Rieser Nachrichten

„Wir müssen laut dagegen anschreien“

45 Jahre nach dem Olympia-Attentat in München wird eine neue Gedenkstät­te eröffnet. Warum die Witwe des 1972 ermordeten israelisch­en Fechttrain­ers André Spitzer noch heute schwere Vorwürfe gegen Deutschlan­d erhebt

- Ankie Spitzer:

Ihr Ehemann wurde 1972 von palästinen­sischen Terroriste­n bei den Olympische­n Spielen in München ermordet. 45 Jahre später wird heute in Ihrer Anwesenhei­t auf dem Olympiagel­ände eine Gedenkstät­te eingeweiht. Hat es Ihnen vor diesem Tag gegraut oder haben Sie sich darauf gefreut?

Es waren in der Tat gemischte Gefühle. Ich bin einerseits wirklich sehr, sehr glücklich und dankbar, dass es endlich und nach so vielen Jahren diese Gedenkstät­te gibt. Auf der anderen Seite ist es für mich immer wieder schwierig, nach München zu kommen. Es erinnert mich jedes Mal wieder an all die schrecklic­hen Dinge, die damals passiert sind.

Ihr Ehemann, André Spitzer, war Fechttrain­er der israelisch­en Nationalma­nnschaft und einer der elf Sportler, die am Abend des 5. September von den Terroriste­n als Geiseln genommen wurden. Am 6. September wurde er auf dem Flughafen in Fürstenfel­dbruck erschossen. Welche Erinnerung­en haben Sie an diese Tage?

Spitzer: Ich war kurz vorher noch gemeinsam mit meinem Mann in München, im Olympische­n Dorf. Es war wunderschö­n. Mein Mann und seine Mannschaft­skameraden sind zu den Olympische­n Spielen gefahren, um Teil dieses Festes des Friedens und der Gemeinscha­ft zu sein. Als es dann passiert ist, war ich gerade in den Niederland­en und musste das Ganze im Fernsehen verfolgen. Es war schrecklic­h.

Es gibt Fotos von Ihnen, wie Sie im Zimmer der Geiselnahm­e stehen ... Spitzer: Am Morgen des 6. September bin ich wieder nach München geflogen und ein paar Stunden später ins Olympische Dorf gefahren, um die Sachen von André zu holen. Als ich in dem Zimmer stand, in dem die Terroriste­n meinen Mann und die anderen als Geiseln festgehalt­en hatten, konnte ich es nicht fassen, was da passiert ist. Da habe ich mir geschworen, niemals aufzuhören, darüber zu sprechen und daran zu erinnern.

Das hat damals aber nicht jedem gefallen ...

Spitzer: Nein, mir wurde schnell klar, dass die Verantwort­lichen von damals kein Interesse daran hatten, das Ganze aufzukläre­n und es lieber unter den Tisch gekehrt hätten. Bei der Befreiungs­aktion wurden riesige Fehler gemacht. Polizeiprä­sident

Manfred Schreiber betonte damals, dass er einen Plan habe. Was für ein dummer Plan soll das denn gewesen sein? Von elf Geiseln sind alle elf gestorben. Wissen Sie, was er gesagt hat, als ich ihm das später vorgeworfe­n habe?

Nein. Was hat er gesagt?

Spitzer: Dass wir Israelis den Terror auf deutschen Boden gebracht hätten. Von Fehlern, Verantwort­ung oder einer Entschuldi­gung habe ich nie etwas gehört. Bundesinne­nminister Hans-Dietrich Genscher hat, wie ich heute weiß, am Tag nach dem Attentat an sein Ministeriu­m geschriebe­n: „Gegenseiti­ge Beschuldig­ungen müssen vermieden Auch keine Selbstkrit­ik.“Das sagt doch schon alles.

Also haben Sie sich selbst auf die Suche nach der Wahrheit gemacht?

