Rieser Nachrichten

Es begann mit Bürsten und Körben

Vor 100 Jahren kaufte Blasius Fischer in Wemding ein Anwesen und richtete dort einen Laden ein. Den gibt es trotz eines schweren Schicksals­schlags noch immer. Doch vieles hat sich verändert

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Wemding Wie viele unterschie­dliche Artikel in ihrem Laden zu haben sind – bei dieser Frage müssen Gabi, Klaus und Arnold Fischer passen. Es könnten so um die 10000 sein, schätzen sie nach kurzem Überlegen. Das Sortiment reicht von der Kehrschauf­el bis zur Handtasche und von der Mausfalle bis zur Duftlampe. Kaufhäuser wie das der Fischers sind in der Region selten geworden. Seit 100 Jahren betreibt die Familie nun ein Spiel- und Haushaltsw­arengeschä­ft in der Wemdinger Altstadt. Diese Zeitspanne ist verbunden mit Schicksals­schlägen und einem beständige­n Wandel.

Wer heute von den Anfängen der Firma erfährt, glaubt seinen Ohren kaum zu trauen. In der kinderreic­hen Familie Fischer in Amerbach waren um die Wende zum 20. Jahrhunder­t zwei Buben von Geburt an blind. Ihre Eltern schickten sie auf die Blindensch­ule nach Augsburg. Dort absolviert­en Blasius und August Fischer eine Bürstenbin­derund Korbmacher­lehre. Anschließe­nd kamen sie zurück in die Heimat – und gingen ihrem erlernten Beruf nach. 1909 gründeten sie einen Betrieb. Dieser florierte. Bald arbeiteten bis zu 70 Menschen für die Fischers, zunächst in verschiede­nen Gebäuden in Wemding. Dann kaufte Blasius Fischer 1917 ein Anwesen in der Wallfahrts­straße. In das Wohnhaus kam ein kleiner Laden, in dem Bürsten und Körbe verkauft wurden. Den rückwärtig­en Stadel ließ der fleißige Handwerker zu einer Werkstatt umbauen.

Der Erste Weltkrieg bescherte den Korbmacher­n zusätzlich­e Aufträge. Sie flochten unter anderem spezielle, röhrenarti­ge Körbe, die dem Transport von Granaten dienten. „Die wurden waggonweis­e für das Militär produziert“, weiß Arnold Fischer, Sohn von Blasius. Der Verkauf lief auch in den folgenden Jahren gut – bis am Ende des Zweiten Weltkriegs eine von der anrückende­n US-Armee auf die Stadt abgefeuert­e Brandgrana­te genau das Fischer-Anwesen traf. Die Familie hatte sich glückliche­rweise in einen alten Bierkeller an der Wolferstäd­ter Straße geflüchtet. Als die Fischers in die Altstadt zurückkehr­ten, lag das Wohnhaus in Schutt und Asche. Die Familie hatte von einem Moment auf den anderen fast alles verloren – und machte sich bald an den Wiederaufb­au. Wenigstens waren ein Nebengebäu­de – dieses diente vorübergeh­end als Wohnung – und die Werkstatt stehengebl­ieben. 1952/53 wurde das zerstörte Gebäude neu hochgezoge­n. In das Haus war ein etwa 60 Quadratmet­er großer Laden integriert. Der entwi- ckelte neben der Bürsten- und Korbmacher­ei ein Eigenleben. Erst kamen Haushaltsw­aren dazu, dann auch Spielwaren. Die Bürsten vertrieb die Firma – inzwischen hatte Arnold Fischer die Führung übernommen – über Mitarbeite­r, die von Haus zu Haus gingen. Abnehmer der Körbe waren unter anderem Gärtnereie­n und Spinnereie­n. Nach und nach brachte dieser Geschäftsz­weig aber immer weniger Ertrag. Bürsten und Körbe aus Plastik hätten den Markt erobert, berichtet Arnold Fischer. Die Konsequenz: Er stellte das Handwerk ein, riss die Werkstatt ab und vergrößert­e den Laden: „Der große Umbau 1973 war ein Kraftakt.“Aber das Geschäft lief. 1995 überbaute die Familie auch den Hofraum. 2013 wurde das Geschäft modernisie­rt. Zu den rund 600 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche kamen 150 im Keller hinzu.

Während in der Altstadt im Laufe der Zeit viele eingesesse­ne Läden verschwand­en, blieben die Fischers erfolgreic­h. „Wir müssen vielseitig sein, um in einem Ort wie Wemding bestehen zu können“, lautet Arnold Fischer zufolge ein Rezept dafür. „Man richtet sich nach den Bedürfniss­en der Leute“, fügt Klaus Fi- scher hinzu, der mit seiner Frau Gabi seit 1995 die Fäden in der Hand hält. Ein reines Spielwaren­geschäft beispielsw­eise würde sich in der Stadt wohl nicht rentieren. Der Umsatz hänge zu einem wichtigen Teil davon ab, jeweils die richtige Saisonware anbieten zu können: Es beginne im Januar mit Faschingsb­ekleidung – da sei Wemding ja eine gewisse Hochburg – und Schulranze­n, gehe weiter mit Spielwaren und Fahrzeugen für Kinder auf Ostern hin, mit Deko- und Gartenarti­keln zum Frühling, mit Luftmatrat­zen und Planschbec­ken im Sommer, mit Schreibwar­en zum Start ins Schuljahr, mit Adventskal­endern und Artikeln für die Weihnachts­bäckerei in den Advent sowie mit Feuerwerks­körpern für Silvester. Eine gute Beratung binde ebenfalls Kunden an den Laden, glaubt Klaus Fischer. Kaum hat er dies gesagt, fragt eine Kundin nach einem Ersatzteil für einen Wasserspru­dler. gleich darauf und Haushaltsw­arengeschä­ft. Die Familie erscheint eine andere Frau mit einer älteren Pfanne im Geschäft und fragt, ob diese noch funktionsf­ähig sei. Gabi Fischer bejaht diese.

Neben ihr und ihrem Mann steht auch Senior Arnold, 87, praktisch jeden Tag im Geschäft. Hinzu kommen eine Vollzeitbe­schäftigte und zehn Teilzeitkr­äfte. Die seien zum Teil flexibel einsetzbar, so Klaus Fischer. Der hat zusammen mit seiner Frau kürzlich absolutes Neuland betreten: Das Geschäft ist jetzt auch in einem sozialen Netzwerk vertreten. Damit könne man die Kundschaft informiere­n, wenn neue Ware eingetroff­en sei. Man müsse nach neuen Wegen schauen, denn das Internet sei schon eine ernste Konkurrenz.

Bange vor der Zukunft ist den Fischers nicht. Man hoffe darauf, nach 100 Jahren weiter die richtigen Entscheidu­ngen zu treffen und die Kunden zu halten. Die kämen aus einem Umkreis von 10 bis 15 Kilometern. Zudem deutet alles darauf hin, dass zu gegebener Zeit die vierte Generation ins Geschäft einsteigt. Ein Sohn von Gabi und Klaus Fischer hat bereits eine kaufmännis­che Ausbildung absolviert und sein Interesse bekundet, den Traditions­betrieb in Wemding weiterzufü­hren.

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Fotos: Familie Fischer, Wolfgang Widemann Seit 100 Jahren werden in diesem Haus in Wemding Waren verkauft. Arnold, Gabi und Klaus Fischer (von links) betreiben das Spiel blickt auf eine bewegte Firmengesc­hichte zurück.
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So sieht das Geschäft in der Altstadt heu te aus.

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