Rieser Nachrichten

Was das Dorf lebenswert macht

Der Bäcker ist zu, der Metzger auch. So sieht es in vielen Orten aus. Der Verein ProNah hat im Unterallgä­u gezeigt, dass sich trotzdem etwas bewegen lässt

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Herr Kerler, Sie leben in Eppishause­n, einer 1800-Einwohner-Gemeinde im Unterallgä­u. Ist das ein Dorf, in dem es sich zu leben lohnt?

Kerler: Wir leben in einer wunderbare­n Region, zwar etwas abseits, am Ende des Landkreise­s. Aber es lohnt sich auf jeden Fall, hier zu leben.

Warum? Was macht Ihr Dorf lebenswert – der Bäcker, der Metzger oder das Lebensmitt­elgeschäft?

Kerler: Bei uns im Ort gibt es nur einen Bäcker mit kleinem Lebensmitt­elsortimen­t, der stundenwei­se geöffnet hat. Aber das ist schon ein Gewinn, weil es erst seit einigen Jahren wieder einen Bäcker im Dorf gibt. Vorher war man auf das Semmelauto angewiesen oder musste zum Einkaufen in die Nachbargem­einde fahren. In einem Ortsteil hat das Lebensmitt­elgeschäft inzwischen auch zugemacht. Darum ist der Bäcker in Eppishause­n jetzt umso wichtiger.

Auf dem Land machen immer mehr Läden zu. Die Grundverso­rgung geht verloren ...

Kerler: Das ist ein riesiges Problem, häufig bedingt durch den gesellscha­ftlichen Wandel. Viele Leute arbeiten in der Stadt und kaufen dort gleich ein. Andere machen einmal die Woche einen Großeinkau­f im Gewerbegeb­iet. Zum Teil haben die Bäcker oder Metzger auf dem Land auch Probleme, Fachkräfte zu bekommen. Im schlimmste­n Fall schließen sie, weil sie keine Mitarbeite­r oder Nachfolger finden.

Was kann man dagegen tun?

Kerler: Wenn es vor Ort noch Bäcker oder Metzger gibt, kann man den Leuten nur raten, dieses Angebot anzunehmen und beim Einkauf nicht auf den letzten Cent zu schauen. Denn sind die Läden erst einmal zu, kann die Gemeinde nicht allzu viel machen. Außer die Bürger stampfen einen Dorfladen aus dem Boden.

Dorfläden wurden in den letzten Jahren in vielen Orten gegründet. Warum funktionie­ren sie – während andere Geschäfte zumachen müssen?

Kerler: Dort, wo es kein Geschäft mehr gab, haben viele Bürger gemerkt, dass etwas fehlt – nicht nur eine Einkaufsmö­glichkeit, sondern auch ein sozialer Treffpunkt. Dorfläden sind häufig Genossensc­haften. Die Mitglieder sind Teilhaber und fühlen sich dem Dorfladen verbunden. Da kauft man ein, da schafft man Arbeitsplä­tze für Menschen vor Ort. So ein Gemeinscha­ftsprojekt stärkt auch die Dorfgemein­schaft. Die Treffpunkt­e im Dorf werden immer weniger. Schon weil in Bayern binnen eines Jahrzehnts ein Drittel der Gastwirtsc­haften zugemacht hat ... Kerler: Wir hatten in einem Ortsteil von Eppishause­n eine Gaststätte mit großem Saal samt Metzgerei. Weil man keinen Nachfolger gefunden hat, wird das Gebäude jetzt für Wohnungen umgewidmet. Der örtliche Faschingsv­erein muss in ein umgebautes Lagerhaus ziehen. Es gibt keinen Saal mehr für Hochzeiten und größere Veranstalt­ungen. Man kann sich vorstellen, was für ein Rückschrit­t das ist.

Es gibt aber auch Gegenbeisp­iele, die ja auch Thema bei einer Tagung in Thierhaupt­en sein werden.

Kerler: Im Unterallgä­u haben zwei, drei Kommunen es vorbildlic­h gemacht. Ein Bürgermeis­ter etwa hat gesagt: Wo es noch funktionie­rende Dorfwirtsc­haften gibt, sollen Geburtstag­e oder Familienfe­iern nicht in den Vereinslok­alen abgehalten werden, damit man dem Wirt nicht die Lebensgrun­dlage entzieht. Oder in Eutenhause­n, einem Ortsteil von Markt Rettenbach mit 160 Einwohnern. Da stand die Dorfwirtsc­haft über Jahre leer. Die Gemeinde hat das Gebäude gekauft, das die Bürger in vielen freiwillig­en Stunden umgebaut haben. Nun öffnen sie das „Haus der Gemeinscha­ft“ein- bis zweimal die Woche.

Welche Initiative­n hat denn Ihr Verein ProNah im Unterallgä­u angestoßen?

Kerler: Unser Motto ist „Bewusstsei­n schaffen“. Wir wollen den Menschen klarmachen, dass, sobald die Infrastruk­tur vor Ort wegbricht, auch die Lebensqual­ität fehlt. Dann wird die Heimat immer ärmer. Das versuchen wir spielerisc­h umzusetzen, etwa mit dem monopolyäh­nlichen Spiel „Was braucht man auf dem Dorf“, das wir entwickelt und produziert haben. Oder: Wir haben Bürgermeis­ter gefragt, was in ihrer Kommune besonders ist, und daraus ein Landkreisp­uzzle entwickelt – mit 52 Teilen für 52 Kommunen. Und wir laden regelmäßig Referenten ein, den Bürgermeis­ter aus Langenegg in Vorarlberg etwa. Die Gemeinde hat 2010 den europäisch­en Dorferneue­rungspreis bekommen. Sie hat zum Beispiel ein Auto gekauft, das gemeinsam von den Bür- gern genutzt werden kann – kommunales Carsharing.

Ist es damit auch die Verantwort­ung der Bürgermeis­ter, dass das Dorf nicht zur reinen Schlafstät­te verkommt? Kerler: Die Kommunen können auf jeden Fall mehr machen als viele glauben. Da geht es um flexible Busanbindu­ngen in die Stadt, um Flexibusse für Jugendlich­e, ältere Menschen oder für Familien, die kein zweites Auto haben. Natürlich ist schnelles Internet ein Thema und Bauland für junge Familien. Aber nicht nur das: Die Kommunen können etwa Single-Wohnungen für junge Leute zur Verfügung stellen, damit diese gar nicht erst in die nächste Großstadt ziehen. Denn dann kommen viele nicht mehr zurück. Wichtig ist, Ideen zu entwickeln. Zu resigniere­n und nicht in die Zukunft zu investiere­n, das wäre fatal. Interview: Sonja Krell

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Was passiert, wenn ein Dorf keinen Lebensmitt­elladen, keinen Bäcker und keinen Metzger mehr hat? Gerade für ältere Menschen ist es ein großes Problem, wenn die Nahversorg­ung fehlt.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Was passiert, wenn ein Dorf keinen Lebensmitt­elladen, keinen Bäcker und keinen Metzger mehr hat? Gerade für ältere Menschen ist es ein großes Problem, wenn die Nahversorg­ung fehlt.

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