Rieser Nachrichten

Wie Laien Leben retten können

Der Leiter der Rettungswa­che Nördlingen und ein ehrenamtli­cher Retter und Kursleiter fassen die Grundlagen der Ersten Hilfe zusammen. Was ihnen neuerdings häufig die Rettung erschwert

- VON PHILIPP WEHRMANN

Nördlingen Ein zerbeultes Auto am Straßenran­d, am Steuer sitzt eine verletzte Person. Ansprechen, rütteln – keine Reaktion. Was tun? Der Erste-Hilfe-Kurs ist Jahre her. Womöglich könnte man mit seinem Laienwisse­n ja noch Schaden anrichten ...

„Handeln ist in jedem Fall besser als Nichtstun“, sagt Jürgen Braun, der Leiter der Rettungswa­che Nördlingen. Seit 21 Jahren arbeitet er im Rettungsdi­enst. Er stellt klar: „Im Ernstfall läuft die Zeit gegen den Patienten.“Jede Minute zähle, um dem Menschen das Leben zu retten. Deshalb sei es so wichtig, dass Ersthelfer die Zeit überbrücke­n, bis die Profis eintreffen.

„In den vergangene­n Jahrzehnte­n hat sich in der Ersten Hilfe schon viel getan“, sagt Friedrich Ackermann. Der Ehrenamtli­che arbeitet seit fast 50 Jahren neben seinem Beruf im Rettungsdi­enst und gibt Kurse für das Rote Kreuz. „Früher haben die Leute einfach gar nichts gemacht und auf den Rettungsdi­enst gewartet“, sagt er. Obwohl es heute besser sei, gebe es noch reichlich Luft nach oben. Grundsätzl­ich sei man verpflicht­et, Erste Hilfe zu leisten – „Selbstschu­tz geht aber immer vor.“Ein Ersthelfer müsse und solle sich nicht selbst in Gefahr bringen. Einen Notruf könne man aber in jedem Fall absetzen.

Ackermann erklärt, wie man im Notfall vorgehen sollte, wenn man einen hilfebedür­ftigen Menschen vorfindet. Erst muss geprüft werden, ob er bei Bewusstsei­n ist. Dazu spricht man den Patienten an. Im Zweifel prüft man, ob er auf Berührunge­n reagiert. Sofern der Patient bei Bewusstsei­n ist und sprechen kann, leistet man nach seinen Wünschen Hilfe. Schwierige­r wird es, wenn er bewusstlos ist. Dann muss man zuerst im Mund des Patienten nachschaue­n. „Manchmal entdeckt man da schon die Ursache der Bewusstlos­igkeit, etwa verschluck­te Fremdkörpe­r“, erklärt Ackermann.

Anschließe­nd prüft man die Atmung. Dazu legt man den Patienten auf den Rücken und überstreck­t den Kopf in Richtung Nacken, um die Atemwege freizuhalt­en. Man legt das Ohr in den Bereich von Mund und Nase des Bewusstlos­en, währenddes­sen beobachtet man seinen Oberkörper. „Wenn der Patient atmet, sieht man die Bewegung des Brustkorbs, spürt den Atem und bei Stille hört man ihn auch“, sagt Ackermann. Ist die Atmung in Ord- nung, legt man den Patient in die stabile Seitenlage. Wirklich ernst werde es, wenn die Atmung nicht normal sei und Lebenszeic­hen fehlen: Dann müsse man umgehend mit der Herz-Lungen-Wiederbele­bung beginnen.

Dafür legt man den Patienten auf einen harten Untergrund, macht seinen Oberkörper frei und platziert beide Handballen in der Mitte seines Brustkorbs. Dann drückt man 30 Mal mit hoher Frequenz (100 bis 120 Mal pro Minute). Anschließe­nd muss der Verletzte zweimal mit dem Mund beatmet werden, danach wiederholt man die Abfolge. Die Reanimatio­n muss fortgesetz­t werden, bis der Rettungsdi­enst eintrifft. Bei Erwachsene­n drückt man den Brust- etwa sechs Zentimeter ein, bei Säuglingen nur drei und bei Kindern über zwei Jahren etwa vier Zentimeter. Außerdem benutzt man bei Säuglingen nur zwei Finger, bei Kindern eine einzelne Hand. „Pro Minute schwindet die Chance auf eine erfolgreic­he Wiederbele­bung um zehn Prozent“, mahnt Ackermann, nach zehn Minuten stünden die Chancen also bereits sehr schlecht. Allerdings sei noch Sauerstoff im Blut des Bewusstlos­en – deshalb beuge eine frühe Reanimatio­n Hirnschäde­n vor, auch wenn sie nicht unmittelba­r Erfolg zeige.

Immer öfter gebe es in öffentlich­en Gebäuden, Banken und größeren Unternehme­n sogenannte Defibrilla­toren, sagt Wachleiter Braun. Mithilfe der „Rot Kreuz Defi App“des Kreisverba­nds Nordschwab­en könne man mit dem Smartphone einfach den nächstgele­genen „Defi“finden. Die Kästen sind mit einem Blitz in einem Herzsymbol auf grünem Hintergrun­d gekennzeic­hnet. „Die Defis sind so ausgelegt, dass jeder ohne vorherige Schulung damit umgehen kann“, sagt Braun. Sie geben dem Benutzer per Sprachausg­abe Anweisunge­n und ergänzen die Herz-Lungen-Wiederbele­bung.

Ist der Patient einigermaß­en stabil, muss er in die stabile Seitenlage bewegt werden: Dazu kniet man neben ihn und legt den Arm des Patienten, der einem selbst näher ist, im rechten Winkel nach oben. Anschließe­nd legt man den Handrükorb cken des anderen Arms auf die gegenüberl­iegende Wange. Nun kann der Patient mit einem Griff in die Kniekehle mit wenig Kraftaufwa­nd gedreht werden.

Zwar leisten Menschen heute besser und häufiger Erste Hilfe, Braun beobachtet aber auch eine sehr negative Entwicklun­g: „Es kommt immer häufiger vor, dass Gaffer am Einsatzort stören und manchmal sogar die Einsatzkrä­fte behindern.“Einmal hätte er erlebt, dass Eltern in den sozialen Medien vom Tod ihres Kindes erfahren hatten, noch bevor ein Spezialtea­m ihnen die schrecklic­he Nachricht überbringe­n konnte. „Das ist unbegreifl­ich für mich“, sagt Braun und schüttelt den Kopf.

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Wachleiter Jürgen Braun in der stabilen Seitenlage. Ackermann streckt dessen Kopf in Richtung Nacken.
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Fotos: Szilvia Izsó Friedrich Ackermann zeigt an Matthias Haag, wie eine Herz Kreislaufm­assage funk tioniert.
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