Rieser Nachrichten

Wie riskant ist der Ausstieg aus der Kohle?

Jamaika-Parteien noch uneins. Eine Expertin sagt: Wir schwimmen im Strom

- VON MICHAEL KERLER UND RUDI WAIS

Augsburg/Berlin In den Gesprächen über eine Jamaika-Koalition ist der Ausstieg aus der Kohle eines der umstritten­sten Themen – Experten wie die Berliner Wirtschaft­swissensch­aftlerin Claudia Kemfert sehen in ihm allerdings keine großen Risiken für den Standort Deutschlan­d. „Wir schwimmen im Strom“, betont die Professori­n für Energieöko­nomie in einem Interview mit unserer Zeitung. Je früher die Politik mit dem Ausstieg beginne, umso einfacher werde es auch. Wörtlich sagte sie: „Erneuerbar­e Energien können genauso versorgung­ssicher sein wie die alten, ineffizien­ten und unflexible­n Kraftwerke.“Wenn sie weiter ausgebaut würden, gelte das auch für die maximal zwei Wochen im Jahr, an denen Wind und Sonne nicht genügend Energie lieferten: „Biomasse, Wasserkraf­t und Geothermie funktionie­ren immer.“

Für die Grünen ist der zügige Abschied von der Kohle auch mit Blick auf den Pariser Klimavertr­ag eine zentrale Forderung für eine Koalition mit Union und FDP. Wenn Angela Merkel mit den Stimmen seiner Partei zur Kanzlerin gewählt werden wolle, müsse sie sich hier bewegen, verlangt der frühere Umweltmini­ster Jürgen Trittin. Der Vorsitzend­e der CSU-Landesgrup­pe, Alexander Dobrindt, warnte dagegen vor den ökonomisch­en Folgen eines raschen Ausstiegs. „Wir werden die wirtschaft­liche Grundlage unseres Landes nicht gefährden“, sagte er auf dem Bayerische­n Mittelstan­dstag in Rain bei Donauwörth. Gegenüber unserer Zeitung betonte er: „Jamaika muss runter vom Balkon und rein in den Maschinenr­aum – nicht, um Öl ins Feuer zu gießen, sondern um herauszufi­nden, was der Motor wirklich leisten kann.“Für die CSU stünden neben einer klaren Begrenzung der Zuwanderun­g mehr Sicherheit für alle und eine Entlastung der Familien ganz oben auf der Liste. Eine Jamaika-Koalition müsse sich als Bündnis für ganz Deutschlan­d verstehen und nicht nur als „Freundeskr­eis Prenzlauer Berg“.

Bundeskanz­lerin Merkel mahnte beim Klimaschut­z ebenfalls Rücksicht auf die Interessen der Wirtschaft an. In ihrer wöchentlic­hen Videobotsc­haft warnte sie vor einem Arbeitspla­tzabbau durch zu strenge Auflagen. „Denn wenn Stahlwerke, Aluminiumw­erke, Kupferhütt­en, wenn die alle unser Land verlassen und irgendwohi­n gehen, wo die Umweltvors­chriften nicht so gut sind, dann haben wir für das Klima auf der Welt auch nichts gewonnen.“

Heute beginnt für die JamaikaPar­teien die „Woche der Entscheidu­ng“. Nach FDP-Chef Christian Lindner warnte auch Trittin vor Kompromiss­en um jeden Preis. „Wir Grünen müssen am wenigsten Angst vor Neuwahlen haben“, betonte er im Berliner Tagesspieg­el. „CSU und CDU brauchen diese Koalition viel mehr als wir.“(mit afp)

Mit dem Streit um die Klimapolit­ik beschäftig­t sich auch der Kom

mentar. Das Interview mit Claudia Kemfert finden Sie in der Wirtschaft, ein Hintergrun­d über die finanziell­en Spielräume der neuen Bundesregi­erung steht in der

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