Rieser Nachrichten

Schrille Politsatir­e

In Nördlingen spielt das Landesthea­ter Schwaben das Stück „Wunder Bares Europa“. Das ist ein bitterböse Farce – und gefällt nicht jedem

- VON TONI KUTSCHERAU­ER

Nördlingen „Was gibt’s Schöneres auf Erden, als Politiker zu werden?“fragte Reinhard Mey einst in einem frechen Protestson­g. Dass diese Frage in der aktuellen politische­n Landschaft in Deutschlan­d, Europa und der Welt berechtigt­er denn je ist, zeigt die schrille Satire „Wunder Bares Europa“des britischen Autors Richard Bean, die im Rahmen des Kulturprog­ramms der Stadt Nördlingen im Klösterle zur Aufführung kam.

Schon die erotisch aufgeladen­e Eingangssz­ene in einem Etablissem­ent mit Champagner, schwülstig­em Bluesrock und sich lasziv umtanzende­n Körpern bietet einen Einblick in das Leben des deutschen Europa-Abgeordnet­en (MdEP) Philip Kleiderman­n (Jens Schnarre). Der hat sich im fernen Straßburg feudal in einer Art ParallelWe­lt eingericht­et: Suite im LuxusHotel, willige Frauen und rauschende Partys – alles natürlich auf Kosten des Steuerzahl­ers. Politische Aktivitäte­n sind eher nervige Randersche­inungen und werden von der illegal beschäftig­ten russischen Praktikant­in Sasha (Regina Vogel) gemanagt, denn Philip muss „Kohle scheffeln – der wichtigste Tagesordnu­ngspunkt von allen!“

In einem Intrigensp­iel der „Sozialiste­n-Peitsche“Cantalupi (Miriam Haltmeier) soll Kleiderman­n nun sogar Präsident des EU-Parlaments werden. Dazu braucht es allerdings Mehrheiten, die ausgerechn­et Beatrice (Anke Fonferekt), die nymphoman veranlagte Vorsitzend­e des europäisch­en Frauenkomi­tees verschaffe­n soll. Doch ausgerechn­et jetzt nistet sich ein Spitzel der AntiKorrup­tionsbehör­de OLAF (Jan Arne Looss) bei Philip ein. Zu allem Überfluss hat sich noch Lebensgefä­hrtin Nikola (Elisabeth Hütter) angekündig­t, die endlich ihren Kinderwuns­ch realisiere­n will.

Das durchweg überzeugen­de Ensemble besteht zum einen aus langjährig­en Stammkräft­en des Landesthea­ters Schwaben (LTS) und zum anderen aus Schauspiel­ern, die die neue Intendanti­n Kathrin Mädler seit ihrem Amtsantrit­t vor einem Jahr nach Memmingen geholt hat. Bravourös gibt Jens Schnarre in der facettenre­ichen Hauptrolle den politische­n Opportunis­ten, gewissenlo­sen Spesenritt­er und „sexbesesse­nen Egomanen“. Ebenso spielfreud­ig Regina Vogel als heimlich die Fäden ziehende Praktikant­in und Anke Fonferek als sexhungrig­e Frauenakti­vistin. Wie immer eine Klasse für sich ist André Stuchlik als verschmitz­ter Schweinezü­chter und AfD-Abgeordnet­er, während Jan Arne Looss und Sandro Sutalo gleich mehrere Rollen verkörpern.

Autor Richard Bean rechnet in „Wunder Bares Europa“ordentlich mit der politische­n Kaste ab, indem er das Europa-Parlament als intrigante­n, korrupten und dekadenten Haufen vorführt. So wird etwa – politisch aktuell und deshalb hochbrisan­t – das Geschacher um den EUBeitritt der Türkei bloßgestel­lt: zwischen macht- und geldgierig­en Mehrheitsb­eschaffern, Lobbyisten und Profit-Geiern, zwischen Geldkoffer­n und fingierten Briefbombe­n geht es um alles Mögliche – nur nicht um die Interessen und das Wohl des türkischen Volkes. Dass hier politisch (und zwischenme­nschlich) jeder mit jedem kungelt, dass die MdEP-Ehefrau Zuhause als „Büroleiter­in“ein Salär von 80 000 Euro kassiert („ohne auch nur einen Finger krumm zu machen“), dass der Korruption­sBeauftrag­te selbst eine dubiose Gestalt ist – all das zeugt von einem einzigen politische­n Sodom und Gomorra.

Natürlich bedient sich diese bitteböse Farce der Stilmittel der Übertreibu­ng und Überzeichn­ung, ist pointiert und bisweilen ätzend. Doch wird die inhaltlich­e Botschaft und die beißende Kritik an herrschend­en politische­n und gesellscha­ftlichen Zuständen auf diese Weise mehr als deutlich. Dafür sind Autor, Intendanz und Regie (Oliver D. Endreß) ausdrückli­ch zu loben. Leider gleitet das Stück mit zunehmende­r Spieldauer immer mehr in eine Verwechslu­ngs- und SlapstickK­omödie ab. Schlüpfrig­e und mitunter wenig geschmackv­olle Witze und Requisiten wie ein „Polizisten­Baukasten“(Handschell­en und Dildo), die „leicht entzündlic­he Hobelhand“oder eine Eiswasser-Fruchtbark­eits-Kur sorgen für schnelle Lacher, rauben dem Stück aber einen guten Teil an satirische­r Schärfe.

Dies kam – wie das gesamte Stück – nicht bei allen Besuchern gut an, wenngleich – oder gerade weil – sich nach einer Kooperatio­ns-Offensive des LTS mit verschiede­nen Schulen der Region zahlreiche Schüler unter den rund 400 Besuchern befanden. So fiel der Applaus am Ende zwar höflich, aber keineswegs überborden­d aus.

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Foto: Mack Die Politsatir­e „Wunder Bares Europa“zeigte das Landesthea­ter Schwaben in Nördlingen.

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