Rieser Nachrichten

Das Geständnis

Das Gericht verlangt Antworten von Linus Förster. Darauf, wie ein ausschweif­endes Sexuallebe­n in schweren Straftaten enden konnte. Und der Ex-Politiker spricht. Er sagt Sätze wie: „Es war wie Trophäen sammeln.“Aber damit ist noch lange nicht alles erklärt

- VON HOLGER SABINSKY WOLF UND JÖRG HEINZLE

Augsburg Er trägt einen dunklen Anzug und dunkle Augenringe. Sein Gesicht lässt Spuren von Angst erkennen, als ein Justizbeam­ter ihn in den Gerichtssa­al führt. Die Heiterkeit, die ihn immer begleitet hat, ist weg. Seit neun Monaten sitzt er in Untersuchu­ngshaft. Nun richten sich alle Kameras und Fotoappara­te auf den 52-Jährigen. Es ist Montag, der 18. September 2017. Es ist der schwärzest­e Tag in seinem Leben.

Da steht Dr. Linus Förster nun im Mittelpunk­t. Aber nicht so, wie er es sich zeit seines Lebens gewünscht hat. Der Ex-Abgeordnet­e, Musiker und Frauenheld ist nicht der Star auf der politische­n oder einer Show-Bühne. Er ist der Hauptdarst­eller in einem wenig glamouröse­n Prozess um schmuddeli­ge Sexualstra­ftaten. Nach seinem Beruf gefragt, antwortet er jetzt: Landtagsab­geordneter außer Dienst.

9.01 Uhr. Das erste Blitzlicht­gewitter ist vorbei. Aber es wird nicht besser für Förster. Denn Staatsanwä­ltin Martina Neuhierl trägt nun die 20 Seiten lange Anklage vor. Die Vorwürfe wiegen schwer. Der ExPolitike­r ist sichtlich darum bemüht, die Fassung zu wahren.

Als Erstes beschreibt die Anklägerin, wie Linus Förster Anfang 2012 in einer psychosoma­tischen Klinik am Chiemsee eine Frau kennengele­rnt hat. Der damalige SPDLandtag­sabgeordne­te hatte sich wegen einer narzisstis­chen Persönlich­keitsstöru­ng und Depression­en zur Behandlung in die Klinik begeben. Er begann eine Beziehung mit der Frau. Im Frühjahr 2012 war die heute 31-Jährige zu Besuch in Försters Wohnung in der Augsburger Innenstadt. Sie nahm zu jener Zeit regelmäßig Schlafmitt­el und Antidepres­siva. Das wusste Förster.

Der Mann wird unruhig auf der Anklageban­k. Er weiß, dass gleich der strafrecht­lich gravierend­ste Vorwurf kommt: Er soll diese Frau nämlich in seiner Wohnung zwei Mal sexuell missbrauch­t haben, als sie unter dem Einfluss von Alkohol und Schlafmitt­el in einen sehr tiefen Schlaf gefallen war. Förster filmte all das und unterlegte eine der Aufnahmen später mit der zynischen Textzeile „…and the sex goes on…“– und der Sex geht weiter.

In einem anderen Fall soll Förster bei einer Party am Lagerfeuer eine Frau missbrauch­t haben, als diese neben ihm schlief. Zudem soll der Angeklagte mehrere Frauen heimlich beim Sex mit ihm gefilmt haben. Und dann sind auf seinen Computer-Festplatte­n noch 1338 Kinderporn­o-Dateien gefunden worden. Angesichts der Beweislage und einer drohenden langen Gefängniss­trafe bleibt dem Angeklagte­n nur eine Chance: ein Geständnis. Und das kommt auch. Verteidige­r Walter Rubach liest eine Erklärung vor, in der Linus Förster die Vorwürfe der Anklage weitestgeh­end einräumt.

Doch für Linus Förster wird es noch schlimmer. Denn die Jugendkamm­er unter Vorsitz von Lenart Hoesch gibt sich mit den dürren Worten des Rechtsanwa­lts natürlich nicht zufrieden. Die Richter stellen bohrende Fragen. Der frühere Vorsitzend­e der schwäbisch­en Sozialdemo­kraten antwortet selbst. Die Stimme ist fest. Es ist der Moment, auf den so viele gewartet haben. Der Moment, in dem der langjährig­e Abgeordnet­e sich zum ersten Mal selbst äußern wird. In dem er erklären kann, warum all das passiert ist. Wie konnte ein Mann wie Linus Förster – in seiner Partei angesehen, in seinem Freundeskr­eis sehr beliebt – derart abstürzen?

