Wenn Eltern zu viel wollen
Der Bestsellerautor Josef Kraus kommt nach Nördlingen. Im Interview erklärt er vorab, welche Folgen es hat, wenn Mama und Papa ihr Kind in Watte packen
Nördlingen Josef Kraus, Autor des Bestsellers „Helikoptereltern“, kommt nach Nördlingen. Der Pädagoge spricht am Dienstag, 19. September, um 19.30 Uhr in der Realschule Maria Stern in Nördlingen (Turnhalle, Eingang über Hüttengasse) zum Thema „Helikoptereltern – Vorsicht mit Förderwahn und Verwöhnung“. Eintrittskarten gibt es im Vorverkauf für vier Euro (Reisebüro Schwarzer, Ries-Apotheke, Haus für Kinder) und an der Abendkasse für Kurzentschlossene. Ab 18 Uhr ist Einlass. Der Förderverein „Haus für Kinder“sorgt für die Bewirtung. Die Rieser Nachrichten haben vorab mit Josef Kraus gesprochen.
Herr Kraus, in Ihrem Buch „Helikoptereltern“beschreiben Sie, wie immer mehr Eltern um ihre Kinder kreisen, alles bestimmen und die Kinder beschützen und überwachen wollen. Was ist denn so schlimm daran, das „Beste“für sein Kind zu wollen?
Das Beste ist oft das Gegenteil von Gut. Wenn ein Kind rundum in Watte gepackt und ihm jedes Stäubchen aus dem Weg geräumt wird, kann es nie selbstständig werden. Und wenn es nie selbst etwas schafft, kann es auch kein Selbstwertgefühl entwickeln. Diese Kinder verlassen sich immer auf die Eltern. Jedoch sollten Kinder immer das selbst erledigen, was sie schon selbst können.
Ihr Buch ist vor vier Jahren erschienen. Seit wann beobachten Sie das Phänomen Helikoptereltern?
Kraus: Als Schulpsychologe habe ich Helikopter-Auswüchse schon in den 1980ern und 90ern gesehen. Ab 2000 hat es deutlich zugenommen, und der Trend ist ungebremst. Es gibt Transporthubschrauber-Eltern, Rettungshubschrauber-Eltern und Kampfhubschrauber-Eltern. Das Phänomen greift um sich. Kinderärzte sagen mir, dass Eltern mit fertigen Behandlungsplänen in die Praxis kommen, Polizeischüler erzählen mir, dass es nicht akzeptiert wird, wenn einem Kind der Fahrradführerschein aus berechtigten Gründen nicht gegeben wird.
Ist das übertriebene Umsorgen vielleicht ein Ausgleichsversuch der Eltern, wenn die Kinder viel fremdbetreut werden?
Kraus: Das latent schlechte Gewissen haben viele berufstätige Eltern. Die schlechte Folge ist dann aber, dass die verbleibende Zeit vollgestopft wird. Am Wochenende gibt es ein durchgestyltes Programm, statt ein- fach mal zur Ruhe zu kommen. Da will man dann bloß nichts versäumen. So verfällt man in einen Förderwahn.
In unserem ländlichen Raum werden viele Kinder auch von den Großeltern regelmäßig betreut. Ist da auch die Gefahr der Verwöhnung gegeben? Kraus: Das Problem ist die EinKind-Familie insgesamt. Kinder haben weniger Gleichaltrige und mehr Erwachsene um sich. Auch hier gilt es, die richtige Mischung zu finden. Grundsätzlich ist das Helikopter-Phänomen in den Städten noch ausgeprägter als auf dem flachen Land.
Fängt der Förder- und Überwachungswahn nicht schon in der Schwangerschaft an? Wenn man bedenkt, wie viele Vorsorgeuntersuchungen inzwischen üblich sind …
Kraus: … das geht auch schon bei der Zeugung los. Manche Eltern wollen, dass das Kind zu einem bestimmten Zeitpunkt auf die Welt kommt, damit die Einschulung dann günstig liegt. Apropos Einschulung. Die Zahl der Rückstellungen ist in Bayern in den vergangenen 15 Jahren von drei auf über zehn Prozent eines Jahrgangs gestiegen. Immer mehr Kinder werden erst mit sieben Jahren eingeschult. Wie ist das einzuordnen?
Kraus: Es gibt berechtigte Gründe für eine Rückstellung. Aber oft ist das ein durchsichtiges Manöver, da knallt der elterliche Ehrgeiz durch. Sie denken, dass das Kind in der Schule besser mitkommt, wenn es älter ist. Und ein besserer Start in der Grundschule macht den Übertritt aufs Gymnasium sicherer. Das halte ich für falsch. Das ganze Gejammer um den Schulstress ist Gejammer auf hohem Niveau. Ich teile diese Ansicht nicht.
Was können und dürfen Eltern von der Schule erwarten – und umgekehrt? Kraus: Primär sind die Eltern für die Erziehung, die Schule für die Bildung zuständig. Die Eltern sorgen dafür, dass die Kinder einen sozialen und kommunikativen Umgang erlernen und ausgeschlafen und ohne Montagssyndrom in die Schule gehen. Die Schule kann im Gegenzug von den Eltern nicht verlangen, dass sie mit den Kindern üben, üben, üben. Eltern sind nicht die Nachhilfelehrer der Nation.