Es begann mit Bürsten und Körben
Vor 100 Jahren kaufte Blasius Fischer in Wemding ein Anwesen und richtete dort einen Laden ein. Den gibt es trotz eines schweren Schicksalsschlags noch immer. Doch vieles hat sich verändert
Wemding Wie viele unterschiedliche Artikel in ihrem Laden zu haben sind – bei dieser Frage müssen Gabi, Klaus und Arnold Fischer passen. Es könnten so um die 10000 sein, schätzen sie nach kurzem Überlegen. Das Sortiment reicht von der Kehrschaufel bis zur Handtasche und von der Mausfalle bis zur Duftlampe. Kaufhäuser wie das der Fischers sind in der Region selten geworden. Seit 100 Jahren betreibt die Familie nun ein Spiel- und Haushaltswarengeschäft in der Wemdinger Altstadt. Diese Zeitspanne ist verbunden mit Schicksalsschlägen und einem beständigen Wandel.
Wer heute von den Anfängen der Firma erfährt, glaubt seinen Ohren kaum zu trauen. In der kinderreichen Familie Fischer in Amerbach waren um die Wende zum 20. Jahrhundert zwei Buben von Geburt an blind. Ihre Eltern schickten sie auf die Blindenschule nach Augsburg. Dort absolvierten Blasius und August Fischer eine Bürstenbinderund Korbmacherlehre. Anschließend kamen sie zurück in die Heimat – und gingen ihrem erlernten Beruf nach. 1909 gründeten sie einen Betrieb. Dieser florierte. Bald arbeiteten bis zu 70 Menschen für die Fischers, zunächst in verschiedenen Gebäuden in Wemding. Dann kaufte Blasius Fischer 1917 ein Anwesen in der Wallfahrtsstraße. In das Wohnhaus kam ein kleiner Laden, in dem Bürsten und Körbe verkauft wurden. Den rückwärtigen Stadel ließ der fleißige Handwerker zu einer Werkstatt umbauen.
Der Erste Weltkrieg bescherte den Korbmachern zusätzliche Aufträge. Sie flochten unter anderem spezielle, röhrenartige Körbe, die dem Transport von Granaten dienten. „Die wurden waggonweise für das Militär produziert“, weiß Arnold Fischer, Sohn von Blasius. Der Verkauf lief auch in den folgenden Jahren gut – bis am Ende des Zweiten Weltkriegs eine von der anrückenden US-Armee auf die Stadt abgefeuerte Brandgranate genau das Fischer-Anwesen traf. Die Familie hatte sich glücklicherweise in einen alten Bierkeller an der Wolferstädter Straße geflüchtet. Als die Fischers in die Altstadt zurückkehrten, lag das Wohnhaus in Schutt und Asche. Die Familie hatte von einem Moment auf den anderen fast alles verloren – und machte sich bald an den Wiederaufbau. Wenigstens waren ein Nebengebäude – dieses diente vorübergehend als Wohnung – und die Werkstatt stehengeblieben. 1952/53 wurde das zerstörte Gebäude neu hochgezogen. In das Haus war ein etwa 60 Quadratmeter großer Laden integriert. Der entwi- ckelte neben der Bürsten- und Korbmacherei ein Eigenleben. Erst kamen Haushaltswaren dazu, dann auch Spielwaren. Die Bürsten vertrieb die Firma – inzwischen hatte Arnold Fischer die Führung übernommen – über Mitarbeiter, die von Haus zu Haus gingen. Abnehmer der Körbe waren unter anderem Gärtnereien und Spinnereien. Nach und nach brachte dieser Geschäftszweig aber immer weniger Ertrag. Bürsten und Körbe aus Plastik hätten den Markt erobert, berichtet Arnold Fischer. Die Konsequenz: Er stellte das Handwerk ein, riss die Werkstatt ab und vergrößerte den Laden: „Der große Umbau 1973 war ein Kraftakt.“Aber das Geschäft lief. 1995 überbaute die Familie auch den Hofraum. 2013 wurde das Geschäft modernisiert. Zu den rund 600 Quadratmetern Verkaufsfläche kamen 150 im Keller hinzu.
Während in der Altstadt im Laufe der Zeit viele eingesessene Läden verschwanden, blieben die Fischers erfolgreich. „Wir müssen vielseitig sein, um in einem Ort wie Wemding bestehen zu können“, lautet Arnold Fischer zufolge ein Rezept dafür. „Man richtet sich nach den Bedürfnissen der Leute“, fügt Klaus Fi- scher hinzu, der mit seiner Frau Gabi seit 1995 die Fäden in der Hand hält. Ein reines Spielwarengeschäft beispielsweise würde sich in der Stadt wohl nicht rentieren. Der Umsatz hänge zu einem wichtigen Teil davon ab, jeweils die richtige Saisonware anbieten zu können: Es beginne im Januar mit Faschingsbekleidung – da sei Wemding ja eine gewisse Hochburg – und Schulranzen, gehe weiter mit Spielwaren und Fahrzeugen für Kinder auf Ostern hin, mit Deko- und Gartenartikeln zum Frühling, mit Luftmatratzen und Planschbecken im Sommer, mit Schreibwaren zum Start ins Schuljahr, mit Adventskalendern und Artikeln für die Weihnachtsbäckerei in den Advent sowie mit Feuerwerkskörpern für Silvester. Eine gute Beratung binde ebenfalls Kunden an den Laden, glaubt Klaus Fischer. Kaum hat er dies gesagt, fragt eine Kundin nach einem Ersatzteil für einen Wassersprudler. gleich darauf und Haushaltswarengeschäft. Die Familie erscheint eine andere Frau mit einer älteren Pfanne im Geschäft und fragt, ob diese noch funktionsfähig sei. Gabi Fischer bejaht diese.
Neben ihr und ihrem Mann steht auch Senior Arnold, 87, praktisch jeden Tag im Geschäft. Hinzu kommen eine Vollzeitbeschäftigte und zehn Teilzeitkräfte. Die seien zum Teil flexibel einsetzbar, so Klaus Fischer. Der hat zusammen mit seiner Frau kürzlich absolutes Neuland betreten: Das Geschäft ist jetzt auch in einem sozialen Netzwerk vertreten. Damit könne man die Kundschaft informieren, wenn neue Ware eingetroffen sei. Man müsse nach neuen Wegen schauen, denn das Internet sei schon eine ernste Konkurrenz.
Bange vor der Zukunft ist den Fischers nicht. Man hoffe darauf, nach 100 Jahren weiter die richtigen Entscheidungen zu treffen und die Kunden zu halten. Die kämen aus einem Umkreis von 10 bis 15 Kilometern. Zudem deutet alles darauf hin, dass zu gegebener Zeit die vierte Generation ins Geschäft einsteigt. Ein Sohn von Gabi und Klaus Fischer hat bereits eine kaufmännische Ausbildung absolviert und sein Interesse bekundet, den Traditionsbetrieb in Wemding weiterzuführen.