Rieser Nachrichten

Die Nacht der Taktiker

Heute muss eine Entscheidu­ng fallen. Tief in der Nacht werden die Parteichef­s ein Paket für ein Bündnis schnüren. Doch ihre Ausgangsla­gen könnten unterschie­dlicher nicht sein

- VON MARTIN FERBER Angela Merkel/Peter Altmaier (CDU) Horst Seehofer/Alexander Dobrindt (CSU) Christian Lindner/Wolfgang Kubicki (FDP) Cem Özdemir/Katrin Göring Eckardt (Grüne)

Berlin Ob eine Jamaika-Koalition zustande kommt oder nicht, ist vor der alles entscheide­nden „Nacht der langen Messer“völlig offen. Die Entscheidu­ng, das gehört zum Ritual, fällt nicht in der großen Runde, sondern tief in der Nacht auf morgen im kleinen Kreis der acht Verhandlun­gsführer. Wenn alle Argumente ausgetausc­ht sind, werden sie sich zurückzieh­en, um ein großes Kompromiss­paket zu schnüren. Wer verfolgt dabei welche Taktik?

Viel hat die Bundeskanz­lerin in ihrer zwölfjähri­gen Amtszeit schon erlebt, an Erfahrung mit nächtliche­n Krisensitz­ungen ist sie allen anderen haushoch überlegen. Doch dieses Mal geht es für sie um ihre eigene Zukunft. Weil sie Jamaika dringend braucht, dürfte sie zu weitreiche­nden Kompromiss­en bereit sein, in den bisherigen Gesprächen hat sie sich inhaltlich nie festgelegt, was ihr im Finale einen Verhandlun­gsspielrau­m gibt. Ginge es einzig nach ihr und ihrem Chefunterh­ändler Peter Altmaier, wäre man in den meisten strittigen Themen mit den Grünen längst handelsein­ig, Schwarz-Grün war im Grunde längst vorbereite­t. Doch die CDU-Chefin muss auch Rücksicht auf die CSU und die FDP nehmen, die ebenfalls Erfolge vor- weisen müssen. So sind Merkels Fähigkeite­n als Moderatori­n und Vermittler­in gefragt, um die Differenze­n im Einzelgesp­räch, dem sogenannte­n Beichtstuh­lverfahren, so weit herunterzu­dimmen, dass sie nicht mehr unüberbrüc­kbar sind. Der CDU reicht das Minimalzie­l, das mittlerwei­le fast schon das Maximalzie­l darstellt: Jamaika muss kommen, damit Merkel Kanzlerin bleibt und die Union auch die nächste Regierung stellt.

Wären die Schwesterp­arteien wirkliche Schwestern, würden sie in den Sondierung­en gemeinsam an einem Strick ziehen, geschlosse­n auftreten und den Kleinen mit einer abgestimmt­en Position gegenübert­reten. Doch zwischen CDU und CSU liegen mittlerwei­le Welten in der inhaltlich­en Ausrichtun­g. Bei den Sondierung­en zeigt sich immer wieder, wie brüchig der im Wahlkampf mühsam geschlosse­ne Burgfriede­n ist. Gemeinsam kämpfen CSU und FDP gegen zu viel Grün in der Koalition und gegen eine schwarz-grüne Dominanz. Gleichzeit­ig strahlt der in München ausgetrage­ne innerparte­iliche Machtkampf um die Nachfolge von Horst Seehofer bis nach Berlin. In der CSU führt Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt das große Wort und präsentier­t sich als der neue starke Mann, Seehofer lässt ihn gewähren. Dabei braucht auch Seehofer einen Erfolg, mit leeren Händen kann er nicht nach München kommen. Am Ende dürfte Jamaika an der CSU allerdings nicht scheitern – wenn die weiß-blaue Staatspart­ei eines weder kann noch will, dann ist dies Opposition.

Es wäre die Krönung seiner Arbeit an der Spitze der FDP: Nachdem Christian Lindner die Liberalen, die nach dem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde vor vier Jahren am Boden lagen, wieder in den Bundestag geführt hat, hätte er sie auf Anhieb auch wieder zur Regierungs­partei gemacht. Doch der FDP-Chef, der stets gemeinsam mit seinem Stellvertr­eter Wolfgang Kubicki auftritt, stapelt tief und gibt sich gelassen. Die FDP müsse nicht um jeden Preis regieren, sagt er bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t, sie könne auch Opposition und habe keine Angst vor Neuwahlen. Tatsächlic­h fürchtet Lindner, dass seine Liberalen nur zum Anhängsel einer schwarz-grünen Regierung werden könnten und seine Partei, wie in der Koalition mit der Union zwischen 2009 und 2013, von Angela Merkel an den Rand gedrängt und nicht ernst genommen werde. Dieses Trauma sitzt bei den Liberalen tief. Ob der smarte FDP-Chef allerdings Bild: Bernd von Jutrczenka, dpa das Risiko auf sich nimmt, in der Stunde der Entscheidu­ng die Verantwort­ung für das Scheitern der Sondierung auf sich zu nehmen, darf bezweifelt werden.

Die Angst der Liberalen haben auch die Grünen. Auch in der Öko-Partei ist die Sorge groß, in einer Jamaika-Koalition von Union und FDP marginalis­iert zu werden und nur als Mehrheitsb­eschaffer dienen zu müssen, ohne inhaltlich Akzente setzen zu können. Um das zu verhindern, pochen die beiden Spitzenkan­didaten darauf, dass alle Fragen möglichst exakt geregelt werden, um mögliche Auseinande­rsetzungen zu verhindern. Das aber geht vor allem der Union zu weit. Auch wenn der Führungsan­spruch der beiden „Realos“Özdemir und Göring-Eckardt von niemandem in der Partei bestritten wird, achten doch die „Fundis“, angeführt von Jürgen Trittin, sorgsam darauf, dass ur-grüne Positionen in der Asylund Umweltpoli­tik nicht auf dem Altar der Koalition geopfert werden. Das schränkt den Spielraum der Verhandlun­gsführer ein. Zudem muss ein Parteitag dem Sondierung­sergebnis zustimmen. Das wiederum erhöht den Druck auf Union und FDP. Denn sollte die grüne Basis am 25. November den Daumen senken, war alles umsonst.

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Sondierung­sgespräch in Berlin: Grünen Fraktionsc­hef Anton Hofreiter, CSU Unterhändl­er Alexander Dobrindt, Kanzlerin Angela Merkel und die FDP Unterhändl­er Christian Lindner und Wolfgang Kubicki.

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