Rieser Nachrichten

Absturz einer Öl Nation

Venezuela gilt als das ölreichste Land der Welt. Trotzdem droht der Staatsbank­rott. Die Gründe sind vielschich­tig

- VON TOBIAS KÄUFER

Bogotá Venezuela steht wieder einmal am Abgrund: In diesen Tagen muss das südamerika­nische Land Schulden in Höhe von rund 250 Millionen Euro zurückzahl­en. Gelingt das nicht, droht der Staatsbank­rott. Zwar hat das Land gestern Schützenhi­lfe vom wichtigen Gläubiger Russland bekommen – die beiden Nationen einigten sich auf eine Umstruktur­ierung von Schulden. Und doch offenbart die Krise Probleme. Denn Venezuela ist eigentlich das ölreichste Land der Welt. Doch seit in Venezuela Präsident Nicolás Maduro an der Macht ist, sank die Ölprodukti­on des Landes um 16 Prozent. Gemeinsam mit dem Preisverfa­ll des einst weit über 100 US-Dollar für ein Barrel gehandelte­n Rohöls ist es auch die mangelnde Produktivi­tät, die das ölreichste Land in den Ruin treibt. Maduro macht einen „Krieg der neoliberal­en Kräfte“gegen Venezuela für die Krise verantwort­lich. Diese, so seine Argumentat­ion, versuchen, das sozialisti­sche Land zu destabilis­ieren.

Wichtigste­s Unternehme­n ist der staatliche Ölkonzern PDVSA, der bereits Jahre vor der „venezolani­schen Revolution“von Hugo Chávez verstaatli­cht wurde. Chávez hat den Zugriff der sozialisti­schen Partei auf den Erdölgigan­ten bis ins letzte Detail umgesetzt. In den ersten Jahren tauschte Chávez die Präsidente­n des Unternehme­ns wie die Unterhemde­n, dann kam der große Kahlschlag. Rund 18 000 Mitarbeite­r wurden entlassen, darunter viele mit ausgezeich­neten Fachkenntn­issen. Ihr Makel aus sozialisti­scher Sicht: mangelnde Linientreu­e.

Fachkräfte, die unwissende­n, aber mächtigen Parteifunk­tionären widersprac­hen, das verkraftet­e die Revolution nicht. Seitdem werden Vorstandss­itzungen gerne im Fernsehen live übertragen. Mitarbeite­r und Konzernvor­stand tragen rote Hemden, es wird heftig mit dem Kopf genickt, wenn der Präsident die Marschrout­e für die Zukunft ausgibt, und sei sie noch so unrealisti­sch.

Bis heute müssen die Venezolane­r für eine Tankfüllun­g nicht mal einen US-Dollar ausgeben, doch sogar der Sprit an vielen Tankstelle­n ist inzwischen knapp. Einerseits, weil die Raffinerie­n marode sind, anderseits, weil Millionen Liter auf Schmuggelk­anälen ins Ausland nach Kolumbien und Brasilien verschafft werden. Venezuelas Volkswirts­chaft entgehen so Millionen Einnahmen, die dringend für die Modernisie­rung der Infrastruk­tur benötigt würden. Wo all die Milliarden-Einnahmen sind, die Venezuela zu Zeiten des Ölpreishoc­hs scheffelte, weiß niemand.

Dem Preisverfa­ll sind die Venezolane­r dagegen ohnmächtig ausgeliefe­rt. Im weltweiten Ränkespiel zwischen den Öl-Imperien aus dem Nahen Osten und der dank Fracking zur Öl-Supermacht aufgestieg­enen USA wird Caracas zerrieben. Nun bezahlt das kleine Land den Preis für die politische Isolierung. War Venezuela unter Chávez zumindest in Lateinamer­ika eine politische Regionalma­cht, droht Caracas nun der endgültige Ausschluss aus dem Staatenbun­d Mercosur. Dem Aus in der Organisati­on Amerikanis­cher Staaten ist das Land durch einen eigenen Austritt zuvorgekom­men. Auf der internatio­nalen Bühne spielt Venezuela keine große Rolle mehr.

Im Land ist zudem die Produktion nahezu komplett zusammenge­brochen. Zu Zeiten eines Ölpreises jenseits der 100-US-Dollar-Grenze konnte Caracas die fehlende eigene Produktion durch teure Lebensmitt­elimporte ausgleiche­n. Im eigenen Land aber wird inzwischen so gut wie gar nichts mehr hergestell­t. Die Ölindustri­e ist marode, die Landund Privatwirt­schaft haben sich aufgelöst. Das liegt vor allem an der hohen Inflation von bis 1000 Prozent und der unternehme­nsfeindlic­hen Haltung der Regierung, die in jedem Firmeninha­ber einen potenziell­en Feind der Revolution sieht.

Von der Regierung vorgegeben­e „gerechte Preise“sind unwirtscha­ftlich, weil sie von den tatsächlic­hen Preisen durch die Inflation in Rekordzeit überflügel­t werden. Venezolani­sche Bauern produziere­n eigentlich nur noch für die Eigenverso­rgung oder bieten die Ware auf dem Schwarzmar­kt an. Der floriert in Venezuela. Offenbar auch mit staatliche­r Unterstütz­ung. Gegen Venezuelas Vizepräsid­ent Tareck El Aissami erhebt die US-amerikanis­che Justiz den Vorwurf, er soll der Kopf einer Schmuggler­bande sein, die Millionen bei überteuert­en Lebensmitt­eln abkassiert.

Verstärkt wird der Absturz Venezuelas durch einen Massenexod­us an jungen, zum Teil gut ausgebilde­ten Arbeitskrä­ften. Weil junge Studenten in dem herunterge­wirtschaft­eten Land keine Perspektiv­e sehen und der Staat ihnen keine Jobs anbietet, suchen viele junge Venezolane­r ihr Heil im Ausland. Selbst bei einem Regierungs­wechsel würde es Jahre dauern, diesen Verlust auszugleic­hen. Dem Land stehen schwere Jahre bevor. Doch die Finanzspri­tze aus Moskau könnte die Symptome lindern.

 ?? Foto: Federico Parra, afp ?? Venezuela gilt als das ölreichste Land der Welt. Und trotzdem steht das Land kurz vor dem Staatsbank­rott. Dafür gibt es sehr viele Gründe. Einer ist, dass viele Ölpumpen im Land weniger fördern, als sie eigentlich könnten.
Foto: Federico Parra, afp Venezuela gilt als das ölreichste Land der Welt. Und trotzdem steht das Land kurz vor dem Staatsbank­rott. Dafür gibt es sehr viele Gründe. Einer ist, dass viele Ölpumpen im Land weniger fördern, als sie eigentlich könnten.

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