Rieser Nachrichten

Fake News für Rotznasen

- VON JENS REITLINGER redaktion@rieser nachrichte­n.de

Auch auf die Gefahr hin, dass ich älter klinge, als ich tatsächlic­h bin: Ich kann mich ja noch gut an meine Kindheit erinnern und damit auch an vieles davon, was mir damals beigebrach­t wurde. Zum Beispiel, dass man die Nase nicht hochziehen soll. Die Begründung meiner Großmutter für diese Maßgabe war, dass sich durch notorische­s Schniefen die Bakterien hinter der Stirn ansammeln und man infolgedes­sen zusehends dümmer wird. Was man heutzutage berechtigt­erweise als Fake News bezeichnen würde, hat mich im Kindesalte­r schwer beeindruck­t. Und obwohl ich keinen weiteren Grund gebraucht hätte, hatte mein Großvater eine weitere halbwegs plausible Begründung dafür gefunden, warum das „Rotzen“keine Lösung sei: Wer die Nase hochzieht, steckt sich immer wieder selbst mit seinem Schnupfen an! Wie meine Oma trug auch er stets ein Stofftasch­entuch mit sich herum.

Weil ich also weder dauerhaft verschnupf­t sein, noch fortschrei­tend einfältige­r werden wollte, putzte ich mir stets brav die Nase. Bis es einige Jahre darauf zum Paradigmen­wechsel kam: Plötzlich hieß es in Verbrauche­rmagazinen, beim Schnäuzen schleudere man die Bakterien geradewegs in die Nebenhöhle­n. Besser sei es, die Nase hochzuzieh­en: Dann würde der infektiöse Schleim von der Magensäure unschädlic­h gemacht. Alternativ könne man es auch halten wie die Fußballer, die sich gelegentli­ch ein Nasenloch zuhalten und überschüss­iges Nasenmater­ial per Luftdruck entsorgen. Auf gar keinen Fall solle man ein Stofftasch­entuch in der Hosentasch­e herumtrage­n, da es durch die Körperwärm­e das perfekte Habitat für allerhand Bakterienk­ulturen sei. Wie auch immer: Meine Großeltern sind von ihren Überzeugun­gen dennoch nicht abgewichen.

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