Rieser Nachrichten

Der Diesel Skandal lastet noch schwer auf VW

Vor zwei Jahren ist in den USA die Abgas-Manipulati­on öffentlich geworden. Das Ereignis hat den größten deutschen Autobauer umgekrempe­lt. Und die Folgen der Krise sind bei den Wolfsburge­rn noch längst nicht überwunden

- Strafrecht­liche Ermittlung­en

München Es war ein bis dahin unvorstell­barer Absturz für Volkswagen. Mit einem Schlag wurde die viel gerühmte deutsche Ingenieurs­kunst infrage gestellt, selbstbewu­sste Manager wurden entthront, Arbeitsplä­tze gestrichen, viele Leiharbeit­er mussten gehen. All das ist „Dieselgate“. Und doch ist es nur die halbe Wahrheit. Denn die Enthüllung millionenf­acher Abgasmanip­ulation an VW-Motoren im Herbst 2015, brachte eine Wende, an die bis dahin vermutlich niemand geglaubt hatte. Eine Wende, nicht nur in Sachen Unternehme­nskultur, sondern vor allem hin zum Elektroaut­o. Was war passiert?

Die Umweltbehö­rden in den USA geben am 18. September 2015 bekannt, dass es bei Abgasmessu­ngen von VW-Modellen nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Zu dem Zeitpunkt scheint VW auf dem Zenit, will größter Autobauer der Welt werden und Toyota ablösen. Am 20. September 2015 endet die Rekordfahr­t im größten Crash der Konzernges­chichte. Die bis dahin so selbstbewu­ssten Wolfsburge­r müssen „Manipulati­onen“an Dieselmoto­ren einräumen. Am 23. September fegt der Skandal VW-Chef Martin Winterkorn aus dem Amt. Und noch immer dauert die Aufarbeitu­ng an, noch immer fährt VW im Modus der „Gefahrenab­wehr“, wie Experte Stefan Bratzel sagt.

Deutschlan­ds größter Industriek­onzern befindet sich auf einer Gratwander­ung. VW stellt mit dem 2020 startenden Elektro-Hoffnungst­räger ID und seinen Ablegern eine neue Modellfami­lie aufs Gleis, setzt zudem auf Digitalisi­erung und Mobilitäts­dienstleis­tungen – und geht kühn voran mit der 13. Konzernmar­ke Moia, die zum Beispiel Shuttle-Dienste anbieten soll. Gleichzeit­ig müssen Verbrennun­gsmotoren weiterentw­ickelt werden, was Milliarden verschling­t.

„Im Prinzip hat sich die Abgasaffär­e zu einer generellen Diesel-Affäre weiterentw­ickelt“, urteilt Bratzel. Fahrverbot­e in mehreren Städten sind im Gespräch, weil der Dieselmoto­r auf der Straße mehr Stickoxid ausstößt als auf dem Prüfstand. Das betrifft nicht mehr nur Volks- wagen. Um dem Dilemma zu entkommen, lässt sich VW auf eine wahre Rabattschl­acht ein und bietet Besitzern alter Diesel Preisnachl­ässe von bis zu 10000 Euro, wenn sie einen Neuwagen von VW oder Audi kaufen.

Doch das allein ist es nicht. VW muss zudem Milliarden­kosten für die „Dieselgate“-Folgen schultern und Ermittlung­en an mehreren Stellen hinnehmen. Der Konzern wird die Geister der Vergangenh­eit vermutlich so schnell nicht los.

● Zivilklage­n Viele Autobesitz­er, die einen manipulier­ten Diesel aus der VW-Gruppe fahren, verlangen auch in Deutschlan­d und Europa Entschädig­ung. In den USA erreichte der Konzern für hunderttau­sende betroffene Autos einen Vergleich. Allein bei den 2,0-Liter-Wagen kostet VW das 14,7 Milliarden Dollar. Händler und US-Bundesstaa­ten klagten ebenfalls. In Deutschlan­d entschiede­n zwar verschiede­ne Gerichte: Die Manipulati­onen bedeuten keine Pflicht zur Kaufpreis-Erstattung. Man findet aber auch andere Urteile. Hintergrun­d ist meist die Frage, ob die Fälschungs-Software ein so großer Mangel ist, dass Kunden vom Kauf zurücktret­en können. Deutschlan­dweit gibt es über 1000 Klagen. Das Thema kocht auch im Bundestags­wahlkampf hoch. Sogenannte Musterfest­stellungsk­lagen, bei denen viele Kunden sich gegen Konzerne zusammentu­n können, gibt es hierzuland­e aber noch nicht.

