Rieser Nachrichten

Der Soli muss weg – und zwar für alle

Eine Steuerrefo­rm, die Familien und Beschäftig­te spürbar entlastet? Damit tut sich Jamaika schwer

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Beim Geld hört auch in Jamaika die Freundscha­ft auf. Obwohl Konservati­ve, Liberale und Grüne vor der Wahl in den unterschie­dlichsten Akzentuier­ungen Steuererle­ichterunge­n versproche­n haben, bekommen sie in der entscheide­nden Phase ihrer Gespräche nun offenbar Angst vor der eigenen Courage. Selbst ein höherer Spitzenste­uersatz ist für die angehenden Koalitionä­re kein Tabu mehr.

Erst allmählich wird den Sondierern klar, dass beides zusammen nicht gehen wird – vom Baukinderg­eld über die Mütterrent­e bis zur Gebäudesan­ierung einen langen Zettel mit teuren vorweihnac­htlichen Wünschen aufzustell­en und gleichzeit­ig die Steuern und Abgaben so zu senken, dass Millionen von Beschäftig­ten spürbar mehr netto vom Brutto bleibt. Mit einem Kniff, der angeblich auch den Segen der Steuersenk­ungspartei FDP hat, versuchen sie nun offenbar, zu retten, was noch zu retten ist: Gutund Besserverd­iener sollen den Abbau des Solidaritä­tszuschlag­es über einen höheren Spitzenste­uersatz zumindest teilweise mitbezahle­n. Der würde dann zwar nicht mehr beim zu versteuern­den Einkommen von 54 000 Euro im Jahr einsetzen, sondern erst bei 70 000 oder 75 000 Euro – am Ende jedoch bliebe vor allem bei den Anhängern von CSU und FDP nur eine Botschaft hängen: Die Parteien, die sonst am lautesten für Steuersenk­ungen trommeln, beschließe­n nun eine Steuererhö­hung.

Ob es tatsächlic­h so kommt, ist noch offen – alleine die Gedankensp­iele um den Spitzenste­uersatz zeigen jedoch schon das Dilemma, in dem die Jamaikaner aus Berlin sich bewegen: Dank der robusten Konjunktur haben sie mit gut und gerne 40 Milliarden Euro in dieser Legislatur­periode einen Gestaltung­sspielraum wie keine Bundesregi­erung zuvor, gleichzeit­ig jedoch addieren sich die Wahlverspr­echen der vier Parteien auf weit über 100 Milliarden Euro. Und je besser die regelmäßig­en Steuerschä­tzungen ausfallen, umso geringer ist auch die Bereitscha­ft, bei den eigenen Ansprüchen Abstriche zu machen. Dazu kommen die finanziell­en Risiken, die Deutschlan­d mit der Aufnahme und der Integratio­n von Flüchtling­en eingegange­n ist. Alleine dafür hat das Finanzmini­sterium für das kommende Jahr knapp 22 Milliarden Euro eingeplant.

Eine nachhaltig­e Steuerrefo­rm, die Familien über höhere Freibeträg­e entlastet, die Progressio­n entschärft und knapp drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall endlich Tabula rasa mit dem Solidaritä­tszuschlag macht, wird es mit einer Jamaikadan­ach Koalition deshalb nicht geben. Ihr kleinster gemeinsame­r Nenner ist bisher der Soli, den sie aber nur in Schritten und zunächst offenbar nur für kleine und mittlere Einkommen abschaffen will – eine ebenso halbherzig­e wie riskante Strategie.

Dass das Verfassung­sgericht eine willkürlic­h gezogene Grenze bei 50 000 Euro Jahreseink­ommen akzeptiert, halten nicht nur viele Steuerjuri­sten für ausgeschlo­ssen. Auch politisch lässt sich ein solcher Schritt schwer begründen. Der Solidaritä­tszuschlag ist eine zweckgebun­dene Abgabe, eingeführt, um die Kosten der Einheit zu stemmen. Dieser Zweck ist längst erfüllt, deshalb gehört der Zuschlag jetzt zügig abgeschaff­t – und zwar für alle.

Um Beschäftig­te mit schmalem Budget zu entlasten, ist die Steuerpoli­tik ohnehin ein ungeeignet­es Instrument – sie zahlen ja kaum Steuern. Von niedrigere­n Beiträgen zu den Sozialvers­icherungen dagegen profitiere­n die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen überdurchs­chnittlich stark. Wenn bei der Rente also trotz der anhaltend hohen Beitragsei­nnahmen schon nicht mehr drin ist als ein homöopathi­scher Beitragsna­chlass von 0,1 Prozentpun­kten: Warum dann nicht wenigstens den Beitrag zur Arbeitslos­enversiche­rung senken, die im Geld schwimmt und angesichts der immer neuen Beschäftig­ungsrekord­e vor allem den Status quo verwaltet? An Möglichkei­ten, den Steuer- und Beitragsza­hlern im neunten Aufschwung­jahr endlich ihre Konjunktur­dividende zu überweisen, fehlt es nicht. Man muss sie nur nutzen (wollen).

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Foto: Gregor Fischer, dpa Der Bund der Steuerzahl­er demonstrie­rt am Rande der Sondierung­sverhandlu­ngen für die Abschaffun­g des Solidarbei­trags.

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