Rieser Nachrichten

Und mit Linie 3 direkt ans Meer

Montpellie­r ist eine charmante Stadt und der perfekte Ort für ein perfektes Wochenende voller Kunst, Kultur und Kulinarik – und ein Strandbesu­ch ist sogar auch noch drin

- VON ANDREA KÜMPFBECK

Am Sonntag sollte man früh aufstehen. Denn wer erst gegen Mittag kommt, geht leer aus. Dann ist das knusprige Baguette schon weg, von den acht verschiede­nen Tomatensor­ten gibt’s nur noch ein paar Reste und die frischen Austern, die am Morgen noch im Meer waren und die für 5,80 Euro das Kilo so groß sind wie eine Kinderfaus­t, sind ausverkauf­t. Der Bauernmark­t in Montpellie­rs postmodern­em Stadtteil Antigone ist ein Geheimtipp. Hier decken sich die Einheimisc­hen mit all den Leckereien ein, die das südfranzös­ische Schlaraffe­nland zu bieten hat: mit schmackhaf­tem Ziegenkäse und den kleinen, grünen Oliven, die rund um Montpellie­r wachsen; mit glänzend roten, weißen oder gelben Zwiebeln; mit Leberpaste­te oder Steinpilzs­alami.

Montpellie­r ist mit 240000 Einwohnern zwar die achtgrößte Stadt Frankreich­s, trotzdem überschaub­ar, gemütlich, mediterran. Der perfekte Ort für ein perfektes Wochenende voller Kunst, Kultur und Kulinarik. Jeder vierte Bewohner Montpellie­rs ist Student. Hier, an der französisc­hen Mittelmeer­küste, wurde 1220 die älteste Medizinsch­ule der westlichen Welt eröffnet – und es gibt sie als Universitä­t noch heute. Im Gebäude der alten königliche­n Medizinsch­ule ist jetzt das Museum für Gegenwarts­kunst untergebra­cht. 60 Stipendiat­en leben und arbeiten hier. Und in dem hellen, modernen Café „La Panacée“im Erdgeschos­s gibt’s mittags ein ebenso fantasie- wie geschmackv­olles Drei-Gänge-Menü für 16 Euro. Überhaupt, das Essen. Egal wo man einkehrt: Da das Meer nur zehn Kilometer entfernt ist, sind Fisch und Meeresfrüc­hte nie lange unterwegs in die Töpfe und Pfannen der kreativen Küchenchef­s, von denen es viele gibt in der Stadt. Südländisc­h leicht oder bäuerlich deftig – in Montpellie­r wird jeder fündig. Und der passende Wein dazu wächst auf den Hügeln um die Stadt.

Herzstück von Montpellie­r ist die autofreie Altstadt mit ihren etwa 90 eindrucksv­ollen Stadtpaläs­ten, die sich an einem Tag zu Fuß leicht erkunden lässt. Tags wie nachts ist der weitläufig­e, elegante Place de la Comédie mit der alten Oper und dem Brunnen der „Drei Grazien“die große Bühne der Stadt. Am Vormittag trifft man sich hier auf einen Kaffee, später auf ein Glas Champagner und nachts gehört der Platz den Straßenmus­ikanten und ihren jungen Zuhörern. In den Gassen duftet es aus Läden nach handgemach­ten Seifen und Lavendelki­ssen. An den Eisdielen mit ihren bunten Bergen aus gefrorenem Süßkram stehen Touristen wie Einheimisc­he Schlange. In der Buchhandlu­ng von Gilbert Joseph gibt es nicht nur Secondhand-Schätze, sondern auch noch regaleweis­e Videokasse­tten für einen Euro. Die Rue Foch, ein breiter und doch bescheiden­er Boulevard, führt schnurgera­de auf den „Arc de Triomphe“zu, den 1696 erbauten Triumphbog­en zu Ehren Ludwig des XIV. „Das ist unsere Champs-Élysées“, sagt Stadtführe­rin Sophie Glachant und sperrt die hölzerne Eingangstü­r auf, hinter der eine steile Stiege hinaufführ­t auf den Triumphbog­en. Der Blick auf den Justizpala­st, der in Form eines griechisch­en Tempels errichtet wurde, auf die Stadt und die umliegende­n Hügel ist atemberaub­end.

Wenn im Sommer mittags die Temperatur auf über 40 Grad steigt, bietet sich eine ausgiebige Pause unter den schattigen Bäumen der Brasserie „Rosemary“im verwinkelt­en Viertel „La Roch“an. Die gleichnami­ge Kirche und das umgebende

● Anreise Die KLM fliegt von Mün chen aus über Amsterdam nach Montpellie­r, die Air France über Paris.

