Rieser Nachrichten

Risikofakt­or Mensch

Schwere Unfälle an Bahnübergä­ngen wären oft vermeidbar. Warum sie trotzdem immer wieder vorkommen und was aktuelle Zahlen verraten

- VON STEPHANIE SARTOR UND EVA KRAFCZYK

Frankfurt/Augsburg Ein junges Paar ist auf dem Heimweg nach einer fröhlichen Party bei Freunden. Am Bahnüberga­ng blinkt das Warnlicht. Schnell tritt der Fahrer aufs Gaspedal, doch da ist auch schon der Zug. Es wird dunkel. „Rot heißt Stopp. Man sollte meinen, das ist eigentlich ganz einfach. In der Praxis sieht es leider oft anders aus“, sagt Roland Bosch, Vorstand Produktion der DB Netz AG, am Mittwoch in Frankfurt zu den Unfällen an Bahnübergä­ngen.

Der Horrorcras­h des jungen Paares ist nur eine Filmszene – ein Teil der Prävention­skampagne „Sicher drüber“der Bahn und ihrer Partner bei Polizei, ADAC und dem Verband der Verkehrsun­ternehmen (VDV). Obwohl die Zahl der Unfälle an Bahnübergä­ngen immer weiter sinkt, starben im vergangene­n Jahr noch 29 Menschen, 157 erlitten bei 140 Unfällen teils schwere Verletzung­en. In keinem anderen Bundesland passierten so viele Unfälle an Bahnübergä­ngen wie in Bayern. Im vergangene­n Jahr waren es 35 Unfälle mit sechs Todesopfer­n, teilte die Deutsche Bahn mit. Technische­s Versagen der Warnmelder oder der Bahnschran­ken führte nur in den seltensten Fällen zum Zusammenst­oß. „Mehr als 90 Prozent der Kollisione­n hätten durch richtiges Verhalten vermieden werden können“, sagt Bosch.

Auch in der Region kommt es immer wieder zu schweren Unfällen an Bahnübergä­ngen. Erst wenige Wochen ist es her, dass sich zwischen Rain und Staudheim (Landkreis Donau-Ries) eine dramatisch­e Kollision ereignet hat: Mit voller Wucht krachte das Auto einer 34-jährigen Frau gegen eine Lok. Die Fahrerin hatte offenbar übersehen, dass die Schranken geschlosse­n waren – möglicherw­eise, weil sie durch die Sonne geblendet worden war. Der Wagen rauschte durch die Halbschran­ken und es kam zum Crash. Die Frau überlebte.

Oft enden solche Unfälle viel schlimmer. In Dießen am Ammersee etwa. Dort wurde im Herbst vergangene­n Jahres das Auto eines 84-Jährigen von einem Zug der Bayerische­n Regiobahn erfasst – der Autofahrer wollte der Polizei zufolge den Bahnüberga­ng überqueren, obwohl die Halbschran­ken geschlosse­n waren. Das Auto wurde nach dem Zusammenst­oß 30 Meter mitgeschle­ift. Die beiden Insassen starben. Tödlich endete auch der Fahrradaus­flug eines 76-Jährigen zwischen Igling und Kaufering im Landkreis Landsberg im Jahr 2014. Der Mann wollte die Gleise noch vor dem herannahen­den Zug überqueren. Offenbar hatte er dabei dessen Geschwindi­gkeit unterschät­zt – er wurde erfasst und tödlich verletzt.

Mal ist es die blendende Sonne, mal Leichtsinn oder Risikobere­itschaft, und mal ist es Unwissenhe­it, die zu schweren Unfällen führt. Eine infas-Studie im Auftrag der Bahn unter 2500 Teilnehmer­n kam zu dem Ergebnis, dass fast ein Viertel der Befragten der Meinung war, ein blinkendes Licht am Bahnüberga­ng entspreche dem Gelb der Ampel – Anhalten sei demnach noch nicht erforderli­ch. Die Prävention­skampagne „Sicher drüber“will für noch mehr Gefahrenbe­wusstsein sorgen. Die Kampagne gibt es bereits seit 15 Jahren. Nun sollen mit einer Neuauflage besonders junge Menschen und Fahranfäng­er erreicht werden.

Daneben wird auf technische Verbesseru­ngen gesetzt. Ein Team der Bahn arbeitet an neuen Lösungen, etwa an benutzerge­steuerten Bahnübergä­ngen. Dort wäre die Schranke dauerhaft geschlosse­n. Wer sie passieren will, muss einen Knopf drücken – kommt kein Zug, öffnet sich die Schranke. Mehr Sensibilis­ierung der Autofahrer erhoffen sich die Bahnspezia­listen auch durch die Anzeige von Bahnübergä­ngen in Navigation­sgeräten. Die Daten wurden den Anbietern von Karten-Software übermittel­t. Bisher sind sie allerdings in keines der Geräte aufgenomme­n worden.

Wichtig ist die Vermeidung von Unfällen auch wegen der schweren Folgewirku­ngen, sagt Michael Schuol, Ständiger Vertreter der Bundespoli­zei Koblenz. Im Fall eines Unfalls mit einem schwer verletzten Autofahrer bei Frankfurt musste die Strecke fünf Stunden lang gesperrt werden. Der Lokführer konnte wegen eines Schocks die Fahrt nicht fortsetzen. Rechtlich könne der Autofahrer in so einem Fall wegen gefährlich­en Eingriffs in den Bahnverkeh­r zur Verantwort­ung gezogen werden.

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Foto: Alexander Kaya
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Foto: Martin Wiemann Vor kurzem kam es bei Rain zu einem schweren Unfall.
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Foto: Thorsten Jordan In Dießen stieß 2016 ein Auto mit einem Zug zusammen.

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