Rieser Nachrichten

Wo die Sonne ihre ganze Kraft zeigt

Chile erlebt derzeit eine Energie-Revolution. Das Potenzial für die Erneuerbar­en ist schier unerschöpf­lich

- VON PHILIPP HEDEMANN Santiago de Chile

Die intensivst­e Sonneneins­trahlung der Welt, die trockenste Wüste der Welt, die größte Kupfermine der Welt mit einem riesigen Energiebed­arf. Alles an einem Ort – und kaum Menschen, die das Experiment stören können. Bessere Versuchsbe­dingungen hätte sich kein Wissenscha­ftler ausdenken können. In der chilenisch­en Atacama-Wüste existieren sie wirklich. Mit internatio­nalem Know-how und deutscher Erfahrung will der Andenstaat jetzt zum weltweiten Vorreiter der Energiewen­de und des Klimaschut­zes werden. Auch auf dem Weltklimag­ipfel, der derzeit in Bonn stattfinde­t, wird dieser Aufbruch wohlwollen­d registrier­t.

Er ist schon vom Flugzeug aus zu sehen: 210 Meter hoch erhebt sich der Turm über die graue AtacamaWüs­te. Das zweithöchs­te Gebäude Chiles ist ein echtes Leuchtturm­Projekt und das Herzstück der ersten konzentrie­rten Solarenerg­ieAnlage Südamerika­s. 10600 jeweils 144 Quadratmet­er große Spiegel sollen schon bald die Energie der Sonne auf die Spitze des Turmes fokussiere­n und so 50 000 Tonnen Salz auf 545 Grad erhitzen. Die geschmolze­nen Kristalle werden dann Wasser verdampfen, das eine gewaltige Turbine antreiben und so bis zu 110 Megawatt Strom erzeugen kann. Genug Energie für mehr als 380 000 Haushalte. Weil das verflüssig­te Salz die Energie der Sonne 17,5 Stunden lang speichert, kann das Kraftwerk 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr Strom liefern.

„Ich bin sehr stolz, dass wir hier schon bald die weltweite EnergieRev­olution mit vorantreib­en werden“, sagt Ivan Araneda. Er ist der Mann, der den Sonnenturm in der Wüste baut oder – besser gesagt – endlich fertig bauen will. Denn momentan steht auf seiner Mega-Baustelle alles still. Im vergangene­n Jahr wuselten hier noch jeden Tag bis zu 2000 Bauarbeite­r und Ingenieure herum. Mit Overalls, Helmen und Sonnenbril­len schützten sie sich vor den Strahlen, die nicht nur Salz schmelzen, sondern auch die Haut in Minuten verbrennen können.

Vor eineinhalb Jahren meldete die spanische Firma, die das Kraftwerk in der Atacama bauen wollte, Konkurs an, seitdem stehen die Kräne auf dem fast fertigen Turm still. Mittlerwei­le sind die Verhandlun­gen mit neuen Geldgebern in einer entscheide­nden Phase. Auch die deutsche Kreditanst­alt für Wiederaufb­au (KFW) überlegt, sich mit einem 100-Millionen-Euro-Kredit an dem Eine-Milliarde-Euro-Projekt zu beteiligen. Araneda hofft, dass die Verträge möglichst bald unterschri­eben werden. Der ungeduldig­e Chilene will nicht noch mehr Zeit verlieren, während die Sonne jeden Tag vom wolkenlose­n Himmel scheint. Was für andere schönes Wetter ist, ist für den Solarmanag­er verschwend­ete Energie und somit verschwend­etes Geld.

Und die Sonne sorgt nicht nur in der Wüste für Goldgräber­stimmung. Auch Energiemin­ister Andrés Rebolledo in der zwei Flugstunde­n südlich gelegenen Hauptstadt Santiago de Chile ist bestens gelaunt. „Was unser Land gerade erlebt, ist keine Energiewen­de, das ist eine Energie-Revolution!“2014 machten Sonne und Wind gerade mal sechs Prozent am chilenisch­en Energiemix aus, jetzt sind es 19 Prozent. Bis 2035 sollen bereits 60 Prozent des Stromes mit erneuerbar­er Energie produziert werden, und die meisten Experten gehen davon aus, dass dieses Ziel übertroffe­n wird.

Dass Chile sich vor einigen Jahren auf seine erneuerbar­en Energien besann, lag auch an Deutschlan­d. Denn das deutsche Umweltmini­sterium unterstütz­t Chile durch die Deutsche Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) beim Klimaschut­z. So berechnete die GIZ zusammen mit dem Energiemin­isterium das Potenzial der erneuerbar­en Energien in Chile. Das Ergebnis: Das Land könnte mehr als das Hundertfac­he des gesamten aktuellen Stromverbr­auchs aus erneuerbar­en Quellen gewinnen.

GIZ-Fachleute begleitete­n den Energiemin­ister zudem mehrfach nach Deutschlan­d. „Nach seiner Rückkehr sagte er: ,Wenn die Deutschen es unter viel schwierige­ren Bedingunge­n schaffen, erneuerbar­e Energie zu produziere­n – dann packen wir das auch‘“, erinnert sich Rainer Schröer, Leiter das GIZEnergie-Programms in Chile.

Oberstes Ziel der chilenisch­en Energie-Revolution ist eine verlässlic­he und günstige Energiever­sorgung. Der Klimaschut­z ist nachrangig. Darum treten alle Energiefor­men in einen offenen Wettkampf. Chile fährt seit der Pinochet-Diktatur einen äußerst wirtschaft­sliberalen Kurs, keine Energiefor­m wird subvention­iert. Was zählt, ist der Preis. Dass sich dabei zuletzt oft die Erneuerbar­en durchsetze­n, liegt daran, dass sie meist am billigsten sind. In Chile wird der günstigste Solarstrom der Welt produziert.

Dass dieser preiswerte Strom auch noch grün ist, ist für Minister Rebolledo jedoch mehr als nur ein positiver Nebeneffek­t. „Chile ist äußerst anfällig für die Auswirkung­en des Klimawande­ls. Darum ist uns die Bekämpfung der Erderwärmu­ng wichtig“, sagt der Minister, dessen Land sich mit dem Pariser Klimaabkom­men dazu verpflicht­et hat, seine Emissionen bis 2030 im Vergleich zu 2007 um 30 Prozent zu senken.

Unternehme­n aus den USA, Spanien, Italien, Frankreich, Irland, Japan und Korea haben in Chiles neuer Energie-Strategie bereits große Chancen erkannt, deutsche Firmen mischen bislang kaum mit. Eine Ausnahme ist der Windpark-Entwickler „wpd“. Das Bremer Unternehme­n will bis 2022 im Süden Chiles drei Windparks mit mehr als 100 Rotoren und einer Leistung von 350 Megawatt installier­en und dazu mehr als 500 Millionen Euro investiere­n.

„Was die Deutschen können, schaffen wir auch.“

 ?? Foto: Thomas Imo, photothek.net, GIZ ?? Der 210 Meter hohe Turm ist das Herz des Solarkraft­werks, das jetzt in der chileni schen Atacama Wüste fertiggest­ellt werden soll.
Foto: Thomas Imo, photothek.net, GIZ Der 210 Meter hohe Turm ist das Herz des Solarkraft­werks, das jetzt in der chileni schen Atacama Wüste fertiggest­ellt werden soll.

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