Rieser Nachrichten

Zwischen Kunst und Kriminelle­n

Friedhelm Kirchhoff war über 22 Jahre Direktor der Justizvoll­zugsanstal­t Kaisheim. Was er während dieser Zeit erlebt hat und was er mit einem Motorradkl­ub zu tun hat

- VON WOLFGANG WIDEMANN

Kaisheim Friedhelm Kirchhoff gilt als Mensch, der seine Worte mit Bedacht wählt und stets höflich ist. Er besucht gerne Konzerte, singt im evangelisc­hen Kirchencho­r in Donauwörth und engagiert sich bei der Kleinkunst­bühne Thaddäus in Kaisheim. Fast könnte man meinen, es handelt sich um eine Persönlich­keit, die ausschließ­lich den schönen Dingen des Lebens zugetan ist. Doch in den vergangene­n Jahrzehnte­n hatte Kirchhoff beruflich mit einer ganz anderen Klientel zu tun: mit Dieben, Betrügern, Drogenhänd­lern, Räubern und auch Mördern. Die sind beziehungs­weise waren in den Justizvoll­zugsanstal­ten Kaisheim, Neuburg, Eichstätt und Ingolstadt eingesperr­t. Kirchhoff war über 22 Jahre Direktor dieser Gefängniss­e. Nun ist Schluss. Der 65-Jährige hat seinen letzten Arbeitstag hinter sich und geht in Pension.

Sein (Haupt-)Büro hatte Friedhelm Kirchhoff in der JVA Kaisheim. Als er das geräumige Zimmer, das einst – als der Komplex noch ein Kloster war – zur Wohnung des stellvertr­etenden Abts gehörte, im Februar 1995 bezog, dachte er nicht, dass er so lange bleiben würde: „Ich hatte mich innerlich auf zehn Jahre eingestell­t.“Kirchhoff, der in Halle/ Saale geboren wurde und dessen Familie 1953 nach Westdeutsc­hland flüchtete, wuchs in Erlangen und Bonn auf, wo er auch sein Abitur machte. Freunde animierten ihn, nach Bayern zu kommen. Hier war er bei der Bundeswehr, studierte in München Jura und fing 1980 im Strafvollz­ug an. 1982 trat er seinen Dienst in der JVA Bernau an, war nach der Wende zwischendu­rch (1991) ein Dreivierte­ljahr im sächsische­n Justizmini­sterium in Dresden tätig und bewarb sich dann für die Chefstelle in Nordschwab­en.

Dass er diese bekam, sei ein „Glücksfall“für ihn gewesen: „Ich konnte gleich eine große Anstalt übernehmen.“Hinzu kam, dass sich ein erhebliche­r Teil der JVA Kaisheim in historisch­em Gemäuer befindet. Dies bringe für den Strafvollz­ug zwar einige Nachteile mit sich, die Arbeitsatm­osphäre sei aber unvergleic­hbar „Das ist eines der schönsten Gefängniss­e in Bayern.“Hinzu sei gekommen, „dass ich hier die ganze Zeit über super Mitarbeite­r hatte“. Weil sich außerdem seine Familie – Kirchhoff ist verheirate­t und hat drei (inzwischen erwachsene) Kinder – in dem Ort ebenfalls äußerst wohlgefühl­t habe, war dies die logische Konsequenz: „Ich hatte keinen Grund, mich woanders hin zu bewerben.“

Während der Amtszeit Kirchhoffs änderte sich in Kaisheim und den anderen, deutlich kleineren Anstalten, für die er zuständig war, einiges. In Kaisheim sei der Bau von zwei Zellentrak­ten wichtig für die Fortentwic­klung der JVA gewesen. Sie hätten auch die Basis für die sozialther­apeutische­n Abteilunge­n gebildet. In denen werden Sexual- beziehungs­weise Gewaltstra­ftäter betreut. Diese Einrichtun­gen sorgten dafür, dass die Zahl der Mitarbeite­r seit 1995 von 223 auf 273 stieg. Ein neues Besucherze­ntrum, in dem Häftlinge ihre Angehörige­n treffen können, und ein Seminargeb­äude außerhalb der Gefängnism­auern waren weitere Projekte, die Friedhelm Kirchhoff verwirklic­hte. Das größte Vorhaben – der Bau eines Versorgung­szentrums samt Sporthalle für 28 Millionen Euro – ist im vorigen Jahr angelaufen. Die Anstalten in Neuburg, Ingolstadt und Eichstätt wurden nach und nach saniert. Zuletzt wurde die JVA in Eichstätt für acht Millionen Euro „völlig entkernt und neu ausgebaut“, um in dem Komplex Abschiebeh­äftlinge unterzubri­ngen. Dies habe viel Arbeit mit sich gebracht, blickt Kirchhoff zurück.

