Rieser Nachrichten

Wau! Auf sechs Beinen über die Alpen

Murmeltier­jagen verboten: Klare Regeln, ein wenig Ausdauer: So wird Bello ein feiner Alpinist

- VON CHRISTIAN SCHREIBER

Die Gruppe ist bunt zusammenge­würfelt: Zwei Teilnehmer haben spanische Wurzeln, einer belgische Vorfahren, der nächste ungarische­s Blut, ein anderer Eltern aus Tibet. Und trotzdem ist schnell klar, wer die Ansagen macht und wer sich unterordne­t. Das ist wichtig, andernfall­s würde die Alpenüberq­uerung vom österreich­ischen Kleinwalse­rtal ins Engadin gründlich in die Hose gehen. Schließlic­h sind es elf Hunde, die gemeinsam auf Tour gehen. Ihre Besitzer haben sich einer geführten Fünf-Etappen-Wanderung angeschlos­sen. Die Hütten sind gebucht und zur Halbzeit kommt ein Versorgung­s-Fahrzeug, das Futter-Nachschub für die Vierbeiner bringt. Die größten Hürden sind also aus dem Weg geräumt. Dafür warten aber unerwartet­e Herausford­erungen in der Herrchen-Tier-Beziehung.

Der Wandertrup­p nähert sich am späten Nachmittag der Tübinger Hütte im Montafon. Waren Blutblasen, kleine Schürfwund­en und schmerzend­e Gelenke die Hauptprobl­eme der letzten Stunden, so rückt jetzt eine andere Sorge in den Mittelpunk­t. Halten sich die Hunde an die Regeln? Ist gar ein Bell-JaulHeul-Konzert zu befürchten, das alle Übernachtu­ngsgäste um den Schlaf bringt? Hütten sind ein heik- Thema für Hundebesit­zer. Mit offenen Armen wird man nirgendwo empfangen. Zu allem Überfluss hat es geregnet und den Hunden ein nasses Fell beschert, was die Kontaktfre­udigkeit anderer Wanderer nicht gerade erhöht. Hüttenwirt Thomas Amann nimmt die Sache gelassen und schickt die Gruppe ins Winterlage­r.

Die Regeln sind klar: abgetrennt­e Schlafräum­e für die Gruppe, keine Vierbeiner in den Betten, keine Hunde im Gastraum. Die Wanderer rubbeln zunächst das Fell trocken. Der eigene Kopf kommt bei vielen an zweiter Stelle, erstmal soll sich der Hund wohlfühlen. Mancher Teilnehmer hat eine so enge Beziehung zu seinem Hund, dass ihm selbst eine kurze Trennung schwer fällt. „Viele Menschen können ihren Liebling nicht alleine lassen“, berichtet Christoph Rüscher, der die Tour führt und das Unternehme­n Lex Lupo gegründet hat. Rüscher arbeitet mit kleinen Tricks, um Teilnehmer auf etwaige Fehlentwic­klungen in der Mensch-HundBezieh­ung aufmerksam zu machen. Oft sind es nur Halbsätze oder Statements wie: „Meinem Hund ist klar, wer bei uns die Hosen anhat.“Wer sich angesproch­en fühlt, tastet sich in ein Problemges­präch mit Rüscher rein. Ein ganzes Hundeleben wird durchgekau­t und irgendwann kommt der Mensch dran. Trennung, Scheidung, Alltagsäng­ste. „Ich bin kein Therapeut, aber den meisten genügt es schon, wenn jemand zuhört.“Der Single-Anteil bei Rüschers Wanderunge­n ist relativ hoch. Einsamkeit ist für viele der Grund, sich einen Hund anzuschaff­en. „Aber nicht jeder traut sich mit seinem Tier in Berge.“Aus körperlich­er Sicht müsse man sich so Rüscher keine Sorge machen. Im Normalfall sei jeder Hund ab dem zwölften Monat berg- und sogar alpenüberq­uerungstau­glich. Erst ab einem Alter von elf oder zwölf Jahren sollte man auf solche Wanderunge­n verzichten.

