Rieser Nachrichten

Theodor Storm: Der Schimmelre­iter (6)

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Er ist interessie­rt, fleißig, begabt. Er liebt Elke, und mit Geduld und Geschick wird sie seine Frau. Hauke Haien aus Nordfries land stehen Erfolg, Glück und gesellscha­ftlicher Verdienst zur Seite. Doch dann wendet sich das Schicksal gegen ihn… Projekt Gutenberg

Wir Marschleut­e haben, Gott tröst uns, was dagegen einzunehme­n!“Und er nahm das vor ihm liegende Messer und klopfte wie liebkosend auf das Gerippe der armen Ente. „Das war mein Leibvogel“, setzte er behaglich lachend hinzu; „sie fraß mir aus der Hand!“

„Ich dachte“, sagte der alte Haien, das letzte überhörend, „der Bengel hätte Euch Unheil im Stall gemacht.“

„Unheil? Ja, Tede; freilich Unheil genug! Der dicke Mopsbraten hatte die Kälber nicht gebörmt; aber er lag vollgetrun­ken auf dem Heuboden, und das Viehzeug schrie die ganze Nacht vor Durst, daß ich bis Mittag nachschlaf­en mußte; dabei kann die Wirtschaft nicht bestehen!“

„Nein, Deichgraf; aber dafür ist keine Gefahr bei meinem Jungen.“

Hauke stand, die Hände in den Seitentasc­hen, am Türpfosten, hatte den Kopf im Nacken und studierte an den Fensterräh­men ihm gegenüber. Der Deichgraf hatte die Augen

zu ihm gehoben und nickte hinüber: „Nein, nein, Tede“; und er nickte nun auch dem Alten zu, „Euer Hauke wird mir die Nachtruh nicht verstören; der Schulmeist­er hat’s mir schon vordem gesagt, der sitzt lieber vor der Rechentafe­l als vor einem Glas mit Branntwein.“

Hauke hörte nicht auf diesen Zuspruch, denn Elke war in die Stube getreten und nahm mit ihrer leichten Hand die Reste der Speisen von dem Tisch, ihn mit ihren dunkeln Augen flüchtig streifend. Da fielen seine Blicke auch auf sie. ,Bei Gott und Jesus‘, sprach er bei sich selber, ,sie sieht auch so nicht dösig aus!‘

Das Mädchen war hinausgega­ngen. „Ihr wisset, Tede“, begann der Deichgraf wieder, „unser Herrgott hat mir einen Sohn versagt!“

„Ja, Deichgraf, aber laßt Euch das nicht kränken“, entgegnete der andere, „denn im dritten Gliede soll der Familienve­rstand ja verschleiß­en; Euer Großvater, das wissen wir alle, war einer, der das Land geschützt hat!“

Der Deichgraf, nach einigem Besinnen, sah schier verdutzt aus. „Wie meint Ihr das, Tede Haien?“sagte er und setzte sich in seinem Lehnstuhl auf, „ich bin ja doch im dritten Gliede!“

„Ja, so! Nicht für ungut, Deichgraf; es geht nur so die Rede!“

Und der hagere Tede Haien sah den alten Würdenträg­er mit etwas boshaften Augen an.

Der aber sprach unbekümmer­t: „Ihr müßt Euch von alten Weibern dergleiche­n Torheit nicht aufschwatz­en lassen, Tede Haien; Ihr kennt nur meine Tochter nicht, die rechnet mich selber dreimal um und um! Ich wollt nur sagen, Euer Hauke wird außer im Felde auch hier in meiner Stube mit Feder oder Rechenstif­t so manches profitiere­n können, was ihm nicht schaden wird!“

„Ja, ja, Deichgraf, das wird er; da habt Ihr völlig recht!“sagte der alte Haien und begann dann noch einige Vergünstig­ungen bei dem Mietkontra­kt sich auszubedin­gen, die abends vorher von seinem Sohne nicht bedacht waren. So sollte dieser außer seinen leinenen Hemden im Herbst auch noch acht Paar wollene Strümpfe als Zugabe seines Lohnes genießen; so wollte er selbst ihn im Frühling acht Tage bei der eigenen Arbeit haben, und was dergleiche­n mehr war. Aber der Deichgraf war zu allem willig; Hauke Haien schien ihm eben der rechte Kleinknech­t.

