Der nackte Bahnhof
Es scheint, als ginge nichts voran bei der Sanierung des Nördlinger Gebäudes. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt jedoch, warum sich der Umbau zieht – und offenbart allerlei Kuriositäten
Nördlingen Er ist komplett entkleidet, der Nördlinger Bahnhof, sagt Bent Geinitz. Er muss es ja wissen, er ist als Architekt bei der Stadt Nördlingen der Verantwortliche für die Baustelle. „Entkleidet“nennt man diese Bauphase deshalb, weil nur in dieser „Nacktheit“die Strukturen aufgezeigt werden können, die in dem Gebäude vorhanden sind.
Diese muss ein Statiker genau kennen, um die notwendigen Arbeiten und damit Kosten überhaupt verifizieren zu können. Die Statik ist jetzt fertig und wird vom Prüfstatiker unter die Lupe genommen. Außerdem sind diese Arbeiten die Grundlage für die beiden großen Leistungsverzeichnisse „Rohbau“und „Zimmererarbeiten“, die dann zur Ausschreibung gebracht werden können. „Sie sehen, es gibt keine einheitlichen Strukturen, es sind diverse Umbauten getätigt worden, der Bahnhof wurde im 2. Weltkrieg ja auch erheblich zerstört und nach dem Krieg sind die Reparaturen eben mit den damals vorhandenen Mitteln erledigt worden.“So etwas sehe man natürlich erst, wenn die gesamten Putzarbeiten abgenommen sind. Aber die Basis des Gebäudes sei in Ordnung, das hat auch die LGA, die Landesgewerbeanstalt in Augsburg, bestätigt.
Anhand dieser Fakten können dann auch die „Fachprojektanten“, wie sie Bent Geinitz genannt hat, also Heizung, Lüftung, Sanitär, Elektro und andere mit ins Boot geholt werden. „Erst jetzt wissen wir ja, wo die mit ihren Leitungen verfahren können, wo Rohre für Klimaanlagen platziert werden können. Zum Teil sind ja noch Leitungen der Bahn im Gebäude verbaut, auch auf die muss geachtet werden.“Auch wenn es nach Zeitverzögerung und Kostenexplosion klingt, ist sich Geinitz einigermaßen sicher, dass man im Kostenrahmen (die Kostenschätzung liegt bei über vier Millionen Euro) bleiben könne. Aber, schränkt er ein, bei so einem Gebäu- de sei man nie hundertprozentig sicher, in den nächsten ein bis zwei Monaten könne man dann seriös kalkulieren. Er hoffe nicht, dann in den Stadtrat gehen und Nachbesserungen anfordern zu müssen. Er ist dennoch von dem Gebäude und der Baukunst der Leute nach dem Krieg begeistert. „Die hatten ja keine Baumaterialien, wie wir sie kennen. Und so haben sie selbst den Putz benutzt, um die Wände stabil zu halten. Für einen Architekten wie mich total faszinierend. Das Gebäude ist im Prinzip gut in Schuss.“Nur im Bereich der Wohnungen im ersten und zweiten Obergeschoss, in Bädern und Küchen, habe man Haus- schwamm gefunden, der einzelne Balken hat faulen lassen. Es ist ein Brandschaden aufgetaucht, von dem niemand wusste und der notdürftig, aber „unglaublich clever“repariert wurde. Man sieht Bent Geinitz an, wie sehr ihn der Bahnhof in seinen Bann gezogen hat. Er zeigt unterschiedliche Balkenstrukturen, mehrere Lagen übereinander, er zeigt uns den früheren Wartesaal der ersten Klasse mit seinen „preußischen Kuppendecken“, die aber nur auf der bayerischen Seite des Bahnhofsgebäudes verbaut wurden. „Nördlingen war ja damals ein Grenzbahnhof. Auf der einen Seite haben die Württemberger so gebaut, wie es dort üblich war, auf der anderen Baustellenseite haben die Bayern gezeigt, was sie bautechnisch drauf hatten.“Er könnte noch stundenlang erzählen, etwa, dass unter dem Bahnhofsvorplatz ein Luftschutzkeller gefunden wurde, dass unter dem Erste-Klasse-Wartesaal ein Kühlraum untergebracht war, wahrscheinlich für damals hochwertige Gastronomie. Einerseits, sagt er, stehe der Dachstuhl von 1850 wie eine Eins – auf der anderen Seite wurden die Fehlböden zwischen den Stockwerken mit Asche und Schlacke aufgefüllt. „Sie können sich vorstellen, was das für eine Sauerei war, das hier alles rauszubringen.“