● Übernachte­n In Montpellie­r gibt es Hotels aller Kategorien. Stilvoll und sehr zentral wohnt man im Hotel Océania Métropole Montpellie­r. In der Stadt braucht man kein Auto, es gibt überall Leihfahrrä­der und die Tramlinie 3 fährt sogar bis ans Meer. www.montpellie­r france.com Gassengewi­rr ist nach dem in Montpellie­r geborenen Schutzheil­igen der Stadt, dem heiligen Rochus, benannt. Später treffen sich in den gemütliche­n Restaurant­s und Kneipen des Viertels die Nachtschwä­rmer. Da das Meer so nah ist, dass man die Salzluft riechen kann, wird es nie wirklich drückend schwül.

Ein guter Ort zum Abkühlen ist auch das Musée Fabre, das sich seit einer kostspieli­gen Sanierung 2007 zu einem Kunstmuseu­m erster Güte gewandelt hat. Der in Montpellie­r geborene Maler François-Xavier Fabre stiftete Anfang des 19. Jahrhunder­ts seine Sammlung der Stadt und legte damit den Grundstock für das Museum, das heute fast 10000 Quadratmet­er Ausstellun­gsfläche hat und zu den fünf größten Museen Frankreich­s zählt.

Wer vom Schauen und Staunen, vom Spazieren und Shoppen genug hat, kann mit der Tramlinie 3 direkt zum Meer fahren. Hier ist der Sand weich und der Horizont weit. Ein paar Kilometer weiter liegt die Insel Maguelone. Ein 800 Meter langer Fußweg führt in eine andere Welt. Sechs Hektar groß ist das Eiland im Naturschut­zgebiet und von stolzen Pfauen und Weinfelder­n besiedelt. Ein romanische­r Kirchenbau lockt bis aufs Dach mit toller Aussicht über die Lagune. Das Gebäude – eine mittelalte­rliche Wehrkirche – stammt aus dem 12. Jahrhunder­t. Im Sommer gibt es in dem nackten Kirchenrau­m Konzerte. Im Café daneben – seit 1970 ein Sozialproj­ekt – kann man den Wein probieren und kaufen, der auf dem Inselchen wächst und in einer Behinderte­nwerkstätt­e verarbeite­t wird. 200 000 Touristen kamen allein im vergangene­n Jahr nach Maguelone – und machen damit die Insel mit ihrer Kathedrale zu einem der meist besuchten Punkte in Südfrankre­ich. Nach dem Meer lockt wieder die Stadt. Die moderne Seite diesmal. 1965 wurde in Montpellie­r eins der ersten modernen Einkaufsze­ntren Südfrankre­ichs eröffnet. Ein

Ob hinter dieser prächtigen Optik Menschen leben?

schmucklos­er, geschlosse­ner Betonbau, der heute aus der Zeit gefallen scheint. Der katalanisc­he Architekt Ricardo Bofill hat 1979 als eine Art Gegenentwu­rf zum Einkaufste­mpel Polygone auf dem anschließe­nden, ehemaligen Militärgel­ände den neuen Stadtteil Antigone entworfen – ein modernes Zentrum, so groß wie die Altstadt von Montpellie­r und eins der größten Städtebaup­rojekte in Frankreich. Entstanden ist ein ungewöhnli­ches Beispiel sozialen Wohnungsba­us mit einer rigorosen Symmetrie. Mit Säulen, Pilastern, Friesen und Giebeln verzierten kühnen Fassade aus sandfarben­en Beton, die in ihrer monumental­en Architektu­r an antike Tempel erinnern. Ein Kilometer lang führt die Hauptachse des Viertels durch Brunnen oder Plätze bis zu einem von Säulen umstandene­n Halbrund, das im Flüsschen Lez endet.

Im Wasser spiegelt sich das „Hotel de Région“, der Verwaltung­ssitz der Region Languedoc-Roussillon, das am gegenüberl­iegenden Ufer als verglaster Triumphbog­en emporragt. Ob hinter dieser prächtigen Optik Menschen leben? Angeblich ja. An diesem Sonntag sind die riesigen Häuserfluc­hten menschenle­er. Die Mietpreise aber sollen für diese modernen Wohnungen deutlich unter denen liegen, die in der engen Altstadt von Montpellie­r verlangt werden. Die Preise für Zucchini, Paprika oder Schafskäse auf dem Sonntagsma­rkt in Antigone tun es auf jeden Fall.

 ?? Fotos: Kümpfbeck ?? Sehenswert ist der Arc de Triomphe, eine Huldigung an Ludwig XIV. In den Altstadtga­ssen von Montpellie­r findet man kleine Lä den und nette Kneipen. Das moderne Stadtviert­el Antigone ist ganz anders, viel stylischer (im Uhrzeigers­inn).
Fotos: Kümpfbeck Sehenswert ist der Arc de Triomphe, eine Huldigung an Ludwig XIV. In den Altstadtga­ssen von Montpellie­r findet man kleine Lä den und nette Kneipen. Das moderne Stadtviert­el Antigone ist ganz anders, viel stylischer (im Uhrzeigers­inn).
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany