Turnen in einer anderen Liga
Meister TV Schwäbisch Gmünd-Wetzgau demonstriert auch in Nördlingen seine Extraklasse. 800 Zuschauer sorgen für einen stimmungsvollen Rahmen
Nördlingen Jakob Mayer ist 20 Jahre alt, hat gerade mit dem Maschinenbau-Studium in Stuttgart begonnen und versucht – ausgesprochen ungewöhnlich im Leistungssport – Kunstturnen und Fußball unter einen Hut zu bringen. Je zweimal pro Woche trainiert er die so gegensätzlichen Sportarten, zu wenig eigentlich, aber mehr Zeitaufwand für zwei Hobbys geht nicht.
Die Ausgangsposition des letzten Saisonwettkampfs der KTV Ries gegen den bereits als Meister feststehenden TV Schwäbisch GmündWetzgau kann man an dem jungen Mann gut festmachen. Hier eine Gruppe ambitionierter Amateursportler, die stolz darauf ist, mit überwiegend eigenem Personal in der zweithöchsten Kunstturn-Liga bestehen zu können, dort eine Truppe von Vollprofis, die in dieser Besetzung selbst in der ersten Liga nicht nur Mittelmaß wäre. Darunter einer wie Andreas Toba, dessen Vater Marius bereits Weltklasseturner war und jetzt sein Trainer ist. Toba, gebürtiger Hannoveraner, ist seit den Olympischen Spielen 2016 weithin bekannt, als er im Teamwettbewerb trotz einer schweren Knieverletzung am Seitpferd antrat und damit den Finaleinzug der deutschen Mannschaft sicherte. Auch der „Hero de Janeiro“, wie er anschließend genannt wurde, trainiert zweimal, allerdings nicht pro Woche, sondern pro Tag.
Zum Starensemble aus dem württembergischen Nachbarlandkreis zählt auch Bart Deurloo, frischgebackener Bronzemedaillengewinner der Weltmeisterschaft 2017 am Reck. Der Niederländer, der in Rotterdam im gleichen Leistungszentrum trainiert wie der KTV-ler Arian Trieb nach dem Beginn seines Studiums, turnte noch einen Tick schwieriger als Toba, dazu beinahe spielerisch leicht, wie beispielsweise am Pauschenpferd, wo er für eine unglaublich temporeiche Kür 14,40 Punkte erhielt. Die Tageshöchstnote von 14,60 Punkten sicherte sich trotzdem Andreas Toba an seinem Lieblingsgerät Ringe. Der „Olympia-Held“war nach seinen drei Einsätzen (Pauschenpferd 14,10, Ringe 14,60, Reck 13,75) hochzufrieden mit seinem Nördlingen-Auftritt: „Das hat richtig Spaß gemacht. Am Pauschenpferd habe ich das erste Mal meine neuen Übungsteile komplett durchgeturnt.“Sichtlich Freude am Wettkampf hatte auch der ehemalige Nationalturner Helge Liebrich, der zunächst beim Halleninterview die tolle Stimmung lobte und dann am Königsgerät Reck für den artistischen Höhepunkt des Tages sorgte: Wie er nach dem „Kolman“(Rückwärtssalto über die Stange mit Schraube) nur mit einer Hand die Reckstange zu greifen bekam und trotzdem den unvermeidlich scheinenden Sturz vom Gerät verhindern konnte, das war schon höchste Turnkunst.
Was sollte die KTV Ries also tun gegen einen solch übermächtigen Gegner? Möglichst die eigenen Leistungen fehlerfrei abrufen, noch dazu vor solch einer stimmungsvollen Kulisse wie den diesmal 800 Fans, und damit den einen oder anderen Score Punkt holen. Jakob Mayer gelang dies am Boden, den „jungen Wilden“Maurice Praetorius und Arian Trieb am Barren,
Ilya Kibartas in seiner ersten kompletten Saison für die KTV Ries Topscorer der gesamten Liga, an Pauschenpferd, Ringen, Sprung und Reck. Der junge Russe konnte trotzdem mit seinem Wettkampf nicht zufrieden sein, weil er mehrmals patzte, vor allem beim Abgang. Eine grandiose Übung, die wohl beste der gesamten Saison, zeigte Kibartas an den Ringen mit dem Schwierigkeitswert von 6,0, dem höchsten des gesamten Wettkampfs. Der abschließende Griff auf die Matte nach dem Doppelsalto mit Schraube kostete ihn eine hohe 14er-Wertung, sodass er sich mit 13,50 Punkten begnügen musste.
16:61 Score Punkte, 0:12 Gerätepunkte, 293,45:314,10 Wertungspunkte – das war in Zahlen ausgedrückt der Klassenunterschied des Wettkampfs, den es nächste Saison wohl nicht mehr geben wird: Wetzgau ist klarer Favorit beim Aufstiegswettkampf zur 1. Bundesliga am 9. Dezember gegen den SüdMeister Singen. Die KTV Ries kann hingegen für ein weiteres Zweitligajahr planen. Beispielsweise mit Jakob Mayer, der auch im Studium keine seiner Lieblingssportarten aufgeben möchte: „So lange die Trainer mit meinen Leistungen zufrieden sind, gibt’s keinen Grund.“