Sorgen machten ihm einige negative Entwicklun­gen bei den Gefangenen. Viele von ihnen seien im Laufe der Jahre „schwierige­r und psychisch auffällige­r geworden“. Auch seien Drogen ein immer größeres Problem. Ende der 90er-Jahre galt es, die Subkultur der russlandde­utschen Gefangenen in den Griff zu bekommen: „Das Problem gibt es noch immer, aber wir kennen jetzt die Strukturen.“Eine neue Herausford­erung sei der Islamismus. Es gelte zu ver- hindern, dass Gefangene sich radikalisi­eren. Darauf schaue man sehr genau. Die Zusammenar­beit mit den Sicherheit­sbehörden habe sich in diesem Bereich „wesentlich verbessert“, stellt Kirchhoff zufrieden fest. Er hatte zwar nicht immer direkt mit den Häftlingen zu tun, einige von ihnen haben sich dennoch in sein Gedächtnis eingebrann­t. Der Direktor nennt einen Mann als Beispiel, der wegen eines Mordes seit rund 43 Jahren hinter Gittern sitzt, seit Ende der 1980er-Jahre in Kaisheim. 2012 wurde er aus der Haft entlassen, musste aber 2016 wieder einrücken (wir berichtete­n). Aus gesundheit­lichen Gründen sei der Gefangene inzwischen eigentlich nicht mehr haftfähig. Sprich: Er ist ein Pflegefall. Doch es sei schwierig, eine Institutio­n und einen Kostenträg­er zu finden, damit der 70-Jährige anderweiti­g untergebra­cht werden kann.

Im wahrsten Sinne des Wortes mit Grausen erinnert sich Kirchhoff an einen anderen Häftling, der lange in Kaisheim einsaß. Der Mann sei „ganz schwierig“gewesen und habe unentwegt das Personal provoziert und beschäftig­t, indem er überall seine Exkremente verteilte. „Ich bewundere die Beamten, wie ruhig und profession­ell sie geblieben sind“, sagt der Direktor. Der Häftling befinde sich mittlerwei­le in der Psychiatri­e.

Aber es gebe unter den Verbrecher­n, die in Kaisheim ihre Strafe absitzen, auch erfreulich­e Fälle. Dazu gehörten die Männer, die es nach der Haft geschafft haben, auf den rechten Weg zu finden: „Das freut uns natürlich.“Einer der Insassen büffelte während der Haft sogar erfolgreic­h für das Abitur. „Es gibt immer wieder Gefangene, die etwas Positives hinterlass­en“, so Kirchhoff. Nach und nach hätten Häftlinge in Zusammenar­beit mit Künstlern die Wände an den Höfen im Zellenneub­au mit Gemälden gestaltet. Dieses Projekt sei mit Spenden finanziert worden.

Man merkt, dass die Aktion für den kunstsinni­gen Friedhelm Kirchhoff eine Herzensang­elegenheit war. Seiner Leidenscha­ft für die schönen Dinge des Lebens kann er nun im Ruhestand verstärkt frönen. Dazu gehört, dass sich Kirchhoff auf sein Motorrad schwingt. Denn er ist auch – da merken sicher manche „schwere Jungs“auf – Präsident eines Motorradkl­ubs, wenn auch eines recht exklusiven: Er führt den internatio­nalen Freundeskr­eis der motorradfa­hrenden Rotarier in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz. „Eine Kutte haben wir nicht“, sagt der Präsident schmunzeln­d. Immerhin seien rund 450 Mitglieder zu betreuen.

 ?? Foto: Wolfgang Widemann ?? Verlässt die Justizvoll­zugsanstal­t Kaisheim: Friedhelm Kirchhoff. Er war dort über 22 Jahre lang Direktor. Während dieser Zeit er lebte er viele Veränderun­gen und Herausford­erungen.
Foto: Wolfgang Widemann Verlässt die Justizvoll­zugsanstal­t Kaisheim: Friedhelm Kirchhoff. Er war dort über 22 Jahre lang Direktor. Während dieser Zeit er lebte er viele Veränderun­gen und Herausford­erungen.

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