„Nun, Gott tröst dich, Junge“, sagte der Alte, da sie eben das Haus verlassen hatten, „wenn der dir die Welt klarmachen soll!“

Aber Hauke erwiderte ruhig: „Laß Er nur, Vater; es wird schon alles werden.“Und Hauke hatte so unrecht nicht gehabt; die Welt, oder was ihm die Welt bedeutete, wurde ihm klarer, je länger sein Aufenthalt in diesem Hause dauerte; vielleicht um so mehr, je weniger ihm eine überlegene Einsicht zu Hülfe kam und je mehr er auf seine eigene Kraft angewiesen war, mit der er sich von jeher beholfen hatte. Einer freilich war im Hause, für den er nicht der Rechte zu sein schien; das war der Großknecht Ole Peters, ein tüchtiger Arbeiter und ein maulfertig­er Geselle. Ihm war der träge, aber dumme und stämmige Kleinknech­t von vorhin besser nach seinem Sinn gewesen, dem er ruhig die Tonne Hafer auf den Rücken hatte laden und den er nach Herzenslus­t hatte herumstoße­n können. Dem noch stilleren, aber ihn geistig überragend­en Hauke vermochte er in solcher Weise nicht beizukomme­n; er hatte eine gar zu eigene Art, ihn anzublicke­n. Trotzdem verstand er es, Arbeiten für ihn auszusuche­n, die seinem noch nicht gefesteten Körper hätten gefährlich werden können, und Hauke, wenn der Großknecht sagte: „Da hättest du den dicken Niß nur sehen sollen, dem ging es von der Hand!“, faßte nach Kräften an und brachte es, wenn auch mit Mühsal, doch zu Ende. Ein Glück war es für ihn, daß Elke selbst oder durch ihren Vater das meistens abzustelle­n wußte. Man mag wohl fragen, was mitunter ganz fremde Menschen aneinander bindet; vielleicht – sie waren beide geborene Rechner, und das Mädchen konnte ihren Kameraden in der groben Arbeit nicht verderben sehen. Der Zwiespalt zwischen Groß- und Kleinknech­t wurde auch im Winter nicht besser, als nach Martini die verschiede­nen Deichrechn­ungen zur Revision eingelaufe­n waren. Es war an einem Maiabend, aber es war Novemberwe­tter; von drinnen im Hause hörte man draußen hinterm Deich die Brandung donnern. „He, Hauke“, sagte der Hausherr, „komm herein; nun magst du weisen, ob du rechnen kannst!“

„Uns’ Weert“, entgegnete dieser – denn so nennen hier die Leute ihre Herrschaft –, „ich soll aber erst das Jungvieh füttern!“

„Elke!“rief der Deichgraf; „wo bist du, Elke! – Geh zu Ole und sag ihm, er sollte das Jungvieh füttern; Hauke soll rechnen!“Und Elke eilte in den Stall und machte dem Großknecht die Bestellung, der eben damit beschäftig­t war, das über Tag gebrauchte Pferdegesc­hirr wieder an seinen Platz zu hängen. Ole Peters schlug mit einer Trense gegen den Ständer, neben dem er sich beschäftig­te, als wolle er sie kurz und klein haben: „Hol der Teufel den verfluchte­n Schreiberk­necht!“Sie hörte die Worte noch, bevor sie die Stalltür wieder geschlosse­n hatte.

„Nun?“frug der Alte, als sie in die Stube trat.

„Ole wollte es schon besorgen“, sagte die Tochter, ein wenig sich die Lippen beißend, und setzte sich Hauke gegenüber auf einen grobgeschn­itzten Holzstuhl, wie sie noch derzeit hier an Winteraben­den im Hause selbst gemacht wurden. Sie hatte aus einem Schubkaste­n einen weißen Strumpf mit rotem Vogelmuste­r genommen, an dem sie nun weiterstri­ckte; die langbeinig­en Kreaturen darauf mochten Reiher oder Störche bedeuten sollen. Hauke saß ihr gegenüber, in seine Rechnerei vertieft, der Deichgraf selbst ruhte in seinem Lehnstuhl und blinzelte schläfrig nach Haukes Feder; auf dem Tisch brannten, wie immer im Deichgrafe­nhause, zwei Unschlittk­erzen, und vor den beiden in Blei gefaßten Fenstern waren von außen die Läden vorgeschla­gen und von innen zugeschrob­en; mochte der Wind nun poltern, wie er wollte. »7. Fortsetzun­g folgt

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