Rieser Nachrichten

Die geballte Faust

Der New Yorker Künstler Seth Price verwischt die Grenzen zwischen Bild, Skulptur und Installati­on. Dazu nutzt er die Neuen Medien und neue Handwerkst­echniken

- VON BARBARA REITTER Seth Price: Social Synthetic

München Einst war sie das funktional­e Kleidungss­tück amerikanis­cher Militärpil­oten. Dann entdeckten sie die Hip-Hopper der Undergroun­dSzene – bis die Haute Couture zugriff. Und nun bildet sie das Erkennungs­zeichen der Rechtsradi­kalen: die Bomberjack­e.

Der Künstler Seth Price, der gerade im Hype ist und für Europa eine Entdeckung, hat sie zum Kunstobjek­t erhoben. Seine „Vintage Bombers“ziehen sich durch die internatio­nal erste Überblick-Ausstellun­g des ursprüngli­ch als Filmer arbeitende­n Künstlers, die jetzt mit mehr als 100 Werken im Münchner Brandhorst Museum zu sehen ist. Allerdings verfremdet Seth Price die Jacke in typischer Manier: Er gießt sie in Kunstharz aus, sodass sie sich in rote oder goldene Reliefs verwandelt.

Alle Arbeiten aber des 1973 in Jerusalem geborenen New Yorkers spielen mit der Wahrnehmun­g des Betrachter­s – führt er diese doch immer wieder auf falsche Fährten. Zum einen oszilliere­n die Werke zwischen verschiede­nen Genres – ja überschrei­ten radikal alle Grenzen zwischen Bild, Skulptur und Installati­on, weil sie verschiede­ne Medien und Materialie­n miteinande­r kombiniere­n. Zum zweiten arbeitet Price bei sämtlichen Objekten zwischen Werbung, Trash und Kunst, sodass in der Ausstellun­g neben Objekten, Filmen, Fotos, Zeichnunge­n, Kleidern und Textilien auch Dichtung und Musik, zumindest „Sound“, zum Einsatz kommen. Raffiniert seine unmerklich­en Übergänge zwischen Bereichen wie Mode, Literatur, Gemälde, Zeichnung, Möbeldesig­n und Videoclip.

Als Vertreter einer Generation, die mit der rasanten Entwicklun­g medialer Techniken aufgewachs­en ist, nutzt Seth Price deren Handwerksz­eug. Und aus der Verpa- ckungsindu­strie übernimmt er die Methode von „Vacuum Forms“und „Silhouette­s“, in Kunststoff abgeformte Körperteil­e wie Brüste oder eine geballte Faust (Bild oben). Auch vor der Intimität eines Kusses oder vor nackter Haut in zigfacher Vergrößeru­ng schreckt Price nicht zurück. Im Souterrain des Museums ist sie in schmale, hohe Leuchtkäst­en integriert – künstlich collagiert aus ungezählte­n Fotografie­n, die mithilfe einer Satelliten­software zu einem Bild zusammenge­fügt werden. Jede Pore, jedes Härchen, jede Verfärbung ist zu sehen – und den- noch entsteht ein hochästhet­isches Tableau.

Des Künstlers starke Affinität zur Digitalisi­erung manifestie­rt sich auch in mehreren Stuhlobjek­ten, die mittels eines Algorithmu­s maschinell aus Metallplat­ten zugeschnit­ten und zusammenge­faltet wurden. Derart gefaltet oder zerknitter­t oder gerollt sind viele der skulptural anmutenden Arbeiten von Seth Price, zum Beispiel auch überdimens­ionierte Briefkuver­ts, ein riesiger Jump-Suit an der Wand sowie die zu Assemblage­n angeordnet­en Folienberg­e auf dem Boden.

So abstrakt der konzeptuel­le Ansatz von Seth Price wirken mag, den er in seinen Schriften als Auseinande­rsetzung mit den Veränderun­gen der visuellen Kultur interpreti­ert: Die Resultate seiner Kunst-Befragunge­n stellen sich als sinnlich heraus.

OAus stellungsd­auer im Museum Brandhorst (Theresiens­traße 35a): bis 8. April 2018. Geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstag­s bis 20 Uhr. Der Katalog mit 356 Seiten kostet im Buchhandel 64 Euro.

 ?? Foto: Courtesy of Petzel Gallery © Seth Price ?? Seth Price: „Different Kinds of Art“, Vakuum geformtes schlagfest­es Polystyrol. Detail aus der Arbeit mit den Maßen 82,6 mal 129,5 Zentimeter. Entstehung­sjahr: 2004.
Foto: Courtesy of Petzel Gallery © Seth Price Seth Price: „Different Kinds of Art“, Vakuum geformtes schlagfest­es Polystyrol. Detail aus der Arbeit mit den Maßen 82,6 mal 129,5 Zentimeter. Entstehung­sjahr: 2004.

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