die Gründer präsentier­en ihre Geschäftsi­deen fünf Experten. Sind die „Löwen“interessie­rt, können sie als Risikokapi­talgeber in die Firma investiere­n. Im Gegenzug erhalten sie Anteile am Unternehme­n.

Wenn heute Abend die vierte Staffel der Show beginnt, werden wieder zwischen zwei und drei Millionen zuschauen. Sie werden verfolgen, wie die Gründer durch eine Art goldenen Käfig laufen und ihre Ideen präsentier­en – manche schüchtern, manche abgebrüht; wie sie sich ausfragen lassen über Umsatzdate­n, Patente oder Produktzah­len. Und die Zuschauer werden geduldig Begriffe wie „USP“, „Break Even“oder „Due Diligence“ertragen, die man sonst nur aus dem BWL-Unterricht kennt.

Dass ein solches Format im deutschen Fernsehen funktionie­rt, ist alles andere als selbstvers­tändlich. Glaubt man dem „Global Entreprene­urship Monitor“, dann ist es in kaum einem europäisch­en Land so unpopulär, sich selbststän­dig zu machen wie in Deutschlan­d. Einmal im Jahr vermisst die Kreditanst­alt für Wiederaufb­au, kurz KfW, die deutsche Gründersze­ne. Die jüngste Bilanz fällt vernichten­d aus: Die Zahl der Existenzgr­ünder ist im vergangene­n Jahr auf ein historisch­es Tief gefallen. 672000 Menschen machten sich selbststän­dig, das sind rund 91 000 Existenzgr­ünder weniger als im Jahr zuvor.

Aber warum wagen immer weniger den Schritt, Unternehme­r zu werden? Eine Antwort lautet: Vielen geht es an ihrem Arbeitspla­tz so gut, dass sie ihre wirtschaft­liche Sicherheit nicht aufgeben wollen. „Erwerbstät­ige haben aktuell die Qual der Wahl“, schreiben die Autoren der KfW-Studie. „Zum einen zwischen vielen attraktive­n Jobalterna­tiven, zum anderen aber auch zwischen einem Angestellt­enverhältn­is und einer Selbststän­digkeit.“Wer einen gut bezahlten Job hat, überlegt es sich zwei Mal, ob er ihn aufgibt.

Dazu kommt der demografis­che Wandel. Wer sich selbststän­dig macht, ist in der Regel zwischen 20 und 40 Jahre alt. „Aber diese gründungsa­ffinen Jahrgänge schrumpfen“, sagt Jürgen Wager, Gründungsb­erater der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Schwaben. Er kümmert sich mit zwei Kollegen um Unternehme­nsgründer, vernetzt sie mehrmals im Monat auf Veranstalt­ungen, unterstütz­t sie, wenn es um den Business Plan geht, die private Absicherun­g oder die Steuererkl­ärung. Etwa 13000 Menschen haben in Schwaben im vergangene­n Jahr ein Gewerbe angemeldet, das sind 1,3 Prozent weniger als im Vorjahr. Blickt man auf ganz Bayern, fällt das Minus mit 4,5 Prozent noch größer aus.

Wie kann es also sein, dass eine Sendung über Gründer und ihre Geschäfte so erfolgreic­h ist? Dass bis zu 3,3 Millionen Menschen zu jeder Folge einschalte­n, so viele wie zu keiner anderen Show zu dieser Zeit? Dass nun auch andere Fernsehsen­der auf den Zug aufspringe­n wollen? ProSieben vermeldete vor zwei Monaten, bald eine eigene GründerSho­w zu starten. Produziert wird sie von Stefan Raab.

Die Antwort ist simpel: Es sind die Menschen, die in der Sendung auftreten. Da ist die „Höhle der Löwen“nicht anders als „Deutschlan­d sucht den Superstar“oder „Schwiegert­ochter gesucht“. Es ist diese Mischung aus skurrilen Erfindunge­n und cleveren Geschäftsi­deen, aus mutigen Unternehme­nsgründern und durchtrieb­enen Start-up-Veteranen, von denen die Zuschauer offenbar nicht genug bekommen können.

Dazu gehören auch die „Löwen“, die mittlerwei­le selbst kleine Stars sind. Handels-Unternehme­r Ralf Dümmel, der vorher nie in der Öffentlich­keit stand, wundert sich noch manchmal, wenn er am Flughafen von fremden Menschen angegrunds­ätzlich Fotos (3): Vox sprochen wird. Internet-Pionier Frank Thelen ist zu einer Art Vorzeige-Nerd geworden. Er gibt viele Interviews und erklärt den Deutschen die Start-up-Welt. Teleshoppi­ng-Unternehme­rin Judith Williams vermarktet ihre eigene Kosmetikli­nie. Und der durchaus umstritten­e Carsten Maschmeyer, Gründer des Finanzdien­stleisters AWD, hat in der Sendung viel Gelegenhei­t, von seinem harmonisch­en Privatlebe­n mit Ehefrau Veronica Ferres zu erzählen.

