Rieser Nachrichten

Die Suche nach einer neuen Heimat

Beim Erzählcafé bedanken sich junge afghanisch­e Flüchtling­e für die Zuwendung, die sie im Ries erfahren haben und sprechen über ihre Erfahrunge­n mit Deutschlan­d

- VON PETER URBAN

Nördlingen Amin hat es geschafft. Er hat einen Job, er hat eine Wohnung, einen Führersche­in und neuerdings sogar einen Heimgarten, einen Inbegriff der so genannten deutschen Leitkultur. Mehr Integratio­n geht eigentlich nicht. Er spricht schon sehr gut Deutsch. Dennoch ist er auf der ständigen Suche nach einer, nach seiner neuen Heimat. Und er muss, trotz all seiner Bemühungen, immer mit dem Damoklessc­hwert einer Abschiebun­g über sich leben.

Er ist nur „geduldet“hier in seinem neuen Land. Geduldet von den Behörden, aber durchaus willkommen geheißen von der Bevölkerun­g. Nicht zuletzt deshalb wollten die jungen Afghanen diese Begegnung mit „Eingeboren­en“, die im Gemeindeze­ntrum St. Georg stattfand. Sie wollten sich für die Zuwendung bedanken, die sie von vielen Seiten aus der Bevölkerun­g bekommen hatten. Und sie wollten von sich erzählen, von ihrer alten Heimat, wo- sie sich erinnern, was sie nicht vergessen wollen und warum sie sich auf den Weg gemacht haben. Und den Besuchern gerne auch berichten, was ihnen bei der Integratio­n geholfen hat und weiter helfen würde, welche Wünsche und Hoffnungen sie für ein Leben in Deutschlan­d haben.

Dafür sind einige von ihnen bis aus München wieder zurück nach Nördlingen gekommen. Sie haben afghanisch­es Essen zubereitet, um auch durch den Magen zu vermitteln, was Afghanista­n im Prinzip zu bieten hätte, wenn dieses Land nicht schon immer von Kriegen und Konflikten zerrissen wäre. „Dieses Land wird nie zur Ruhe kommen.“Diesen Satz sagt ein Zuhörer, ein Landsmann, als Amin mitten in seinem Vortrag ist. Und Eskandaris Fakten unterstrei­chen diese These leider nur allzu deutlich: Es gibt 49 Sprachen und 200 Dialekte. 61 Prozent der Bevölkerun­g sind Analphabet­en, bei den Frauen 75 Prozent. Seit 1978 herrscht dort ununterbro­chen Krieg. Kein Wunder eigentlich, dass von circa 34 Millionen Einwohnern über sechs Millionen drogenabhä­ngig sind. „Nahezu jedes Land der Erde hat Besatzungs­soldaten in Afghanista­n“, berichtet Amin, und er mutmaßt auch, warum: „In Afghanista­n werden Bodenschät­ze im Wert von 2,5 Billionen Dollar vermutet.“

Der Krieg ist ein Krieg um Bodenschät­ze, Afghanista­ns Wasser ist verkauft, Amin weiß nicht, an wen, jedenfalls müssen Landwirte für die Bewässerun­g ihrer spärlichen Felder bezahlen. Es gibt nur eine (geteerte) Straße in Afghanista­n, erzählt er, keine Verkehrsin­frastruktu­r, keine Eisenbahn und keinen öffentlich­en Nahverkehr.

So etwas wie kulturelle­s Leben oder Gesundheit­sversorgun­g gebe es nur in den Städten, die die Landran bevölkerun­g so gut wie nicht erreichen kann.

Nicht nur deshalb leben sechs Millionen Afghanen in Pakistan und Iran, ungeliebt zwar, aber sie leben. Sie dürfen dort nicht arbeiten, keinen Grundbesit­z erwerben, keine Häuser kaufen, nicht Auto fahren.

Von den 25 000 Afghanen, die heute in Deutschlan­d leben, sind nicht wenige, wie Amin, von der Abschiebun­g bedroht. In ein Land, das der größte Teil von ihnen noch niemals gesehen hat, weil sie im Ausland geboren wurden.

Nur zwei der Flüchtling­e, die in St. Georg waren, sind in Afghanista­n geboren. Es mag sehr wohltuend für sie gewesen sein, anschließe­nd noch mit vielen Menschen persönlich sprechen zu können, auch wenn der Abend viel zu schnell zu Ende war.

Man versprach, sich im November an gleicher Stelle wieder zu treffen. Eine Fortsetzun­g des Dialoges, die allen Seiten, Deutschen und Afghanen, nur Gutes bringen kann.

Einige kamen aus München nach Nördlingen

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Foto: Peter Urban Afghanisch­e Flüchtling­e traten beim Erzählcafé im Gemeindeze­ntrum St. Georg in Nördlingen in den Dialog mit den Riesern. Sie wollten sich auch für die Zuwendung bedan ken, die sie von vielen Seiten erfahren haben.

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