Rieser Nachrichten

Draußen rumort es

Die Gegenwart drängt herein

- VON RICHARD MAYR

München Eine Zäsur, eine neue Zeitrechnu­ng – manche Kommentato­ren denken auch schon über das Ende der Berliner Republik nach. Die AfD sitzt im Bundestag, im Wahlvolk rumort es. Fast schon unheimlich ist, wie sich dieses Erschrecke­n in Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“spiegelt, mit dem das Münchner Residenzth­eater in seine Spielzeit gestartet ist. Denn da steht ein Naturwisse­nschaftler im Mittelpunk­t, der Haus und Hof für seine Forschunge­n hergibt, während draußen die Menschen an der Cholera sterben und sich die Wut staut.

Inszeniert haben das David Bösch (Regie) und Patrick Bannwart (Bühne) auf höchst amüsante und kurzweilig­e Weise. Protassows Wohnung wirkt wie eine vollplakat­ierte, abgelegene Straßenkre­uzung – nur dass hier auch bildlich der Wissenscha­ft gehuldigt wird. Norman Hacker lässt diesen Protassow inmitten aller Liebes- und Lebenshänd­el vibrieren. Stark auch, wie Hanna Scheibe als dessen Frau die Nerven behält – ein emotionale­r Anker in dem nur um sich kreisenden Bürgertum. Denn draußen formiert sich bereits die Gewalt…

Gorkis Stück spielt 1905. Im Cuvilliést­heater ging es in der nächsten Premiere in den November 1923 zu arbeitslos­en Artisten kurz vor und nach Hitlers Putsch. Hier wird dem herunterge­kommenen Zirkusarti­sten Abel Rosenberg schon mit unverhohle­nem Rassismus und Hass begegnet. Regisseuri­n Anne Lenk packt den spröden Ingmar-Bergman-Film in einen surrealist­ischen Reigen. Die Bühne ist anfangs ein fast schon hypnotisch­er Trichter. Nur eines gelingt ihr nicht: die holzschnit­tartigen Charaktere wirklich leben zu lassen.

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