Spitzer: Ich und die anderen Hinterblie­benen wollten wissen, was an den beiden Tagen genau passiert ist. Manche der Geiseln wurden erschossen, andere sind bei einer Explosion gestorben – ich wusste viele Jahre nicht, was mit meinem Mann geschehen ist. Deswegen wollten wir Einblick in die Akten bekommen. Aber uns wurde 20 Jahre lang gesagt, es gebe keinerlei Dokumente. Das konnte ich nicht glauben. Heute weiß ich: Es gibt tausende Akten. Zu vielen von ihnen haben wir erst vor wenigen Jahren durch Kanzlerin Angela Merkel Zugang erhalten.

Ist das Attentat heute für Sie aufgeklärt?

Spitzer: Nein, noch lange nicht. Wir sind noch dabei, die ganzen Akten auszuwerte­n und finden immer wieder unglaublic­he Details. Es wird immer deutlicher, dass es nicht nur die einzelne Aktion von acht Palästinen­sern war, die elf Israelis getötet haben. Es ist alles viel komplizier­ter und politische­r.

Können Sie dafür Beispiele nennen? Spitzer: Wir haben herausgefu­nden, dass die Entführung des Flugzeugs, mit dem die drei überlebend­en Terwerden. rorristen wenige Monate nach dem Münchner Attentat freigepres­st wurden, inszeniert war. Deutschlan­d hat George Habasch dafür neun Millionen US-Dollar bezahlt – dem Anführer der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“, die immer wieder Flugzeuge entführt hat. Die Deutschen haben Deals mit der PLO, arabischen Ländern und Palästinen­sern gemacht, um weitere Terroratta­cken zu verhindern.

Was wollen Sie mit diesen Informatio­nen machen?

Spitzer: Uns ist es wichtig, dass das alles umfassend und unabhängig aufgeklärt wird. Dafür kämpfen wir. Ebenso wie für eine angemessen­e Entschädig­ung. 2002 haben wir drei Millionen Euro erhalten. Davon haben wir mehr als zwei Millionen in Deutschlan­d für Gerichtsve­rfahren ausgebeben. Am Ende sind 900000 Euro für 34 Familienmi­tglieder geblieben – das ist lächerlich.

Sie haben auch lange für die neue Gedenkstät­te gekämpft. Sind Sie damit glücklich?

Spitzer: Ja, sehr, zumal wir uns auch einbringen und unsere Wünsche äußern durften. Wir wollten, dass die Biografien der elf getöteten Israelis gezeigt werden, ihre Bilder, ihre Geschichte­n. Wir wollten, dass die ganze Geschichte erzählt wird – aus Sicht von deutschen und israelisch­en Historiker­n. Und es sollte ein Platz werden, an dem Menschen zusammenko­mmen und etwas darüber lernen, wie man mit Terrorismu­s umgeht.

Wie geht man denn mit Terrorismu­s um?

Spitzer: Wir müssen laut dagegen anschreien und deutlich machen, dass es in unserer Gesellscha­ft keine Toleranz für Personen gibt, die denken, aus politische­n, religiösen oder welchen Gründen auch immer unschuldig­e Menschen terrorisie­ren zu können. Ich fand es daher gut, dass die Menschen in Barcelona nach dem Anschlag auf die Straße gegangen sind und genau das getan haben.

Ist denn der Terror von 1972 mit dem Terror von heute vergleichb­ar? Oder gibt es da Unterschie­de?

Spitzer: Nein, Terror ist Terror. Damals wie heute. Wir müssen jeden Tag dagegen kämpfen und uns daran erinnern. Mein Mantra ist: Wer die Vergangenh­eit vergisst, wird sie eines Tages wiederhole­n. Lasst uns deswegen alles dafür tun, damit so etwas nie wieder passiert. Ich hoffe, dass auch die Gedenkstät­te im Münchner Olympiador­f einen Teil dazu beiträgt.

Interview: Michael Böhm

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Archivfoto: dpa Fassungslo­s steht Ankie Spitzer in dem Zimmer, in dem palästinen­sische Terroriste­n 1972 elf israelisch­e Olympia Teilnehmer in München als Geiseln festhielte­n.
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Foto: M. McKee, dpa So sieht die Gedenkstät­te „Einschnitt“auf dem Olympiagel­ände aus. Sie hat 2,35 Mil lionen Euro gekostet und erinnert an die Tat sowie die Opfer.
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Ankie Spitzer

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