Hilfe bei einer Depression
Traurige Gedanken kennen viele Menschen – doch ab wann sollten sie einen Arzt aufsuchen? Prof. Markus Jäger eröffnet im Allgäu die Tage der seelischen Gesundheit und rät vor allem Männern, auf Symptome zu achten
Herr Prof. Jäger, Sie sind Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Kempten und eröffnen die Tage der seelischen Gesundheit im Oberallgäu am Donnerstagabend in Kempten mit einem Vortrag über Depression. Nun kennen sicher viele Menschen gedrückte Stimmungen. Welche Warnsignale gibt es, die auf eine behandlungsbedürftige Depression deuten?
Wenn die depressive Stimmung über zwei, drei, vier Wochen anhält, sollte ein Arzt aufgesucht werden. Weitere Anzeichen für eine Depression können eine deutliche Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Störungen von Merkfähigkeit und Gedächtnis sowie Gedanken an den Tod sein.
Zu welchem Arzt gehe ich als Erstes? Jäger: Erster Ansprechpartner ist der Hausarzt. Viele sind sehr gut ausgebildet, sodass Hausärzte leichte Depressionen auch behandeln können. Außerdem ist bei depressiven Verstimmungen immer eine körperliche Untersuchung wichtig, da Depressionen körperliche Ursachen wie etwa eine Schilddrüsenunterfunktion haben können. Der Hausarzt kann also die Weichen für die Behandlung von Depressionen stellen.
Ist eine Psychotherapie nötig, müssen Patienten oft extreme Wartezeiten auf sich nehmen. Was ist dann zu tun? Jäger: In der Psychotherapie gibt es Engpässe. Das stimmt. Aber nicht jede Depression erfordert eine Psychotherapie. Sehr oft ist eine medikamentöse Behandlung erfolgreich, die ein Hausarzt oder ein Psychiater begleitet.
Im Internet florieren längst OnlinePsychotherapieangebote. Ist das aus Ihrer Sicht eine hilfreiche Alternative? Jäger: Diese Angebote werden in unserem Fach sehr kontrovers diskutiert und auch beurteilt. Ich bin ehrlich gesagt eher skeptisch und würde zur Vorsicht raten. Ich möchte meine Patienten sehen, um ihren Gesundheitszustand wirklich beurteilen zu können. Selbst telefonieren ist hilfreich, da ich bestimmte Stimmungen dann besser einschätzen kann. Aber nur im Internet oder per E-Mail – das kann ich mir nicht vorstellen. Aus meiner Sicht könnten diese Angebote vielleicht gegebenenfalls eine Ergänzung zu einer Behandlung sein, aber sie ersetzen meines Erachtens nicht den Facharzt oder den Psychotherapeuten.
Was können Angehörige tun, die befürchten, dass ihr Partner an einer Depression leidet?
Jäger: Angehörige spielen bei der Behandlung von Depressionen eine ganz wichtige Rolle. Sie können natürlich den Betroffenen motivieren, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, ihn auch zum Arzt begleiten. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht, dass Patienten mit Depressionen sehr oft auch selbst zum Arzt gehen. Denn der Leidensdruck ist sehr, sehr hoch. Anders als etwa bei Schizophrenien oder Manien, bei denen der Patient sich oft nicht krank fühlt. Bei Patienten mit Depressionen kann allerdings die Antriebsschwäche bereits so ausgeprägt sein, dass sie es nicht mehr schaffen, bei einem Arzt anzurufen und einen Termin zu vereinbaren. Gerade dann ist es sehr wichtig, dass Ange-
hörige ihre Unterstützung signalisieren und dem Betroffenen helfen. Ich bitte in der Regel die Angehörigen, in die eine oder andere Behandlungsstunde mitzukommen, wenn der Betroffene einverstanden ist.
Wie unterscheidet sich ein Burnout von einer Depression?
Jäger: Burnout ist ein Modebegriff, der auch nicht im Diagnosekatalog von uns Ärzten steht. Es ist also keine Krankheit. Der Begriff umschreibt meist einen tiefen Erschöpfungszustand. Ursache dafür kann natürlich eine Depression sein.
Für ein Forschungsprojekt suchen die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Uni Ulm am Bezirkskran-
kenhaus Günzburg sowie die Psychosomatische Klinik der Universität Ulm Männer im Alter von 18 bis 64 Jahren, die sich aufgrund einer depressiven Erkrankung oder Burnout in Behandlung befinden. Unterscheiden sich Depressionen bei Männern und Frauen? Jäger: Unterschiede gibt es hier tatsächlich. Das ist ein sehr interessantes Forschungsprojekt, da man noch nicht alles weiß. Tatsache ist, dass in die Praxen doppelt so viele Frauen mit Depressionen kommen als Männer. Daraus zu schließen, dass Depression eine Krankheit ist, die vor allem Frauen trifft, wäre aber falsch. Vielmehr muss man fragen, ob Männer nicht mit den Symptomen anders umgehen, das heißt, die Symptome versuchen zu verdrängen. Die Symptome sind bei Männern und Frauen aber gleich oder?
Jäger: Nicht immer. In der Tat konnten wir schon beobachten, dass depressive Männer oft weniger unter einer gedrückten als einer sehr gereizten, impulsiven, oft auch aggressiven Stimmung leiden. Allerdings gilt hier abzuklären, ob hinter den starken Gefühlen wirklich eine Depression steckt oder vielleicht eine andere psychische Erkrankung.
Depressionen führen auch oft zu Selbstmorden. Bayern hat im bundesweiten Vergleich eine sehr hohe Quote. Jäger: Bayern hat eine hohe Suizidrate. Das stimmt. Aber Vorsicht: Ein Suizid ist nicht immer auf eine Depression zurückzuführen. Die Depression ist allerdings eine häufige Ursache für einen Suizid. Und bei Männern ist die Zahl der Suizide
„Bei Männern steigen die Suizidraten im Alter stark an.“
Prof. Markus Jäger
signifikant höher als bei Frauen. Das würde auch zu der Annahme passen, dass viele Männer, die unter Depressionen leiden, leider einfach nicht zum Arzt gehen.
Weiß man, welche Männer besonders gefährdet sind?
Jäger: Bei Männern steigen die Suizidraten im Alter stark an. Je älter ein Mann ist, desto höher ist das Risiko. Auch mit 90 beenden noch viele Männer ihr Leben. Und hier stellt sich immer die Frage: Steckt eine Depression dahinter?
Wie ist es zu beurteilen, wenn jemand nach einem bestimmten Ereignis, etwa einem Trauerfall, in ein tiefes seelisches Loch fällt. Kann in so einem Fall auch von einer Depression gesprochen werden?
Jäger: Früher wurde in diesem Fall von einer sogenannten reaktiven Depression gesprochen, weil sie auf ein bestimmtes Ereignis gefolgt ist. Diese Unterscheidung gibt es heute nicht mehr. Entscheidend für mich als Arzt sind nicht nur die Symptome, sondern auch der Leidensdruck des einzelnen Patienten. So wird ein Patient, der nur unter einer leichten Depression leidet, die nach einem bestimmten Ereignis auftritt, ebenso ernst genommen wie ein Patient mit schweren Symptomen. Zumal sich jede Erkrankung verschlimmern kann, wenn sie nicht behandelt wird.
Interview: Daniela Hungbaur