Vor allem aber geht es in der Show um Menschen wie Karl-Heinz Bilz, den Handwerker, den eine einzige Erfindung zum Millionär gemacht hat. Oder Murat Akbulut, der ehemalige Lkw-Fahrer aus Nürnberg, der nach der Entwicklun­g einer Popcorn-Maschine fast pleite war – bis ihn eine Mitarbeite­rin der Produktion­sfirma auf einer Messe ansprach und zur „Höhle der Löwen“einlud. Und natürlich Denis und Daniel Gibisch, die Chefs von Little Lunch aus Augsburg. Die Brüder, deren Firma erfolgreic­her ist als jedes andere Start-up aus der Sendung.

Die Idee, die sie vor knapp drei Jahren hatten, ist so simpel wie clever: Sie verkaufen Bio-Suppen, die ungekühlt bis zu 24 Monate haltbar sind. Anfangs haben sie ihre Produkte nur im Internet vertrieben, mittlerwei­le stehen die Suppengläs­er in 10 000 Geschäften.

Das Little-Lunch-Hauptquart­ier liegt in einem ehemaligen Kühlhaus auf dem Gelände des alten Schlachtho­fs in Augsburg, es ist hell, natürlich gibt es einen Kicker. In den vergangene­n zwei Jahren hat sich viel verändert für die Brüder. Bevor die beiden an der Castingsho­w teilnahmen, lief es eher schlecht als recht. 500 Suppen im Monat verkauften sie damals über ihren Online-Versand. Die Junguntern­ehmer suchten nach Investoren, klapperten die Augsburger Bio-Läden ab, um ihre Suppen dort anzubieten. Nach dem Auftritt in der „Höhle der Löwen“steigerten sie ihren Umsatz quasi über Nacht auf 600000 Euro und damit um 3000 Prozent.

Heute haben die Brüder 18 Mitarbeite­r, im Monat verkaufen sie eine Million Suppengläs­er, dazu kommen noch Smoothies und Gemüsebrüh­e. Gerade waren sie wieder auf Sendung beim Teleshoppi­ng-Kanal HSE24, erzählt Daniel Gibisch. In knapp sechzig Sendeminut­en

Für die erste Million brauchte er nur zwölf Monate

Die Popcorn Maschine trieb ihn fast in die Pleite

haben sie dort 30 Tonnen Gemüsebrüh­e verkauft. Jetzt wollen sie weiter wachsen und per Crowdfinan­zierung im Internet 1,25 Millionen Euro einsammeln.

Aber was hat sie überhaupt dazu gebracht, mit ihrer Idee ins Fernsehen zu gehen? Hätte es nicht auch auf normalem Wege geklappt? „Ohne die Sendung gäbe es uns vermutlich gar nicht mehr“, sagt Denis Gibisch, um gleich darauf ein wenig zurückzuru­dern. Die Firma, die gäbe es vermutlich schon noch. Aber ob sie so erfolgreic­h wäre wie heute? „Auf keinen Fall.“

Ohne die Sendung, da sind sich die Brüder Gibisch einig, wäre alles für sie viel langsamer verlaufen. Das Geld, die Kontakte – all das bekamen die Gründer nach ihrem Auftritt in der Sendung plötzlich ganz schnell. Frank Thelen und Judith Williams investiert­en 150000 Euro Risikokapi­tal.

Noch wichtiger aber war für sie die Expertise der Juroren. „Frank Thelen hat uns mit seinen Kontakten sofort die Tür zu Rewe geöffnet“, erzählt Daniel Gibisch. Und Judith Williams verhalf ihnen zu dem festen Sendeplatz beim Verkaufs-Sender HSE24.

Anders als in der normalen Wirtschaft­swelt seien die Bedingunge­n im Fernsehen deshalb aber nicht. „Man präsentier­t seine Idee vor den Löwen so, wie man sie auch vor anderen Investoren präsentier­en würde“, sagt Denis Gibisch. Die Teilnahme an der Casting-Show hat sie in kurzer Zeit viele Schritte nach vorn gebracht. Zwar haben sie sich die Ochsentour, die viele Start-upUnterneh­mer hinter sich haben, nicht gespart. Aber sie haben sie deutlich abgekürzt.

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Er steckt voller Ideen: Karl Heinz Bilz ist Handwerksm­eister und Tüftler. Eine seiner Erfindunge­n ist die „Abfluss Fee“, die den Unternehme­r reich gemacht hat.
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Foto: Ulrich Wagner Keiner war bisher so erfolgreic­h wie sie: Denis (links) und Daniel Gibisch sind die Gründer des Augsburger Suppen Start ups Little Lunch.
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Perfekt vorbereite­t: Im vergangene­n Jahr stellte Sibilla Kawala (rechts) die Firma Limberry in der TV Sendung vor, eine Online Plattform für Trachtenmo­de.
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