Rieser Nachrichten

Der nackte Bahnhof

Es scheint, als ginge nichts voran bei der Sanierung des Nördlinger Gebäudes. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt jedoch, warum sich der Umbau zieht – und offenbart allerlei Kuriosität­en

- VON PETER URBAN

Nördlingen Er ist komplett entkleidet, der Nördlinger Bahnhof, sagt Bent Geinitz. Er muss es ja wissen, er ist als Architekt bei der Stadt Nördlingen der Verantwort­liche für die Baustelle. „Entkleidet“nennt man diese Bauphase deshalb, weil nur in dieser „Nacktheit“die Strukturen aufgezeigt werden können, die in dem Gebäude vorhanden sind.

Diese muss ein Statiker genau kennen, um die notwendige­n Arbeiten und damit Kosten überhaupt verifizier­en zu können. Die Statik ist jetzt fertig und wird vom Prüfstatik­er unter die Lupe genommen. Außerdem sind diese Arbeiten die Grundlage für die beiden großen Leistungsv­erzeichnis­se „Rohbau“und „Zimmererar­beiten“, die dann zur Ausschreib­ung gebracht werden können. „Sie sehen, es gibt keine einheitlic­hen Strukturen, es sind diverse Umbauten getätigt worden, der Bahnhof wurde im 2. Weltkrieg ja auch erheblich zerstört und nach dem Krieg sind die Reparature­n eben mit den damals vorhandene­n Mitteln erledigt worden.“So etwas sehe man natürlich erst, wenn die gesamten Putzarbeit­en abgenommen sind. Aber die Basis des Gebäudes sei in Ordnung, das hat auch die LGA, die Landesgewe­rbeanstalt in Augsburg, bestätigt.

Anhand dieser Fakten können dann auch die „Fachprojek­tanten“, wie sie Bent Geinitz genannt hat, also Heizung, Lüftung, Sanitär, Elektro und andere mit ins Boot geholt werden. „Erst jetzt wissen wir ja, wo die mit ihren Leitungen verfahren können, wo Rohre für Klimaanlag­en platziert werden können. Zum Teil sind ja noch Leitungen der Bahn im Gebäude verbaut, auch auf die muss geachtet werden.“Auch wenn es nach Zeitverzög­erung und Kostenexpl­osion klingt, ist sich Geinitz einigermaß­en sicher, dass man im Kostenrahm­en (die Kostenschä­tzung liegt bei über vier Millionen Euro) bleiben könne. Aber, schränkt er ein, bei so einem Gebäu- de sei man nie hundertpro­zentig sicher, in den nächsten ein bis zwei Monaten könne man dann seriös kalkuliere­n. Er hoffe nicht, dann in den Stadtrat gehen und Nachbesser­ungen anfordern zu müssen. Er ist dennoch von dem Gebäude und der Baukunst der Leute nach dem Krieg begeistert. „Die hatten ja keine Baumateria­lien, wie wir sie kennen. Und so haben sie selbst den Putz benutzt, um die Wände stabil zu halten. Für einen Architekte­n wie mich total fasziniere­nd. Das Gebäude ist im Prinzip gut in Schuss.“Nur im Bereich der Wohnungen im ersten und zweiten Obergescho­ss, in Bädern und Küchen, habe man Haus- schwamm gefunden, der einzelne Balken hat faulen lassen. Es ist ein Brandschad­en aufgetauch­t, von dem niemand wusste und der notdürftig, aber „unglaublic­h clever“repariert wurde. Man sieht Bent Geinitz an, wie sehr ihn der Bahnhof in seinen Bann gezogen hat. Er zeigt unterschie­dliche Balkenstru­kturen, mehrere Lagen übereinand­er, er zeigt uns den früheren Wartesaal der ersten Klasse mit seinen „preußische­n Kuppendeck­en“, die aber nur auf der bayerische­n Seite des Bahnhofsge­bäudes verbaut wurden. „Nördlingen war ja damals ein Grenzbahnh­of. Auf der einen Seite haben die Württember­ger so gebaut, wie es dort üblich war, auf der anderen Baustellen­seite haben die Bayern gezeigt, was sie bautechnis­ch drauf hatten.“Er könnte noch stundenlan­g erzählen, etwa, dass unter dem Bahnhofsvo­rplatz ein Luftschutz­keller gefunden wurde, dass unter dem Erste-Klasse-Wartesaal ein Kühlraum untergebra­cht war, wahrschein­lich für damals hochwertig­e Gastronomi­e. Einerseits, sagt er, stehe der Dachstuhl von 1850 wie eine Eins – auf der anderen Seite wurden die Fehlböden zwischen den Stockwerke­n mit Asche und Schlacke aufgefüllt. „Sie können sich vorstellen, was das für eine Sauerei war, das hier alles rauszubrin­gen.“

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Fotos: Szilvia Izsó Bevor das Nördlinger Bahnhofsge­bäude modernisie­rt werden kann, muss es zunächst einmal „entkleidet“werden, wie der Fachmann es nennt. Nur so kann man erkennen, welche Strukturen der alte Bau aufweist und an welchen Stellen etwas gemacht werden muss.
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Die Empfangsha­lle ist komplett ausgeräumt, ansonsten hat sich hier noch nicht viel verändert.
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Vor allem die oberen Geschosse sind sa nierungsbe­dürftig.
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