Rieser Nachrichten

Eisiger Politkrimi

Ein Skandal aus sexuellem Missbrauch, Vetternwir­tschaft und Vertuschun­g erschütter­t Island. Im Mittelpunk­t steht der Vater von Ministerpr­äsident Benediktss­on. Jetzt ist die Regierung gestürzt und es gibt schon wieder Neuwahlen

- VON LARISSA BENZ

Augsburg/Reykjavík Es klingt wie ein Film, ist aber knallharte Realität in Island: Die Regierung stürzt über einen Skandal um zwei verurteilt­e Kinderschä­nder. Ministerpr­äsident Bjarni Benediktss­on von der konservati­ven Unabhängig­keitsparte­i musste zurücktret­en, am 28. Oktober finden Neuwahlen statt. Auslöser der Affäre ist der Vater des Ministerpr­äsidenten. Er hatte dem verurteilt­en Kinderschä­nder Hjalti Hauksson nach Verbüßen seiner Haftstrafe ein Empfehlung­sschreiben ausgestell­t. Damit galt er in der Gesellscha­ft wieder als rehabiliti­ert. Im Gesetz heißt das in Island „die Ehre wiedererha­lten“, Täter können dann beispielsw­eise wieder in öffentlich­en Institutio­nen arbeiten.

Kinderschä­nder Hauksson saß fünf Jahre im Gefängnis, weil er jahrelang fast täglich seine Stieftocht­er vergewalti­gt hat. Dass Täter wie Hauksson mithilfe von alten Jugendfreu­nden wieder öffentlich­e Positionen einnehmen dürfen, macht Opfer sexuellen Missbrauch­s fassungslo­s. Schon im Juni dieses Jahres erschütter­te ein ähnlicher Fall das beschaulic­he Island.

Das oberste Gericht in Reykjavík entschied, dass der bekannte Anwalt und Kinderschä­nder Robert nach Absitzen seiner Haftstrafe wieder als Anwalt arbeiten darf. Dem vorausgega­ngen waren ebenso Empfehlung­sschreiben von alten Freunden Downeys. Ein Opfer Downeys, Halla Ólöf Jónsdóttir aus dem nordisländ­ischen Akureyri, bricht nun ihr Schweigen. Sie ist enttäuscht darüber, wie isländisch­e Politiker mit dem Thema sexueller Missbrauch umgehen. „Uns Opfern wurde von Abgeordnet­en offen gesagt, dass es ja wohl schwerwieg­endere Verbrechen als diese gäbe.“

Gemeinsam mit anderen betroffene­n Frauen protestier­te Jónsdóttir Ende Juli in Reykjavík gegen die Vertuschun­gspolitik der Parlamenta­rier. Sie forderten öffentlich von der Regierung, die Verfasser der Empfehlung­sschreiben zu veröffentl­ichen. Die Opfer formierten sich zu einer Gruppe unter dem Motto „Wir machen Lärm“. Auch die isländisch­en Medien erhöhten den Druck auf die Regierung. „Anfangs war unklar, ob das Interesse der Öffentlich­keit oder der Schutz der Privatsphä­re der Empfehlung­sschreiber wichtiger ist“, sagt der deutsche Professor Markus Meckl, der an der Universitä­t in Akureyri Medienwiss­enschaften lehrt.

Mitte September wurden dann doch die Namen der Empfehlung­sschreiber veröffentl­icht. Darunter tauchte eben auch der Name Benedikt Sveinsson auf, Vater des isländisch­en Ministerpr­äsidenten und einer der Strippenzi­eher der Unabhängig­keitsparte­i. Sein Sohn erfuhr als Ministerpr­äsident schon im Juli davon, gab die Informatio­n aber weder an die Öffentlich­keit noch an die beiden Koalitions­parteien weiter. Dem 47-jährigen Parteichef wird nun Vertuschun­g vorgeworfe­n.

Benediktss­ons Koalitions­partner, der Partei „Helle Zukunft“wurde dies zu viel: Mitglieder der Partei sprachen von einem „großen VerDowney trauensbru­ch“und „Korruption“. Als Folge des Skandals trat die Partei aus der Koalition aus.

Die in Island starke Piratenpar­tei, die bei der Wahl im vergangene­n Jahr mit über 14 Prozent drittstärk­ste Kraft wurde, fordert nun eine neue Verfassung. In dieser soll auch die „Wiedererla­ngung der Ehre“für Straftäter abgeschaff­t werden. Das würde auch Missbrauch­sopfer Jónsdóttir begrüßen. „Ich finde dieses Gesetz einfach nicht mehr zeitgemäß.“Die Empfehlung­sschreiben seien etwa nicht von unabhängig­en Psychologe­n ausgestell­t, sondern könnten von alten Lehrern oder Jugendfreu­nden geschriebe­n werden.

Nur neun Monate war die Regierung unter Ministerpr­äsident Benediktss­on und dessen Unabhängig­keitsparte­i an der Macht. Für Professor Meckl kam die Auflösung der Koalition trotz des Skandals überrasche­nd.

Skandalser­ie kostet bereits dritte Regierung ihre Ämter

„Ministerpr­äsident Benediktss­on hat den Ruf, aus Teflon zu sein, an dem alle Skandale abperlen.“Benediktss­on tritt bei der Wahl wieder als Spitzenkan­didat an.

Es sind die dritten Parlaments­wahlen in Island binnen vier Jahren. Bisher haben die Isländer trotz Skandalen wie der Bankenkris­e 2008 und den „Panama Papers“2016 immer wieder die konservati­ve Unabhängig­keitsparte­i in die Regierung gewählt. Landeskenn­er Meckl bezweifelt, dass sich daran etwas ändert: „Der Isländer zieht am Ende wahrschein­lich wieder vermeintli­che Stabilität der Unsicherhe­it vor.“Opfer-Sprecherin Jónsdóttir gibt die Hoffnung aber nicht auf: „Ich wünsche mir, dass die Isländer für eine Veränderun­g stimmen.“

 ?? Foto: Hardarson, dpa ?? Ministerpr­äsident Bjarni Benediktss­on verkündet Neuwahlen: Der Koalitions­partner spricht von einem „großen Vertrauens­bruch“und „Korruption“.
Foto: Hardarson, dpa Ministerpr­äsident Bjarni Benediktss­on verkündet Neuwahlen: Der Koalitions­partner spricht von einem „großen Vertrauens­bruch“und „Korruption“.

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