Was viele Besitzer aber genauso umtreibt, ist die Sorge, ob sie ihr Tier am Berg im Griff haben. Wer die Truppe begleitet, merkt alsbald: Hunde funktionie­ren in der Gruppe besser denn als Einzelgäng­er: Hilfreich dabei die soziale Kontrolle durch andere Vierbeiner und Hundehalte­r. Sobald Kühe kreuzen, Wanderer nahen oder Murmeltier­e das schrille Warn-Piepsen ausstoßen, mit dem sie erst recht den Jagddrang von Ernesto, Emmi und Bijou wecken, bricht ein kurzes Pfeif- und Rufkonzert der Teilnehmer aus und die Lieblinge traben zu ihren Besitzern zurück. Es gibt weder in Österreich noch in der Schweiz eine eindeutige Gesetzesla­ge, wie man Hunles de über die Berge führen darf. Es gibt nur wenige Regionen, wie im Schweizeri­schen Nationalpa­rk im Engadin, wo ein generelles HundeVerbo­t herrscht. „Wir wollen unseren Tieren viel Freiheit geben“, sagt Rüscher. Die Leine kommt aber sofort raus, wenn die Truppe auf Menschen oder Kühe trifft.

Mittlerwei­le wird das Abendessen in der Hütte serviert. Die Tiere warten im Lager, wo sie bereits eine frische Futterladu­ng bekommen haben, die die Besitzer gestern Abend beim Stopp an der Silvretta-Hochalpens­traße in Empfang genommen haben. Als später eine erste Gassigeh-Fraktion zurückkehr­t, berichtet sie von „total erschlagen­en Hunden“. Ganz anders die Zweibeiner, die zwar allesamt sportlich, aber nicht an Bergetappe­n mit sechs Stunden Gehzeit gewöhnt sind. Die Anzahl der Schnäpse hat der Bedienung mittlerwei­le ein breites Lächeln auf die Lippen gezaubert.

Aber es sind nicht die hochprozen­tig gefüllten Gläschen, die dafür sorgen, dass die Wanderer die Welt mit anderen Augen sehen. Eine Teilnehmer­in offenbart: „Ich lerne mich ganz neu kennen, meinen Hund verstehen.“Alle sitzen zusammen. Wieder kreist das Thema darum, wie man auf den Hund gekommen ist. Trennung, Trauer, Tränen. Gruppenthe­rapie. Das Frühstück am nächsten Tag fällt knapp aus. Andere Hüttengäst­e loben die „braven, ruhigen Hunde“und merken an: „Aber eure Gruppe hat ganz schön gefeiert.“Die finale Etappe steht bevor: Ein letzter Anstieg zum Garnerajoc­h, anschließe­nd nur noch bergab bis ins schweizeri­sche Klosters. Die Tour führt durchs Schlappint­al, das so etwas wie das Hunde-Wunderland sein dürfte. Weite Wiesenfläc­hen, weicher Boden, schmale Bäche. Die Tiere dürfen sich austoben. Nur beim letzten Stopp in einem Gasthof gibt es Tumult. Der Platzhirsc­h, ein mittelgroß­er Schäferhun­d, geht auf die Hundegrupp­e los. Die elf vierbeinig­en Alpenwande­rer lassen sich aber nicht in einen Streit hineinzieh­en. Ein Teilnehmer bilanziert zum Schluss: „Mein Hund ist seit Tour ruhiger, entspannte­r und ausgeglich­ener. Und irgendwie gilt das auch für mich.“

Die Hüttengäst­e loben die braven, ruhigen Hunde

OAusrüstun­g Vor allem im schwierige­n Gelände sind Drei Punkt Geschirre für Hunde empfehlens­wert. Leine (mindes tens zwei Meter) ist Pflicht. Vor allem auf Schotterst­recken können Pfotenschu he (Neopren) hilfreich sein.

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Foto: Schreiber Über alle Berge auf zwei Beinen und vier Pfoten. Eine Alpenüberq­uerung mit Hund hat ihre eigenen Regeln – in der Natur, aber auch auf den Berghütten. Da fällt kein Schnitzel unter den Tisch.

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