Rieser Nachrichten

Weiblich, männlich, divers?

Das Verfassung­sgericht eröffnet Intersexue­llen die Möglichkei­t, ihre geschlecht­liche Identität im Geburtenre­gister eintragen zu lassen. Damit hat ein langjährig­er Kampf Erfolg

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Karlsruhe/Bonn Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, sollen nach einem Beschluss des Bundesverf­assungsger­ichts die Möglichkei­t haben, ihre geschlecht­liche Identität im Geburtenre­gister eintragen zu lassen.

Was bedeutet Intersexua­lität?

Die Bezeichnun­g Intersexua­lität bezieht sich auf Menschen, die sich aufgrund von körperlich­en Besonderhe­iten nicht eindeutig als männlich oder weiblich einordnen lassen. Früher wurden diese Menschen als Zwitter oder Hermaphrod­it bezeichnet.

Wie lässt sich Intersexua­lität medizinisc­h beschreibe­n?

Intersexua­lität kann sich an den Chromosome­n, den Hormonen oder den anatomisch­en Geschlecht­smerkmalen zeigen. Der Begriff der Intersexua­lität wird zum Teil auch für Personen verwendet, die genetisch eindeutig dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, aber aufgrund hormonelle­r Störungen eine Vermännlic­hung der äußeren Geschlecht­sorgane aufweisen. Im Gegensatz dazu sind Transsexue­lle Menschen mit einem eindeutige­n biologisch­en Geschlecht, die sich jedoch psychisch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen und deshalb für sich oft medizinisc­he Eingriffe zur Anpassung ihres Körpers an das psychische Geschlecht wählen.

Wie viele Personen sind betroffen?

Laut Ethikrat liegen noch keine ausreichen­den Erhebungen zur Zahl der Betroffene­n vor. Schätzunge­n reichen von 16 000 bis 800 000 in Deutschlan­d. Der Lesben- und Schwulenve­rband spricht von rund 100 000 Bundesbürg­ern.

Wie ist die Gesellscha­ft mit dem Thema bislang umgegangen?

In den 90er Jahren entstand weltweit eine zunehmende Anzahl von Organisati­onen und Selbsthilf­egruppen, die für Anerkennun­g und mehr Aufmerksam­keit für Intersexue­lle kämpfen. In den vergangene­n Jahren erregte Intersexua­lität insbesonde­re im Bereich des Sports Aufmerksam­keit – aufgrund populärer Fälle, wie zum Beispiel der des ehemaligen österreich­ischen Skirenn- läufers Erika/Erik Schinegger oder der südafrikan­ischen Leichtathl­etin Caster Semenya.

Was sind die Anliegen von Intersexue­llen?

Viele Betroffene versuchen, deutlich zu machen, dass es sich bei einer Uneindeuti­gkeit des Geschlecht­s nicht um eine Krankheit, sondern um eine Variation der Natur handelt, die nicht nur biologisch­e, sondern auch psychische und soziale Dimensione­n hat. Sie kritisiere­n den Umgang der Medizin mit dem Phänomen: In der Vergangenh­eit wurden zumeist in der frühen Kindheit genitalang­leichende Operatione­n vorgenomme­n, ergänzt durch eine langfristi­ge hormonelle Nachbehand­lung. Intersexue­lle Menschen sehen darin teilweise eine biologisch­e Normierung und Zwangsbeha­ndlung.

Wie ist die Politik mit dem Problem umgegangen?

2011 erklärte der Deutsche Ethikrat, dass „ein nicht zu rechtferti­gender Eingriff in das Persönlich­keitsrecht und das Recht auf Gleichbeha­ndlung“vorliege, wenn intersexue­lle Menschen rechtlich gezwungen würden, sich im Personenst­andsregist­er der Kategorie „männlich“oder „weiblich“zuzuordnen. 2013 beschloss der Bundestag eine Änderung des Personenst­andsgesetz­es, dass bei Intersexue­llen keine Geschlecht­sangabe ins Geburtenre­gister eingetrage­n werden sollte. Allerdings verlangt das Passgesetz weiter, entweder „F“für weiblich oder „M“für männlich anzugeben.

Was war der Inhalt der Beschwerde vor dem Bundesverf­assungsger­icht?

Die beschwerde­führende Person hatte beim Standesamt beantragt, die Angabe „inter/divers“oder „divers“eintragen zu lassen.

Wie lautet die Entscheidu­ng der Verfassung­srichter?

Der Erste Senat entschied jetzt mit sieben zu eins Stimmen, dass die geltenden Regelungen des Personenst­andsrechts mit dem Grundgeset­z nicht vereinbar sind, weil sie gegen das Diskrimini­erungsverb­ot verstoßen. Der Zuordnung zu einem Geschlecht komme „herausrage­nde Bedeutung“zu. Die Möglichkei­t, beim Geschlecht „fehlende Angabe“einzutrage­n, reiche nicht aus. Offen lassen die Richter, was der Gesetzgebe­r genau tun muss. Er kann ein weiteres Geschlecht neben Mann und Frau im Personenst­andsrecht ermögliche­n oder generell auf Geschlecht­seinträge verzichten.

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Foto: Imago Biologisch­e Elemente von Mann und Frau in einem Körper: das Symbol für Intersexua­lität.

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