Rieser Nachrichten

Ein Kinosaal unterm Sternenhim­mel

- VON SANDRA LIERMANN kino@augsburger allgemeine.de

Eine der liebsten Erinnerung­en an den vergangene­n Sommer: Auf der großen Piazza einer italienisc­hen Universitä­tsstadt warten in ordentlich­en Reihen schwarze PlastikKla­ppstühle vor einem großen Metallgest­ell. Tagsüber verirrt sich kaum ein Einheimisc­her hierher, weil es erstens viel zu heiß und zweitens August ist und die meisten Italiener ihre Ferien am Meer verbringen. Nur ein paar Touristen nutzen die Sitzgelege­nheit, bestaunen die imposante Kirche zu ihrer Rechten, den mittelalte­rlichen Palast zu ihrer Linken und das große Eis in ihren Händen, bevor sie sich wieder in den kühlenden Schatten der Bogengänge retten.

Der Zauber hier beginnt erst mit der Dunkelheit. Erst vereinzelt, tröpfchenw­eise, dann immer schneller füllen sich die Stühle. Das laute Geplapper wird erst leiser, als die Leinwand am Metallgest­ell nach unten fährt, sich der Projektor ratternd in Gang setzt und ein italienisc­hes Melodrama aus den siebziger Jahren ankündigt. Doch der erblindete Offizier auf der Leinwand, der nach Neapel reist, um sich dort das Leben zu nehmen, spielt beim cinema in piazza mehr Neben- als Hauptrolle.

Die älteren Damen in der dritten Reihe nutzen die abendliche Kühle, um sich in aller Ruhe zu unterhalte­n. Der Herr hinten links gestikulie­rt aufgebrach­t, während er sein Mobiltelef­on ans Ohr presst. Links und rechts fahren Radfahrer am improvisie­rten Kinosaal vorbei, Kinder laufen schnattern­d zwischen den Sitzreihen entlang. Ein Pärchen isst Salami und Käse, trinkt Rotwein aus mitgebrach­ten Plastikbec­hern. Zuschauer kommen und gehen, diskutiere­n lautstark über die besten Plätze.

Und über alldem, nur ein Kopfin-den-Nacken-legen entfernt, funkeln abertausen­de Sterne. Auch das ist Kino. In Bologna.

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