Rieser Nachrichten

Die Welt retten – notfalls von Jamaika aus

Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir wollen mit den Grünen zurück in die Regierung. Im Schlussspu­rt setzt die Doppelspit­ze auf Bienen, Schmetterl­inge – und ein klares Bekenntnis zur inneren Sicherheit

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Wenn es um alles geht, wird nichts dem Zufall überlassen. Schon gar nicht die Wahl des Ortes, an dem sich die Spitzenkan­didaten der Grünen die Energie für den RestWahlka­mpf holen wollen. Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir treten ihren Schlussspu­rt im Gasometer in Schöneberg an. In dem riesigen Behälter, 1913 erbaut, wurde einst der Stoff gespeicher­t, mit dem die Berliner kochten, heizten und ihre Straßenlat­ernen betrieben. Heute ist das Industried­enkmal, ein 78 Meter aufragende­r Zylinder aus Stahl, Mittelpunk­t eines Forschungs­zentrums für alternativ­e Energie.

Im Gasometer gibt Katrin Göring-Eckardt vom ersten Moment an Vollgas: „Es ist noch alles drin“, ruft die Spitzenkan­didatin ins Parteipubl­ikum, stößt dabei energisch mit dem Zeigefinge­r in die Luft. Am kommenden Sonntag werde den Grünen ein „Überraschu­ngscoup“gelingen. Die Partei will nach zwölf Jahren Opposition endlich wieder mitregiere­n, am besten als drittstärk­ste Kraft nach Union und SPD. Doch unter den kleineren Parteien haben die Grünen im Moment die schlechtes­ten Karten. AfD und Linksparte­i liegen in Umfragen vor ihnen.

Da es für die derzeit keine realistisc­hen Koalitions­optionen gibt, richten sich alle Blicke auf die FDP. Die Liberalen sind Hauptgegne­r und doch möglicher Koalitions­partner in einem „Jamaika-Bündnis“mit der Union. Katrin Göring-Eckardt, die jugendlich wirkende 51-Jährige, lässt nicht viel Zeit verstreich­en bis zur Attacke auf die Freien Demokraten und ihren Chef Christian Lindner. Die FDP sei gegen Klimaschut­z, wolle mehr Leiharbeit und längere Arbeitszei­ten. „Gerecht ist was anderes“, sagt sie.

Die Grünen dagegen würden in einer Regierung die Kinderarmu­t bekämpfen und eine wirksame Mietpreisb­remse einführen, sagt Göring-Eckardt. In der DDR hatte sie evangelisc­he Theologie studiert, in der Wendezeit zur Politik gefunden. Die engagierte Christin, bis 2013 Präses der Synode der Evangelisc­hen Kirche, lebt getrennt von ihrem Ehemann, mit dem sie zwei Söhne und fünf Enkel hat.

So engagiert und kämpferisc­h sie im Gasometer auftritt – GöringEcka­rdt gilt als kompromiss­bereit, als eher risikosche­u. Überrasche­nde Forderunge­n stellt sie im Wahlkampf nicht. Und das wohl aus gutem Grund. Immer wieder standen die Grünen dem eigenen Erfolg mit Ideen im Weg, die der Mehrheit der Bürger als Unsinn erschienen. Dass der Liter Benzin fünf Mark kosten soll, hieß es 1998. Später sollte ein fleischfre­ier „Veggie-Day“den Deutschen das Schnitzel abgewöhnen. Nachdem mit dem Atomaussti­eg und der erst vor kurzem beschlosse­nen „Ehe für alle“alte grüne Kernforder­ungen erfüllt sind, fehlt in diesem Wahlkampf das große Thema. Darüber kann auch Göring-Eckardt kaum hinwegtäus­chen.

Schon vor vier Jahren war sie Teil des grünen Spitzenduo­s, damals mit Jürgen Trittin. Dieses Mal tritt sie zusammen mit Cem Özdemir an, der wie sie Teil des realpoliti­schen Parteiflüg­els ist. Trotzdem gibt es zwischen den beiden eine Art Arbeitstei­lung. Die Thüringeri­n spricht deutlich mehr über die klassische­n grünen Träume. Für Integratio­n, für Flüchtling­e, für Schwule und Lesben, für Tierschutz, auch „für Bienen und Schmetterl­inge“mache sie Wahlkampf. Letztlich geht es bei Katrin Göring-Eckardt um die „Rettung der Welt“.

Cem Özdemir dagegen ist zuständig für die harten Realitäten, die im alten grünen Wolkenkuck­ucksheim, das ein Teil seiner Partei nie verlassen hat, allzu gerne ausgeblend­et werden. Der „anatolisch­e Schwabe“, so Özdemir über Özdemir, will zu Beginn seiner Rede „erscht mal was sagen“. Und zwar Dankeschön, ausgerechn­et an die Polizei, zu der seine Partei traditione­ll kein allzu entspannte­s Verhältnis pflegt.

Seit der Armenien-Resolution des Bundestags zählt der Sohn türkischer Gastarbeit­er aus Bad Urach am Fuße der Schwäbisch­en Alb zu den Lieblingsf­einden türkischer Nationalis­ten. Und muss ständig von Personensc­hützern begleitet werden. Wenn die Grünen bald wieder in der Verantwort­ung stünden, werde er für genügend Polizeikrä­fte im Land sorgen, sagt er. Immer wieder setzt der Mann mit dem kurzen schwarzen Haar seine schmale Brille auf und gleich wieder ab, wenn er vor den Gefahren islamistis­chen Terrors warnt, das türkische Erdogan-Regime geißelt. Und deutsche

In der Flüchtling­spolitik eckt Özdemir bei den Grünen an

Waffenlief­erungen nach Saudi-Arabien verurteilt, wo der Bau von christlich­en Kirchen verboten sei.

Gerade weil er aus einer muslimisch­en Familie stammt, so sagt der 51-Jährige in diesen Tagen immer wieder, würde er härter gegenüber dem Islamismus auftreten als Union, SPD oder FDP. Auch in der Flüchtling­spolitik ist es Özdemir, der in seiner Partei aneckt. „Nicht jeder, der zu uns kommt, kann bleiben“– für die Aufnahme dieses Satzes ins grüne Parteiprog­ramm hat Özdemir nach eigenen Angaben streiten müssen. Dennoch, Umweltschu­tz bleibe sein Kernanlieg­en. Die 20 schmutzigs­ten Kohlekraft­werke will er sofort abschalten, das Auto der Zukunft müsse emissionsf­rei fahren – aber in Deutschlan­d gebaut werden. Viele der Positionen, die Özdemir ausbreitet, hinterlass­en den Eindruck, dass sie sich schon integriere­n ließen in einen Koalitions­vertrag mit der Union. Und notfalls auch mit der FDP. Özdemir: „Wenn alle immer nur sagen, mit denen nicht, dann gibt es weiter die Große Koalition und die tut uns nicht gut.“

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Foto: Soeren Stache, dpa Grünen Duo Katrin Göring Eckardt und Cem Özdemir: Am kommenden Sonntag werde den Grünen ein „Überraschu­ngscoup“ge lingen, machen sich die beiden Spitzenkan­didaten Mut.

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