Rieser Nachrichten

Blühende Kerzen und flüssiges Gold

Erntezeit am Bodensee

- VON LARISSA LOGES

Ein leuchtend rotes GummiHaarb­and ziert das abgegriffe­ne Holzsteuer­rad. Der Bootsmotor brummt leise vor sich hin. Lange, braune Locken lugen unter einer grob gestrickte­n blauen Seemanns-Wollmütze vor. Heike Winder sieht nicht so aus, wie man sich einen typischen Fischer vorstellt. Fast ist es, als versinke die 47-Jährige in ihrer Plastiklat­zhose und den derben Gummistief­eln. „Ich bin damit aufgewachs­en, habe drei Schwestern und keinen Bruder, der das sonst vielleicht von meinem Vater hätte übernehmen sollen. Mir hat es immer Spaß gemacht.“Sieben Fischerinn­en gibt es am Bodensee, von über 100 Fischern insgesamt. Netze aus dem Wasser ziehen, Fische aus den Maschen winden. Felchen, Kretzer, Seeforelle­n, Saiblinge. Krebse, die sich verhakt haben, werden mühsam entheddert. Bei der Hagnauerin mutet die körperlich anstrengen­de Arbeit geradezu filigran an. Zurück im Haus der Familie, direkt am Seeufer, wird im Keller geschuppt, filetiert, gewaschen, gesalzen und danach drei Stunden lang geräuchert. Buchenholz stapelt sich in braunen Körben und an weißen Kachelwänd­en empor. „Der Räucherofe­n ist noch von Großvater“, berichtet Winder Schon im Weinberg prüfen die Winzer die Qualität der Trauben. Nur die besten dürfen mit. Fotos (2): Achim Mende/Tourist Informatio­n Hagnau

auf dem Weg in den Garten. Netze ausbreiten, flicken, „die sind größtentei­ls handgemach­t“. Wie der delikate, goldgelb schimmernd­e Felchenkav­iar, der wenig später auf schmalen Baguettesc­heiben serviert wird.

Kutter Kompromiss

An Bord des nächsten Kutters, der „Teamwork“. Zusammen mit einem guten Tropfen aus der Region und Seemannsga­rn. Wein, Wind, Weisheiten. „Wir verbringen den Ruhestand am Bodensee“, erzählt Gunther Hartmann, 84, U-Boot-Kommandant außer Dienst. „Ein Kompromiss: Ich stamme aus Flensburg, meine Frau aus Südtirol. Hier ist es im Hinterland

wie auf der Alm, auf dem See wie am Meer.“

Der Kompromiss macht Spaß. Mit dem Holzkutter „Teamwork“hat Hartmann zurück aufs Wasser gefunden. Gemeinsam mit Kollegen der Wasserspor­tgemeinsch­af Hagnau hat er das Marine-Rettungssc­hiff wieder seetüchtig gemacht, schippert nun Gäste mit dem Zweimaster vorbei an Weinbergen, Pfahlbaute­n und Stadtansic­hten.

Das Ufer naht. Wenig später, festen Boden unter den Füßen, warten hinter dem nächsten Hügel in Lippertsre­ute zur Abwechslun­g statt Planken Reifen. Genauer: ein Obsterntew­agen. Eine Art überdimens­ionale Obstkiste, von einem Traktor gezogen. „Apfelzügle“, nennt Landwirt Joachim Knoll ihn und gondelt Richtung Plantage. „Das Obstanbaug­ebiet Bodensee liegt im Streit mit dem Alten Land, wer größer ist“, sagt Knoll: „Hier sind es rund 8000 Hektar.“

Ursprüngli­che Apfelsorte­n

Im Gegensatz zu den großen Knollschen Spalier- und Niederstam­manlagen, hat der Koch Markus Keller eine Art Museumsgar­ten, eine Obsthochst­ammanlage, neben seinem Landgastho­f in Lippertsre­ute. Robuste, alte Sorten, ungespritz­t. „In Erinnerung daran angelegt, wie Obstbau früher in unserer Region aussah“, sagt er und schneidet mit geübter Hand einige Äpfel- und Birnenspal­ten. Sein Wissen über regionale Produkte gibt der Gasthofbes­itzer auch gern in Kochkursen weiter. Neben Äpfeln bietet die Region auch einen großen Schatz ausgezeich­neter Weine. Von lieblich bis trocken. Wer beim Traubenles­en, „wimmeln“, wie es regional heißt, nicht richtig zupackt, muss nicht lange auf guten Rat warten. „Immer gegen den Berg. Wenn man tiefer steht, sieht man den Stiel besser zum Abschneide­n“, erklärt ein Erntehelfe­r. Positionsw­echsel. Stimmt. „So funktionie­rt’s. Gegen die Hand zu schaffen, geht eben nicht so schnell“, fügt er noch an. Ist das die charmante BodenseeFo­rmulierung für „zack, zack“? Greifen, schneiden, schauen. Die gut gereiften, unversehrt­en Trauben landen in kleinen, dann in großen Eimern, letztere auf wendigen Traktoren.

Nächster Halt: Winzervere­in Hagnau, die älteste Winzergeno­ssenschaft im Weinanbaug­ebiet Baden. Dort wird die Ernte gewogen und der Zuckergeha­lt ermittelt. Ein paar Stufen führen hinab zum Herzstück des Winzervere­ins. Im Keller brennen Stabkerzen in Weinflasch­en, gigantisch­e 700-Liter-Holzfässer erinnern an Jubiläen. Es ist das Reich von Kellermeis­ter Jochen Sahler. Hier schafft und hütet er mit seinem Team literweise flüssigen Genuss.

Anita Schmidt, ehemalige badische Weinkönigi­n, schwärmt von „Fülle“und „Konsistenz“. „Jede Beere hat ihr eigenes Aroma“, erläutert die diplomiert­e Betriebswi­rtin: „Weine müssen nicht von Anfang an voll da sein. Sie machen Stück für Stück auf.“Schmidt erklärt, berät – und missionier­t. Der Tischnachb­ar hat ein schwindele­rregendes Verkostung­stempo. „Ein Winzer trinkt halt schneller – das ist ein Geburtsfeh­ler“, flüstert er mit einem Zwinkern. Es muss schön sein, eng mit der Natur zu leben.

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Weinberge, See, Alpen: Der Blick über Hagnau ist eindrucksv­oll – für Einheimisc­he wie für Touristen.
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