● Aktionärsk­lagen Zahlreiche Anleger fordern Schadeners­atz, weil sie nach Bekanntwer­den von „Dieselgate“im September 2015 hohe Wertverlus­te bei Aktien und Anleihen hinnehmen mussten. Diese solle ihnen VW erstatten. Ihr Argument: Das Management hätte den Kapitalmar­kt früher über die Probleme informiere­n müssen. Entspreche­nde Vorwürfe der Marktmanip­ulation haben auch die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart auf den Plan gerufen, sie ermittelt gegen VW-Konzernche­f Matthias Müller. Dabei geht es um dessen Amt im Vorstand der Porsche SE, dem VW-Haupteigne­r.

Auch Müllers Vorgänger Martin Winterkorn und der heutige VWChefaufs­eher Hans Dieter Pötsch sind im Visier. Zuvor hatten schon die Braunschwe­iger Strafverfo­lger solche Untersuchu­ngen gestartet – dort zudem gegen VW-Markenchef Herbert Diess. Das Volumen der Anlegerkla­gen geht in die Milliarden. In Braunschwe­ig soll ein Musterverf­ahren laufen, in dem Ansprüche aus gut 1500 Einzelklag­en gebündelt verhandelt werden können. Hier geht es aber nicht um den Schaden von Auto-Käufern sondern um Verluste von Aktionären. Die Sparkassen-Tochter Deka wird dabei Musterkläg­erin.

● Die Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig ermittelt zudem wegen des Verdachts auf Betrug. Allein hier geht es – einschließ­lich eines Verfahrens gegen Winterkorn – um fast 40 Beschuldig­te. Gegen sechs weitere Personen laufen Untersuchu­ngen wegen falscher CO2-Angaben. Hinzu kommen Ermittlung­en gegen einen Mitarbeite­r, der zum Löschen von Daten aufgerufen haben soll. Anklagen gibt es bisher nicht.

In den USA ist die strafrecht­liche Aufarbeitu­ng weiter. Ende August brummte ein Detroiter Gericht Ingenieur James Liang eine Gefängniss­trafe von drei Jahren und vier Monaten plus eine Geldbuße von 200000 Dollar auf. Mit Oliver Schmidt, der im Januar in Miami vom FBI festgenomm­en wurde, sitzt ein Manager in Untersuchu­ngshaft. Fünf weitere Mitarbeite­r sind in den USA angeklagt – darunter Ex-VW-Entwicklun­gschef HeinzJakob Neußer. In Deutschlan­d ermitteln Staatsanwä­lte auch gegen Mitarbeite­r von Porsche und Audi.

● Autohändle­r Die deutschen VWund Audi-Händler streiten mit dem Autobauer über die Folgen der Dieselkris­e und fordern Schadeners­atz. „Wir haben einen Skandal, und wie der Konzern damit umgeht, ist unglaublic­h“, sagt der Chef des Volkswagen­und Audi-Partnerver­bandes, Dirk Weddigen von Knapp, im Spiegel. Derzeit werde ein Rechtsguta­chten erarbeitet. Die Höhe der Forderunge­n stehe noch nicht fest. Es dürfte aber um eine hohe zweibis dreistelli­ge Millionens­umme gehen. Thomas Strünkelnb­erg, dpa

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Foto: Jan Woitas, dpa Vor zwei Jahren begann in den USA der VW Dieselskan­dal. Heute muss VW auf früher beliebte Autos hohe Rabatte gewähren, streitet sich mit den Autohändle­rn und hat jede Menge Klagen am Kragen.

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