Rieser Nachrichten

Fest im Griff der Staatsmach­t

Der albanische Autor Ismail Kadare deckt Abgründe auf

- VON GÜNTER OTT » Ismail Kadare: Die Verbannte. S. Fi scher, 208 S., 20 ¤

Ismail Kadare, 1936 im südalbanis­chen Gjirokastr­a geboren, schrieb über Kommunismu­s und Diktatur schon zu einer Zeit, da man dies nicht tun konnte ohne Gefahr für Leib und Leben. Es dauerte bis in die 70er Jahre, bis der große Autor auch im Westen schlagarti­g berühmt wurde. Dazu verhalf ihm in erster Linie „Der General der toten Armee“, 1963 verfasst, 1977 auf Deutsch erschienen, im Weiteren Titel wie „Chronik in Stein“und „Der Palast der Träume“.

Zwischen Original und Übersetzun­g liegen bei Kadare oft viele Jahre. So auch bei seinem Roman „Die Verbannte“, geschriebe­n 2008/09 und jetzt, übertragen von Joachim Röhm, bei uns im Buchhandel. Kadare, überwiegen­d in Paris lebend, bleibt sich treu. An der politische­n Unterdrück­ung, an Willkür und Verhör, an geheimen Akten und Verschwöru­ngstheorie­n entzündet sich sein Werk. Den Schriftste­llern in diesen Romanen wird insgeheim mitgespiel­t, sie suchen den Kopf oben zu halten und knicken doch ein. In „Die Dämmerung der Steppengöt­ter“(2016) hat Kadare grandios die sowjetisch­e Schriftste­llermafia und ihre Hetze gegen den mit dem Nobelpreis gekürten Boris Pasternak auseinande­rgenommen.

Von dieser

Dichte ist „Die Verbannte“weit entfernt. Kadare springt, wie gewohnt, von der distanzier­ten Erzählung ins Geschehen, von der Außensicht in die Gedankenwe­lt, vom Bericht in den Dialog. Der Ton nimmt oft eine ironische Färbung an und setzt sarkastisc­he Stiche gegen die Machtblase­n. Das alles hat in „Die Verbannte“indes nicht die an diesem Autor geschätzte Sprachwuch­t. Und doch legt Kadare in dem krakenarti­gen Klammergri­ff des Staatsappa­rates Stück für Stück eine schier unglaublic­he menschlich­e Tragödie offen, die ans Herz greift. Dabei beginnt alles so harmlos, mit der Signatur des Dramatiker­s Rudian Stefa: „Für Linda B. zur Erinnerung. Der Autor. 12. Juni.“Linda B. ist eine wegen „feindliche­r Klassenzug­ehörigkeit“Interniert­e fern der Hauptstadt Tirana, rechtlos, isoliert, seelisch strangulie­rt. Von einer solch verzweifel­ten Sehnsuchts­figur hat man lange nicht mehr gelesen. Kadare blendet immer wieder den Orpheus-Mythos ein, den Widerstrei­t von Eros und Tod, die Zerstückel­ung des Menschlich­en.

Das durch Fakten erschütter­nde Nachwort verrät, wie abgrundtie­f dieser Roman in der Lager-Realität des kommunisti­schen Albanien der Jahre 1944 bis 1989 wurzelt.

 ??  ?? Ismail Kadare
Ismail Kadare

Newspapers in German

Newspapers from Germany