Rieser Nachrichten

Sexuelle Belästigun­g: Politische­s Beben in Wien

Der Chef der gleichnami­gen Partei und Ex-Grüne, Peter Pilz, tritt nach einschlägi­gen Vorwürfen zurück

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Noch bevor es in Österreich eine neue Regierung gibt, ist die Opposition deutlich geschwächt. Peter Pilz, 63, Ex-Grüner, Aufdecker vieler politische­r Skandale und erfolgreic­her Initiator der „Liste Pilz“hat am Samstag verkündet, er werde sein Abgeordnet­enmandat nicht annehmen. Damit hat seine als Abspaltung von den Grünen angetreten­e Liste ihren politische­n Kopf verloren.

Pilz zog nach eigenen Worten die Konsequenz aus dem von Zeugen bestätigte­n Vorwurf, er habe 2013 eine Frau sexuell belästigt. Am Freitagabe­nd war zuvor ein anderer Vorwurf publik geworden. Eine ehemalige Mitarbeite­rin von Pilz hatte die „Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft“im Bundeskanz­leramt eingeschal­tet, die für Beschwerde­n über sexuelle Belästigun­g am Arbeitspla­tz zuständig ist.

Die Mitarbeite­rin hatte 2015/16 vierzig Vorfälle protokolli­ert, in denen Pilz sie verbal oder körperlich belästigt haben soll. Am Tag darauf folgte dann der Vorwurf einer EVPReferen­tin im Europäisch­en Parlament, Pilz habe sie im Sommer 2013 bei einem Forum im Tiroler Alpbach an Hals, Brust und Rücken berührt und bedrängt. Der damals noch zu den Grünen gehörende Abgeordnet­e sei bei diesem Übergriff betrunken gewesen.

Zwei Zeugen hätten Pilz zurückgezo­gen und die Frau befreit. Pilz erinnert sich nicht an den Vorgang, nannte ihn jedoch als Grund dafür, sein Mandat nicht anzunehmen. In einer Pressekonf­erenz sagte das langjährig­e Mitglied in vielen Untersuchu­ngsausschü­ssen: „Persönlich­e Erinnerung­slosigkeit ist keine Entschuldi­gung“, das sei für ihn „selbstvers­tändlich“. Ihm sei jetzt klar: „Wir älteren und in meinem Fall gerade noch mächtigen Männer müssen bereit sein, etwas dazuzulern­en.“

Heftig bestritt er allerdings die Vorwürfe seiner früheren Mitarbeite­rin. Die Frau wolle sich rächen, weil er nicht bereit gewesen sei, sie in eine höhere Gehaltskla­sse zu befördern. „Ich weiß nur, dass hier jemand Vorwürfe produziert, die frei erfunden sind“, so Pilz. Er werde sich dagegen wehren. Die frühere Vorsitzend­e der Grünen, Eva Glawischni­g, die von den Vorwürfen wusste und die Mitarbeite­rin darum versetzt hatte, sagte, sie habe den Fall nicht früher öffentlich machen können, weil die Mitarbeite­rin auf Anonymität bestanden hätte. Pilz hatte die Grünen im Frühjahr verlassen, nachdem der Wahlpartei­tag ihn nicht auf den sicheren Listenplat­z 4 gewählt hatte. Die Grünen verfehlten dann den Einzug ins Parlament. Pilz errang acht Mandate mit seiner eigenen neuen „Liste Pilz“. In einer Krisensitz­ung stellten sich deren Abgeordnet­en am Samstag hinter den Gründer, der die Arbeit weiter unterstütz­en will.

Pilz hat in der österreich­ischen Politik seit 31 Jahren eine wichtige Rolle gespielt, weil er zäh und unbestechl­ich recherchie­rte, wenn er Kartelle, Korruption und Verbrechen witterte, beispielsw­eise zuletzt im Eurofighte­r-Untersuchu­ngsausschu­ss. Österreich führt seit der Harvey-Weinstein-Affäre eine lebhafte Debatte über sexuelle Belästigun­g.

Der Chefredakt­eur der in Staatsbesi­tz befindlich­en Wiener Zeitung wurde entlassen, weil er einer freien Journalist­in per SMS nachts um drei Uhr eine Stelle in Aussicht gestellt haben soll, wenn sie sich sexuell auf ihn einlasse. Der Chefredakt­eur entschuldi­gte sich später ebenfalls damit, betrunken gewesen zu sein. Auch in dem Fall wurde die Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft im Bundeskanz­leramt tätig. Darüber hinaus wird über verschiede­ne andere Fälle sexueller Belästigun­g berichtet, die ÖVP- und FPÖ-Politiker betreffen.

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