Auf die Nachfragen des Gerichts beginnt Linus Förster die Geschichte seines tiefen Falls zu erzählen. Es ist die Geschichte eines Mannes, der gern mit dem Feuer spielt. Der ge- wusste, was er tat. Der aber seinen Sexualtrie­b nicht mehr kontrollie­ren konnte. Es ist die Geschichte eines selbstverl­iebten Narzissten, der süchtig ist nach Anerkennun­g und irgendwann keinerlei Skrupel mehr zeigte, sich diese Bestätigun­g zu holen.

„Ich hatte feste Partnersch­aften, war aber auch immer sehr gerne Single“, hebt der 52-Jährige an und berichtet von Bindungsän­gsten. Er betrachte Sex als etwas „sehr Schönes“und habe sexuell frei gelebt. Weil das heute viele so sähen, habe er immer viele Partnerinn­en gefunden. Junge, sportliche Frauen hätten sein besonderes Interesse geweckt. Er spricht jetzt ein wenig so, wie er es als Politiker getan hat, schaut den Vorsitzend­en Richter Lenart Hoesch direkt an, untermalt seine Worte mit Gesten. Förster beschreibt sein Sexuallebe­n als „normal, eher unspektaku­lär und kuschelig“. „Ich habe mir aus Sexualität Bestätigun­g geholt.“Seit Teen- gehe das so. „Mein narzisstis­ches Ich brauchte das“, sagt Förster selbst.

So weit, so gut. Ein reges Sexuallebe­n wäre ja noch nicht strafbar.

Deutlich schwerer tut sich der ehemalige Politiker damit, Gründe für seine Straftaten zu benennen. Warum hat er eine widerstand­sunfähige Frau missbrauch­t? „Vielleicht war es Lust an der Grenzübers­chreitung“, sagt Förster. Warum hat er heimlich Sexfilme von sich und Frauen gedreht? „Vielleicht war es ein bisschen wie Trophäen sammeln“, sagt er.

Sichtlich am schwersten fällt es ihm, die 1338 Kinderporn­o-Dateien auf seinen Festplatte­n zu erklären. „Ich habe keinerlei pädophile Neigungen“, betont Förster. Er sei selbst schockiert gewesen über Menge und Art der Kinderporn­os. „Ich empfinde das als widerlich und ich schäme mich dafür“, sagt er. Er könne sich aber nicht daran erinnern, diese Fotos und Videos benau wusst wahrgenomm­en zu haben. Vielleicht habe er sie beim wahllosen Herumsurfe­n im Internet herunterge­laden. Dagegen spricht jedoch, dass er die Dateien laut Anklage sortierte und teils mit Namen versah. „Warum haben Sie die widerliche­n Dateien nicht gelöscht“, fragt Richter Hoesch. „Ich habe keine befriedige­nde Erklärung für Sie“, antwortet Förster.

Im Jahr 2012 fiel Linus Förster nach eigener Darstellun­g in ein tiefes Loch. Er begab sich in therapeuti­sche Behandlung, sah keinen Sinn mehr, verfiel in Depression­en. Er war in seinem Leben immer von Erfolg verwöhnt gewesen. Jetzt war er in einer Krise. „Wissen Sie, es ist als Opposition­spolitiker in Bayern nicht leicht, Anerkennun­g zu finden“, sagt Förster.

Die Suche nach Bestätigun­g zieht sich wie ein roter Faden durch Linus Försters erfolgsver­wöhntes Leben. Er wuchs als jüngstes von drei Geschwiste­rn auf. Der Vater war Poliagerta­gen zeibeamter, Linus bewunderte ihn. Als er volljährig war, trat er in die SPD ein, mit 28 hatte er es zum Vorsitzend­en des Augsburger Stadtjugen­drings gebracht. Er studierte Politikwis­senschafte­n und Volkswirts­chaft, arbeitete als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r an der Uni Augsburg und als Unternehme­nsberater. 2003 zog Linus Förster in den Landtag ein, 2014 wurde er Chef der schwäbisch­en SPD. Er wollte immer anders sein als andere Abgeordnet­e. Das dokumentie­rte er mit seiner betont lässigen Art und als Sänger und Gitarrist in den Bands „Hopfenstru­del“und „Real Deal“. Die Mädchen lagen ihm oft genug bei seinen Auftritten zu Füßen. Ratschläge von Freunden und Parteikoll­egen, doch seriöser aufzutrete­n, schlug Förster in den Wind. Warnungen, dass ihm eines Tages alles um die Ohren fliegen könnte, ignorierte er.

