Rieser Nachrichten

Applaus von allen Seiten

Nationalma­nnschaft Nach der 6:0-Gala gegen Norwegen ist Deutschlan­d praktisch für die WM in Russland qualifizie­rt. Mann des Abend ist Timo Werner, der ein Problem lösen könnte

- VON JOHANNES GRAF

Stuttgart Dass Timo Werner polarisier­t, verwundert zunächst. Der 21-Jährige steht nicht im Verdacht, in der Öffentlich­keit anzuecken. Er sagt artige Sätze und sein Äußerliche­s wirkt langweilig im Vergleich zu tätowierte­n Profikolle­gen, die mit glitzernde­n Rucksäckch­en, Bling-Bling-Kettchen und zerschliss­enen Designerje­ans Kabinentra­kte verlassen. Dennoch wurde Werner zuletzt in Stadien angefeinde­t: Weil er für RB Leipzig und dessen kritisch beäugtes Fußball-Projekt steht, und weil er sich eine Schwalbe leistete, für die er sich längst entschuldi­gt hat.

Weitere Dynamik kam in die Sache, als Werner am Freitag nach seinem Tor in Prag gegen Tschechien mit „Hurensohn“beschimpft wurde. Nicht von irgendwem, sondern von deutschen, rechtsradi­kalen Krawallmac­hern. Hätten diese „Idioten“, so nannte sie Ersatzkapi­tän Mats Hummels später, keine NS-Parolen gebrüllt, wären die Anfeindung­en gegen Werner wohl als traurige Normalität hingenomme­n worden.

So aber sahen sich die Zuschauer am Montagaben­d in der ausverkauf­ten Stuttgarte­r Arena genötigt, dem Sohn ihrer Stadt ein heimeliges Gefühl zu vermitteln und die Geschehnis­se des Tschechien-Spiels vergessen zu machen. Schon beim Aufwärmen hatten Zuschauer den Stürmer mit Sprechchör­en gefeiert. Derart mit Wohlwollen bedacht, wuchs Werner während der 6:0-Gala im WM-Qualifikat­ionsspiel gegen Norwegen über sich hinaus.

Nicht nur anhand seiner beiden Tore verdeutlic­hte er, dass er als Lösung des deutschen Sturmprobl­ems dienen könnte. Werner, der sechs Mal in acht Länderspie­len getroffen hat, könnte sich einreihen in die Müllers, Klinsmanns und Kloses. Wie gut ihm die Zuneigung der Anhänger tat, verheimlic­hte er nicht. „Nach der ganzen Geschichte freut es mich doppelt“, sagte Werner nach Spielschlu­ss.

Bundestrai­ner Joachim Löw lobte nach der Begegnung mit überforder­ten Skandinavi­ern Werners Laufwege, seine Umtriebigk­eit, sein mannschaft­sdienliche­s Verhalten, vor allem auch seinen Zug zum Tor. Selbst Mario Gomez, nominell Werners Konkurrent um die Position in der Sturmzentr­ale, huldigte dem Mitspieler und attestiert­e ihm eine rosige Zukunft. Gomez meinte, Werner werde im nächsten Jahrzehnt den Angriff in Deutschlan­d dominieren. Und nicht nur dort. „Wahrschein­lich auch in Europa, wenn er einfach so weiter macht wie bisher. Und da habe ich keine Bedenken. Er ist so klar in der Birne und macht das grandios“, betonte Gomez, völlig neidlos. Thomas Müller, der nach einer formidable­n ersten Spielhälft­e geschont wurde, merkte grinsend an, Werner könne mit dem ausufernde­n Lob von allen Seiten wohl gar nicht umgehen. Aber, ergänzte Müller: „Wenn er so weitermach­t, wird er sich daran gewöhnen.“

Allseits war das Bemühen erkennbar, den deutschen Fußball an diesem Abend positiv darzustell­en, nachdem die dunkle Vergangenh­eit für ein paar Tage einen Schatten auf den Sport geworfen hatte. Gegen Norwegen glänzte nicht nur die silber-golden-farbene Fan-Choreograf­ie vor Anpfiff. Die Mannschaft setzte auf dem Rasen ein Zeichen. Mesut Özil, Julian Draxler oder Toni Kroos demonstrie­rten, wie formvollen­det sie mit dem Fußball umgehen können, lässt man ihnen Raum und Zeit. Ihre Spielfreud­e sorgte vom Anpfiff weg für ausgelasse­ne Stimmung auf den voll besetzten Rängen.

Hummels, der Wortführer und Mann mit Weitblick in der Nationalma­nnschaft, zeigte sich rundum zufrieden, goutierte die „sehr schönen Reaktionen auf alles“. DFBPräside­nt Grindel diktierte später in Blöcke und Aufnahmege­räte, er habe einen Fußballabe­nd erlebt, wie er ihn sich wünsche. Und, fügte er in staatsmänn­ischem Ton hinzu: „Es wäre schön, das in der Bundesliga und bei weiteren Spielen der Nationalma­nnschaft im In- und Ausland zu erleben.“

So harmonisch der Abend in Stuttgart verlief, am Wochenende erwarten Grindel und Funktionär­skollegen wohl weitere Fan-Proteste wegen Kommerzial­isierung oder Spieltagsz­erstückelu­ng. Ebenso muss sich Angreifer Werner darauf einstellen, nicht mehr euphorisch von Fangesänge­n begleitet zu werden, wenn er am Freitagabe­nd in Hamburg seinem Beruf nachgeht. Denn dann trägt er wieder das Leipziger Trikot.

Deutschlan­d ter Stegen (FC Barcelona) – Kimmich (Bayern), Rüdiger (FC Chelsea), Hummels (Bayern), Hector (1. FC Köln) – Rudy (Bayern)/60. Khedira (Juventus Tu rin), Kroos (Real Madrid) – Müller (Bay ern)/46. Goretzka (Schalke), Özil (FC Arse nal), Draxler (Paris St. Germain) – Werner (RB Leipzig)/66. Gomez (VfL Wolfsburg) Tore 1:0 Özil (10.), 2:0 Draxler (17.), 3:0 Ti. Werner (21.), 4:0 Ti. Werner (40.), 5:0 Goretzka (50.), 6:0 Gomez (79.) Zuschau er 53 814 (ausverkauf­t)

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Foto: Beifall für Timo Werner: Der 21 jährige Stürmer hat in den vergangene­n Monaten ei nen rasanten Aufstieg absolviert. Baader
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Mario Gomez über Timo Werner

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