Fast keine Spur von Anspannung
Bundestrainer Joachim Löw weiß, dass sein Team trotz des schmeichelhaften Remis gegen Frankreich zu großen Leistungen imstande ist. Nur eine Position bereitet Sorgen
Köln Als dann alles gesagt war, sowohl Didier Deschamps als auch Joachim Löw ihre Mannschaften gelobt und noch mal herausgestellt hatten, wie ach so wichtig so ein Test gegen einen guten Gegner doch sei, richtete der Bundestrainer sein Wort direkt an die Journalisten. Da es das letzte Länderspiel des Jahres war und er vor den meisten Reportern bis zum kommenden März Ruhe hat, wünschte er „natürlich ein friedliches Fest und Gesundheit“. Standard für einen höflichen Mann wie Löw. Dann aber fügte er noch sorgenvoll hinzu: „Und bitte keine Nervosität in irgendeiner Form.“Dem Bundestrainer ist nicht entgangen, dass die Gedanken vieler Sportreporter darum kreisen, ob denn diese hochveranlagte Mannschaft auch wirklich in der Lage ist, den Weltmeistertitel im kommenden Jahr zu verteidigen.
Versprechen kann dies freilich auch Löw nicht. Nervosität oder gar Angst sind ihm aber fremd. „Das raubt mir nicht den Schlaf“, so der 57-Jährige. Möglicherweise wird er eher im Hinblick auf die Nominierung des Kaders im Frühsommer um den ein oder anderen Traum gebracht. Denn auch, wenn sein Team schon bessere Spiele abgeliefert hat als jenes, das zum glücklichen 2:2 gegen Frankreich führte, zeigte es doch wieder, über wie viel Gestaltungsmöglichkeiten der Bundestrainer verfügt.
Während Leon Goretzka und Julian Weigl gar nicht im Kader waren, drängten sich andere Spieler in den Vordergrund. Lars Stindl und Mario Götze gewährte der Bundestrainer zwar nur wenige Minuten auf dem Spielfeld, diese nutzten sie aber effektiv. Götze zeigte nach einjähriger Länderspielabstinenz mit seiner Torvorbereitung, dass er es immer noch versteht, auf engstem Raum mehr anzufangen als die meisten anderen. Stindl zeichnet aus, was Löw mitunter an seinem verspielten Kader abgeht: Effizienz vor dem Tor. Der Gladbacher traf in der Nachspielzeit zum schmeichelhaften Ausgleich.
So hielt zwar die Serie, die mittlerweile 21 ungeschlagene Spiele hintereinander umfasst, doch dem Bundestrainer war das Ergebnis recht egal.
Anders ist auch nicht zu erklären, weshalb er den armen Emre Can 83 Minuten auf der rechten Abwehrseite unglücklich vor sich hinbuckeln ließ. Can hat sich in den vergangenen Monaten zu einem formidablen Antreiber im Mittelfeld entwickelt. Weil dort die Konkurrenz am allergrößten ist, Löw aber auch eine Alternative zu Joshua Kimmich auf der rechten Seite benötigt, durfte sich mal wieder der Liverpooler probieren. Der Versuch misslang und führt zum einzigen Problem, das Löw vielleicht dann doch dem Ansatz einer Nervosität nahebringen könnte.
Kimmich ist das fleischgewordene merkelsche Sprachbild: alternativlos. Sollte der Münchner doch mal ausfallen, steht noch sein Mannschaftskamerad Sebastian Rudy parat, der seine Stärken aber auch eher im Zentrum verortet. Immerhin zeigte Antonio Rüdiger nach seiner Einwechslung für Mats Hummels, dass in seinem Spiel nicht mehr auf jede spektakuläre Grätsche ein ebenso spektakulärer Fehlpass folgt. Der Innenverteidiger lernt allmählich jene Eigenschaft, die für diese Position am notwendigsten ist: Solidität. Da mit Hummels und Jérôme Boateng zwei Spieler zum Stamm gehören, die dieses Handwerk ausgezeichnet verstehen, ist auch ein statischer Umbau möglich. Dann wird eben mit Dreierkette gespielt. Löw selbst sagt ja, dass ein Team „mindestens zwei Systeme“spielen können muss, um sich zu den Titelaspiranten zählen zu dürfen.
Neben Rüdiger kommen in der Verteidigung auch noch Niklas Süle und Shkodran Mustafi infrage. Im Tor hat Kevin Trapp mit seinem starken Auftritt Pluspunkte gesammelt. Er liefert sich einen Kampf mit Bernd Leno, wer der Stellvertreter des Stellvertreters sein darf. Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen gelten als gesetzt. Bei so viel Auswahl könnte Löw auch ein wenig angespannt sein. So wie an Weihnachten vor dem Auspacken der Geschenke.
Tore 0:1 A. Lacazette (34.), 1:1 Ti. Werner (56.), 1:2 A. Lacazette (71.), 2:2 Stindl (90.+3) Zuschauer 36 948