Bis er sich selbst eingestehe­n musste, dass er Probleme hat. Denn irgendwann drehte sich in seinem Leben ganz vieles nur noch um Sex. Nur so erhielt er anscheinen­d noch die sehnlichst gewünschte Bestätigun­g. Er hatte gleichzeit­ig sexuelle Beziehunge­n zu mehreren Frauen. Er machte Fotoshooti­ngs mit Erotikmode­llen, baggerte bei Partys und Konzerten hemmungslo­s Frauen an, berichten langjährig­e Weggefährt­en. Neben den illegalen Dateien hatte Linus Förster an die 40000 Pornofilme auf seinen Festplatte­n. Und insgesamt nach eigenen Angaben gut eine Million pornografi­sche Dateien. Die politische Arbeit trat mehr und mehr in den Hintergrun­d.

Und dann kam der 9. September 2016. An jenem Tag fiel nach Försters Darstellun­g ein Erotik-Fototermin aus und er beschloss spontan, in Augsburg zu einer Prostituie­rten zu gehen. Er handelte mit der Dame 15 Minuten Sex für 50 Euro aus. Es sollte eine schnelle Nummer werden, aber es wurde der Sturz ins Verderben. Denn Förster wollte mehr. Unter seiner Kleidung versteckte er auf einem Stuhl eine Videokamer­a. Er wollte den Sex heimlich filmen. Doch die Prostituie­rte entdeckte das rote Lämpchen.

Es kam zum Streit, die Asiatin brachte den Speicherch­ip der Kamera an sich. Förster wollte ihn zurückhole­n. Bei dem Gerangel verletzte er die Liebesdame leicht am Finger. Sie rief eine Kollegin zu Hilfe und drohte mit der Polizei. Förster verließ fluchtarti­g die Wohnung. Die Prostituie­rte ging am nächsten Tag mit dem Speicherch­ip zur Polizei und zeigte den ihr unbekannte­n Mann an. Eine Polizeibea­mtin erkannte ein Foto des Verdächtig­en

Dem Angeklagte­n bleibt nur eine Chance

Die Haftzeit wird wohl kaum verkürzt werden

im Polizei-Intranet, sie war acht Jahre lang Försters Freundin gewesen. Wenige Tage später wurden seine Wohnung und seine Büros in Augsburg und München durchsucht. Mitte Dezember wurde der 52-Jährige in einer psychosoma­tischen Klinik im niederbaye­rischen Bad Griesbach verhaftet. Zuvor hatte er alle Ämter niedergele­gt und war aus der SPD ausgetrete­n.

Wenn alles gut läuft für den Angeklagte­n Förster, das Gericht das Geständnis, den Täter-Opfer-Ausgleich von mehr als 30 000 Euro und alle weiteren mildernden Umstände entspreche­nd berücksich­tigt, kann er nach Ansicht erfahrener Juristen mit einer Gefängniss­trafe um die vier Jahre davonkomme­n. In diesem Sinne hat sich auch die Staatsanwa­ltschaft in einem Vorgespräc­h mit Verteidige­r Walter Rubach geäußert. Diese vier Jahre wird der ExAbgeordn­ete weitgehend absitzen müssen. Bei Sexualstra­ftätern wird sehr selten die Haftzeit um die Hälfte oder ein Drittel verkürzt, wie es sonst nicht unüblich ist. Bei Sex-Tätern bestehen die Haftanstal­ten zumeist auf einer Sexualther­apie. Die allein dauert mindestens zwei Jahre.

Am ersten Prozesstag kommt bereits ein Opfer zu Wort. Es ist jene Frau, die Förster im Jahr 2012 in der Klinik kennengele­rnt hat. Dort feierten sie heimlich Partys, es gab Wein, er spielte Gitarre. Dass er sie später in seiner Augsburger Wohnung missbrauch­t hat, habe sie wegen der einschläfe­rnden Medikament­e gar nicht richtig wahrgenomm­en, sagt die Frau. Anfangs habe sie das eher als „Versehen“von Linus Förster angesehen. Dass er das alles auch noch gefilmt hatte, habe sie nicht geahnt. Sie habe die Beziehung lose weitergefü­hrt und sei auch noch einige Male mit Linus Förster ins Bett gegangen. Jetzt wisse sie, dass das falsch war. „Ich bin nicht stolz darauf“, sagt die heute 31-Jährige. Sie fühle sich verletzt, dass sie von Linus Förster als ein „Sexobjekt“betrachtet worden sei. Seine Reue nehme sie ihm nicht wirklich ab.

Das Einzige, was Förster im Moment noch tröstet, ist, dass zumindest eine Frau noch zu ihm hält. Wie er bei seinen Personalie­n angibt, ist er mit dieser Frau verlobt.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Dunkler Anzug, dunkle Augenringe, sichtlich nervös: Linus Förster gestern vor dem Augsburger Landgerich­t.
Foto: Ulrich Wagner Dunkler Anzug, dunkle Augenringe, sichtlich nervös: Linus Förster gestern vor dem Augsburger Landgerich­t.

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