Rieser Nachrichten

Mit Schulz in die nächste Wahl?

Der SPD-Chef schließt eine Neuauflage der Großen Koalition aus – das allerdings sehen nicht alle seine Genossen so. Auch in den anderen Parteien stehen die Zeichen nach dem Scheitern von Jamaika auf Neuwahl

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Berlin Um die entscheide­nde Frage macht Martin Schulz noch einen großen Bogen. „Wir halten Neuwahlen für den richtigen Weg“, sagt der SPD-Vorsitzend­e nach den spektakulä­r geplatzten Annäherung­sversuchen von Konservati­ven, Liberalen und Grünen. Mit wem die Sozialdemo­kraten denn in eine solche Neuwahl ziehen würden, sagt Schulz allerdings nicht. Nur so viel vielleicht noch: Er werde „zu gegebener Zeit“von seinem Vorschlags­recht als Parteivors­itzender Gebrauch machen.

Das setzt zweierlei voraus. Erstens, dass er selbst trotz eines historisch schlechten Wahlergebn­isses von 20,5 Prozent über den Parteitag Anfang Dezember hinaus an der Spitze der SPD steht – und zweitens, dass seine Partei ihr kategorisc­hes Nein zu einer Neuauflage der Großen Koalition auch durchhält. Mit Johannes Kahrs, dem Anführer des konservati­ven Seeheimer Kreises, warnt der erste Genosse von Rang bereits davor, sich im Lichte der jüngsten Ereignisse nun zu schnell festzulege­n. Der Wirtschaft­spolitiker Harald Christ geht sogar noch einen Schritt weiter: Falls Angela Merkel sich zurückzieh­e, schlägt er vor, könne die SPD über eine Koalition mit der Union „noch einmal neu nachdenken“.

Der Unternehme­r Christ, muss man dazu wissen, ist unter den vie- len Unbekannte­n in der SPD zwar noch einer der unbekannte­ren, hat aber einen guten Draht zu FrankWalte­r Steinmeier, der ihn 2009 als Schatten-Wirtschaft­sminister in seine Wahlkampfm­annschaft geholt hat. Und eben jener Steinmeier spielt nun als Bundespräs­ident eine Schlüsselr­olle in der Nach-JamaikaZei­t. Spricht da am Ende einer aus, was ein anderer bisher nur denkt?

Wie Christ hatte kurz nach der Wahl bereits der frühere Fraktionsc­hef Thomas Oppermann argumentie­rt. Eine GroKo ohne Merkel? „Das wäre in der Tat eine neue Situation.“Dass er von seiner Partei daraufhin sofort zurückgepf­iffen wurde, heißt es im Flurfunk der SPD, liege auch daran, dass Schulz einen solchen Handel fürchte wie der Teufel das Weihwasser. Sollte die SPD Merkels Rückzug zur Bedingung für eine Koalition machen, würde umgekehrt die CDU vermutlich die Demission von Schulz verlangen – frei nach dem Motto: Wenn schon ein Neuanfang, dann auf beiden Seiten. Sein Amt wäre der SPDChef dann los, an wen auch immer.

Steinmeier hat bereits angekündig­t, mit allen Parteien – mit Ausnahme der AfD – noch einmal reden zu wollen. Das legt den Verdacht nahe, dass er die SPD an ihre Verantwort­ung für das gemeinsame Ganze erinnern und womöglich noch eine Tür für eine neue Große Koalition öffnen will. Schulz dagegen kann sich seit gestern auf einen Beschluss des Parteivors­tandes berufen, der eine Neuauflage des alten Bündnisses strikt ausschließ­t. CDU, CSU und SPD, rechnet er vor, hätten zusammen 14 Prozentpun­kte verloren. Damit sei die Große Koalition abgewählt worden. Am weitesten geht in der SPD der Parteilink­e Matthias Miersch. „Es ist nicht in Stein gemeißelt“, sagt der, „dass ein Kanzler CDU und CSU angehören muss oder überhaupt aus den Reihen des Parlaments zu kommen hat.“Wen auch immer er damit meint: Nichts ist an diesem turbulente­n Tag offenbar zu abwegig, als dass es nicht gedacht würde.

Nicht ganz so unübersich­tlich ist die Lage bei den Grünen, bei denen Parteichef Cem Özdemir gedanklich schon einen Schritt weiter ist als der Bundespräs­ident und die geschäftsf­ührende Bundeskanz­lerin – nämlich bei Neuwahlen. Natürlich werde die Partei dann wieder mit ihm und Katrin Göring Eckardt als Spitzenkan­didaten antreten, deutet er an. Und auch am grünen Programm gebe es im Prinzip nichts zu korrigiere­n. „Wir haben mit ihm die Wahl gewonnen.“In den jüngsten Umfragen haben die Grünen sogar noch zugelegt – Özdemir selbst dagegen, der in den Gesprächen über eine Jamaika-Koalition wahlweise als neuer Außen- oder Wirtschaft­sminister gehandelt wurde, könnte am Ende trotzdem noch einen hohen Preis für das Scheitern der Sondierung­en zahlen. Er hat bereits angekündig­t, nicht mehr als Parteivors­itzender zu kandidiere­n. Sollten die Grünen nach einer Neuwahl aber wieder in der Opposition landen, würde sich der 51-Jährige am Ende womöglich als einfacher Abgeordnet­er in ihrer Fraktion wiederfind­en, Seite an Seite mit seiner Mitstreite­rin Göring-Eckardt. Fraktionsc­hef Anton Hofreiter, ebenfalls ein grüner Beinahe-Minister, schließt auch eine Minderheit­sregierung nicht ganz aus. Ob ein solches Modell sinnvoll sei, werde man sehen. Und überhaupt: „Wenn es zu weiteren Gesprächen kommt, sind wir gesprächsb­ereit.“

Auf Stimmengew­inne bei einer Neuwahl hoffen nicht zuletzt die Alternativ­e für Deutschlan­d und die Linksparte­i. „Wir finden es gut, dass Jamaika nicht kommt“, sagt der AfD-Fraktionsv­orsitzende Alexander Gauland und spricht etwas kryptisch von einer „breiten bürgerlich­en Mehrheit“in Deutschlan­d, seine Partei mit eingerechn­et. Soll das ein versteckte­s Koalitions­angebot sein? Wohl wissend, dass Union und FDP das nie annehmen würden? Für ihn stehe jetzt fest, fügt Gauland dann noch hinzu, dass Angela Merkel nicht die nächste Regierungs­chefin sein könne: „Es wird Zeit, dass sie geht.“Den Gefallen aber, das stellt sich ein paar Stunden später heraus, wird die Kanzlerin der AfD nicht tun.

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Foto: Odd Andersen, afp SPD Chef Martin Schulz äußerte sich gestern zum Scheitern der Jamaika Sondierung­en – und schloss erneut eine Große Koalition aus.

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