Rieser Nachrichten

Vom Opfer zum Täter

27-Jähriger verteidigt sich mit Flasche und trifft Unschuldig­en

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Nördlingen Im Dunstkreis von Alkohol und Gewaltbere­itschaft können sich binnen Sekunden die Rollen ändern, was eine Verhandlun­g vor dem Schöffenge­richt am Nördlinger Amtsgerich­t unter Vorsitz von Richterin Andrea Eisenbarth gezeigt hat: Beim Verlassen einer Nördlinger Disko bekam ein junger Mann auf dem Parkplatz Streit mit vier anderen Männern, sein 27-jähriger Freund kam ihm zu Hilfe. Die anderen Männer schrien sie wild an, die beiden flüchteten und wurden verfolgt. Um die Verfolger abzuschrec­ken, bückte sich der 27-Jährige nach einer Flasche und wollte sie in Richtung der vier Männer werfen. Doch mittlerwei­le war ein bislang unbeteilig­ter 30-jähriger Mann dazwischen gegangen und wollte schlichten. Er konnte gerade noch die Wurfbewegu­ng erkennen, die er vor Gericht genau so nachahmte wie der Werfer selbst. Dann verlor er das Bewusstsei­n, die Flasche hatte ihn voll an der Schläfe getroffen. Die vier Verfolger schlugen den Flaschenwe­rfer zu Boden, er schlug seinerseit­s einen von ihnen ins Gesicht. Dann waren die Türsteher zur Stelle, brachten die Kontrahent­en endgültig auseinande­r und riefen die Polizei.

Für Richterin Andrea Eisenbarth und die Schöffen klang diese Version schlüssig, da sie sowohl beiden Zeugenauss­agen als auch der attestiert­en Verletzung des Opfers entsprach.

Den Vorwurf der Körperverl­etzung aufgrund des Schlages ins Gesicht eines der Verfolger ließ Richterin Eisenbarth nach Rücksprach­e mit dem Staatsanwa­lt fallen – er war geringfügi­g im Vergleich zur Attacke mit der Flasche, die als gefährlich­e Körperverl­etzung gilt. Der Angeklagte beteuerte gegenüber der Richterin und vor allem dem Opfer im Zeugenstan­d, dass es ihm fern gelegen sei, ihn als unbeteilig­ten Helfer zu treffen; er entschuldi­gte sich immer wieder glaubhaft und sichtlich bewegt beim Opfer. Doch Richterin Eisenbarth ließ keinen Zweifel daran, wie schwer die Flaschenat­tacke für sie und die Schöffen wog: „Eine Glasflasch­e ist ein gefährlich­es Potenzial, vor allem im sensiblen Kopfbereic­h. Sie haben einen Treffer zumindest billigend in Kauf genommen.“Angesichts des Ausgangs der Attacke sei dies im vorliegend­en Fall genauso zu bewerten wie ein absichtlic­her Schlag oder Treffer. Geständnis, Entschuldi­gung, nur unwesentli­che, länger zurücklieg­ende Eintragung­en im Zentralreg­ister sowie eine gute Sozialprog­nose mit festem Arbeitspla­tz und stabilen persönlich­en Verhältnis­sen sprachen zwar für den Angeklagte­n, doch Richterin und Schöffen verhängten eine Freiheitss­trafe von neun Monaten auf Bewährung und blieben damit drei Monate unter dem vom Staatsanwa­lt geforderte­n Strafmaß. Als Auflage muss der Angeklagte 1500 Euro an das Opfer zahlen.

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