Erbitterter Kampf um den Flugplatz Tegel
Die Zukunft eines Airports polarisiert Berlin. Über eine bizarre Debatte
Berlin Dass auch in Berlin am 24. September Bundestagswahl ist, nun ja, die Hauptstädter haben es registriert. Viel mehr bewegt viele jedoch eine ganz andere Abstimmung am selben Tag: ein Volksentscheid zur Zukunft des in Ehren ergrauten Flughafens Tegel. Der war einst ein Tor zur Freiheit im eingemauerten Westteil und soll eigentlich geschlossen werden, wenn der neue Hauptstadt-Airport BER am südöstlichen Stadtrand irgendwann einmal eröffnet.
Das beschlossen der Bund, Berlin und Brandenburg schon vor zwei Jahrzehnten. Doch was längst geklärt schien, kocht jetzt wieder hoch – und zwar heftiger denn je. Gegenspieler im Ringen um den inzwischen ebenso beliebten wie maroden Flughafen, der weit über seiner Kapazitätsgrenze arbeitet, sind die rotrot-grüne Koalition unter Regierungschef Michael Müller (SPD) auf der einen sowie CDU, FDP und AfD auf der anderen Seite. Sie schenken sich im Wahlkampf nichts, trommeln – je näher das Abstimmungsdatum rückt – immer heftiger für ihr Anliegen, kämpfen mit allerlei Tricks und Schlichen, zaubern Gutachten aus dem Zylinder. Jetzt verklagt das „Bündnis Berlin braucht Tegel“, hinter dem die FDP steht, gar den Senat.
Weil der kurz vor der Abstimmung noch 430000 Euro in die Hand nehmen und einen „Informationsbrief“an 1,2 Millionen Haushalte schicken will. In dem sollen noch mal die Argumente stehen, weshalb Tegel schließen müsse: rechtliche Gründe, Platz für neue Wohnungen, Wissenschaft und Erholungsflächen, Ende der Lärmbelastung für mindestens 300 000 Berliner. „Unangemessen“, „Machtmissbrauch“schimpft das Bündnis, das im Kampf um Tegel Waffengleichheit fordert, sich allerdings gleichzeitig von der Billigfluggesellschaft Ryanair finanziell unterstützen lässt.
100 Großplakate finanzieren die Iren, die – man kann es ihnen wohl unterstellen – weniger aus Sorge um das Gemeinwohl für Tegel mobilmachen, sondern aus knallhartem unternehmerischem Interesse. Hauptargument der Tegel-Befürworter: Weil die Passagierzahlen steigen und der BER schon jetzt zu klein sei, werde der alte Flughafen weiter gebraucht. Während vor einigen Wochen eine Mehrheit dafür sicher schien, schmolz der Vorsprung jüngsten Umfragen zufolge dahin. Der Ausgang des Volksentscheides ist also offen. Für „R2G“, wie der Berliner Regierungsdreier genannt wird, bringt die Abstimmung ein Dilemma. Einerseits ist mehr Bürgerbeteiligung ein Ziel im Koalitionsvertrag. Andererseits machen Müller & Co. nun immer wieder deutlich, dass der BER als Single-Flughafen rechtlich an die Tegel-Schließung gekoppelt und ein Aufschnüren des Pakets nicht mehr möglich sei. Sprich: Wie auch immer abgestimmt wird, es wird sich wohl nichts ändern – zumal auch der Bund und Brandenburg an den Planungen festhalten. In einer Demokratie und insbesondere am Tag einer Bundestagswahl eigentlich ein schwieriges Signal. Zupasskommt dem Senat, dass Gegenstand des Volksentscheids kein Gesetzentwurf, sondern eine Art Appell ist. Weder rechtlich noch politisch ist die Abstimmung für die Regierung
Die Union wechselte flugs auf die Seite der Tegel Fans
also bindend. Dennoch wäre eine Niederlage eine Klatsche für SPD, Linke und Grüne. Zu den Seltsamkeiten dieses Volksentscheides gehört aber auch eine CDU, von die der Wähler nicht recht wissen dürfte, woran er ist. Jahrzehntelang vertrat die Hauptstadt-Union die Schließung des Altflughafens, ehe sie im Juni nach einer Mitgliederbefragung auf die Seite der Tegel-Befürworter wechselte.
Problem dabei: Die CDU-Bundesvorsitzende und Kanzlerin Angela Merkel verwies jüngst zweimal darauf, dass sie aufgrund der rechtlichen Gegebenheiten keine Alternative zur Tegel-Schließung sehe. Weil keiner in der Union gegen Merkel Wahlkampf machen will, stellten zuletzt mehrere CDU-Bundestagsabgeordnete und -kandidaten den Weiterbetrieb Tegels öffentlich infrage.
Am Dienstag sah sich der Berliner CDU-Generalsekretär Stefan Evers genötigt klarzustellen, dass seine Partei beim Volksentscheid weiter für den Weiterbetrieb Tegels „ohne Einschränkung“eintrete und nicht für eine nur befristete Offenhaltung, wie Medien zuletzt den aktuellen Berliner CDU-Kurs verstanden haben wollten. „Man kommt bei den Kurskorrekturen der CDU gar nicht mehr hinterher“, spottete GrünenFraktionschefin Antje Kapek. „Wäre die CDU ein Pilot, wäre ihr Flugzeug wohl längst abgestürzt.“
Stefan Kruse, dpa