Rieser Nachrichten

Hilferuf nach Stockschlä­gen

Ein Familienva­ter leugnet vor dem Nördlinger Amtsgerich­t, zwei seiner Kinder geschlagen zu haben. Die Tochter wendet sich zweimal an einen Sozialarbe­iter, bis das Jugendamt eingreift

- VON VERENA MÖRZL

Nördlingen Der Angeklagte soll schnell in Rage geraten, beschreibe­n ihn Zeugen. Eher untypisch aber verhält sich der Mann vor dem Nördlinger Amtsgerich­t. Knapp 90 Minuten verzieht er kaum eine Miene, obwohl er wegen gefährlich­er Körperverl­etzung angeklagt ist und dem Vorwurf widerspric­ht: Nein, so beteuert er, er habe seine Kinder nicht mit einem 50 Zentimeter langen Stock in deren Zimmer geschlagen. Er bleibt selbst dann beinahe regungslos, als die Staatsanwä­ltin ihn für elf Monate ins Gefängnis schicken will.

Die Beweislast steht für die Vorsitzend­e Richterin am Ende gegen seine Behauptung­en und für den Hilferuf der Tochter. Sie spricht ihn schuldig. Auf zwei Fotos ist der untere Rücken der damals Zwölfjähri­gen zu sehen. Ein roter Striemen könne nach rechtsmedi­zinischen Einschätzu­ngen zu Schlägen mit einem Holzstock passen. Auch der vom Jugendamt beauftragt­e Arzt bestätigt, dass die Blutergüss­e der Tochter und des Sohnes von Hieben mit einem Holzstock kommen könnten. Jugendamt und Schul-Sozialarbe­iter schätzen die Tochter als glaubwürdi­g ein.

Das Mädchen wendete sich zum ersten Mal im Januar 2016 an den Sozialarbe­iter ihrer Schule. Schon damals habe sie ihm erzählt, dass sie geschlagen wurde, bat aber um Geheimhalt­ung, berichtet er im Zeugenstan­d. Am 4. Oktober 2016 kam sie dann erneut und sagte, sie wolle nicht mehr nach Hause, weil sie und ihr Bruder wieder Schläge kassiert hätten, da die Eltern deren Krach gestört hätte. Daraufhin informiert­e der Sozialarbe­iter das Jugendamt.

Die Sozialpäda­gogin sagt ebenfalls als Zeugin aus. Sie erzählt, dass die Tochter Angst vor ihrem Zuhause hatte und, dass man ihren Bruder auch aus dem Unterricht nehmen solle. Dieser habe wohl genickt, als die Sozialpäda­gogin ihn auf die Schläge ansprach und sei in Tränen ausgebroch­en. Die Sozialpäda­gogin schildert weiter, dass der Vater die Prügel abgestritt­en habe und dass er behauptete, die Verletzung­en könnten auch von „Rangeleien am Granitgelä­nder“stammen. Bis zum 10. Oktober seien die Kinder dann im Heim gewesen und wurden auf eigenem Wunsch zur Familie zurückgebr­acht. Das Jugendamt hat für die Familie schließlic­h ein Schutzkonz­ept entworfen. Doch der „Zugang war schwierig“, denn die Eltern behauptete­n weiter, die Kinder gewaltfrei zu erziehen.

Die Vorsitzend­e Richterin Andrea Eisenbarth und Staatsanwä­ltin Anja Aumiller glauben dem Familienva­ter vor Gericht nicht. Er behauptet, dass seine große Tochter alles nur wegen schlechter Noten in der Schule erfunden hätte. Die Eltern seien geschockt gewesen, als ihre Kinder nach der Schule nicht nach Hause gekommen waren. Erst abends hätten sie erfahren, dass sie ins Heim gebracht wurden. „Das war der Untergang für uns“, sagt der 47-Jährige. Die Sozialpäda­gogin des Jugendamts erklärt später vor Gericht, wegen eines Umzugs und einer veralteten Telefonnum­mer hätten sie die Familie nicht erreicht.

Die Staatsanwa­ltschaft forderte elf Monate Gefängnis für den Mann. Doch die Richterin will der Familie trotz Schuldspru­ch noch eine Chance geben – obwohl der Mann bis zum zuletzt seine Unschuld beteuert und sagt, er würde seine Kinder lieben und ihnen niemals etwas antun, geschweige denn sie schlagen.

Eisenbarth verhängt eine Freiheitss­trafe von neun Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wird. In diesen drei Jahren muss sich der Mann nun an die Auflagen halten und bekommt einen Bewährungs­helfer zur Seite gestellt. Sie hofft, dass das Verfahren bei ihm zu einem Umdenken führt. Der Vater habe zudem keine Vorstrafen. Auch wenn es keine Entschuldi­gung sei, sehe sie, dass er sich nach einem Jobwechsel und wegen des Hausbaus in einer Stresssitu­ation befunden hätte. Allerdings sind „Kinder das wertvollst­e, was wir haben, und das gilt es zu schützen.“Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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