Rieser Nachrichten

Einmal Trost Hawaii

Das Meer so blau, die Inseln so grün. Das Paradies, könnte man meinen. Erkundunge­n auf einem Archipel, wo die Menschen kein Novembergr­au kennen. Und doch ähnliche Sorgen haben wie wir

- Die Inseln

Thomas Kafsack sitzt im Schatten der Hütte, die nackten Füße in bequemen Birkenstoc­k, die Hände hinter dem Kopf verschränk­t – und muss diese Geschichte erzählen. Die Geschichte, wie alles begann. Als er damals, 1982, von einem Geschäftst­ermin kam, am Frankfurte­r Flughafen landete und ihn das Gefühl übermannte, dass er wegmuss. Und dann dieses Angebot – Honolulu für 499 Mark. Wie er damals eine Insel nach der anderen erkundete, Oahu, Big Island, Kauai und schließlic­h Maui. Und jedes Jahr zurückkam. Ende der 90er verkaufte er die Anteile an seiner IT-Firma und das Haus auf Sylt, kaufte ein Stück Land auf Maui, dort, wo die Inselbewoh­ner bislang ihren Müll abgeladen hatten. Für immer Hawaii, für immer Maui? Thomas Kafsack streicht sich durch den grauen Bart, schüt- telt den Kopf, als habe er sich verhört. „Was ist denn das für eine Frage? Schauen Sie sich doch mal um!“

Und Kafsack hat ja recht. Denn wenn Hawaii so etwas wie der Sehnsuchts­ort vieler Urlauber ist, der Inbegriff von Hula, Blumenkett­en und Aloha-Feeling, dann meinen die meisten damit wohl Maui – die Insel mit den kilometerl­angen Stränden, davor die genialen Wellen, die so viele Surfer anziehen, dahinter die stillen, grünen Berghänge. Thomas Kafsack sitzt irgendwo dazwischen, auf seiner Ranch im Inneren der Insel, und blickt hinunter auf die beiden Küstenseit­en, die jeweils ein paar Kilometer entfernt liegen. „Man kann jeden Tag entscheide­n, welche Wellen die besseren sind. Was Besseres gibt es nicht“, sagt er.

Und doch ist das dem 65-Jährigen und seiner Frau irgendwann zu langweilig geworden. Die Idee, Surfbrette­r und Zimmer zu vermieten, klappte nicht so recht. Also schafften sie sich Ziegen an – weil ihnen der Ziegenkäse vom Nachbarn daheim auf Sylt so fehlte. „Keiner von uns hatte eine Ahnung, wie man Ziegen hält“, erzählt er und geht hinüber zu Hansi, Manhattan und Soho, drei der 179 Ziegen, die sofort zum Zaun springen. Anfangs haben er und seine Frau die Geißen per Hand gemolken, dann selbst ein Melksystem entworfen und sich aus der Heimat liefern lassen. Vier Wochen dauerte es, bis sie die Sache mit der Käseherste­llung raushatten. Das war vor 15 Jahren. Heute machen sie täglich Käse – Ziegenkäse mit Jalapenos. Mit frischen Kräutern. Mit Zimt. Oder Lavendel. Eigene Kreationen, viele preisgekrö­nt, sagt Kafsack. Die verkaufen sie genauso nach New York wie ans berühmte Bellagio in Las Vegas.

Ist ja auch ungewöhnli­ch, Käse von der „Surfing Goat Dairy“, einem Hof, auf dem die Ziegen auf Surfbrette­rn herumklett­ern. Wie es dazu kam? Auch das ist so eine Geschichte. Seine Frau, sagt Kafsack, hat sich furchtbar darüber aufgeregt, dass die Hawaiianer ihre ausrangier­ten Surfbrette­r einfach irgendwo liegen lassen. Also bot sie kostenlose­n Käse für jeden an, der sein Brett abgibt. Auch Surflegend­en wie Robby Naish haben es getan. Und der Deal gilt bis heute.

Auch Dwayne hätte so manche Geschichte auf Lager. Aber nicht jetzt, nicht morgens um halb vier, wo sich der Bus Kurve um Kurve die Serpentine­n hinaufquäl­t, immer dem „Haus der Sonne“entgegen. Dorthin, wo – so viel verrät er – man einmal gewesen sein muss auf Maui.

Hier auf gut 3000 Metern über dem Meeresspie­gel, auf dem Gipfel des Haleakala, steht man also, in Daunenjack­e und Wollmütze, zwischen all den anderen, die frösteln und still staunen. Über diesen un-

● Hawaii ist ein Insel Ver bund von Atollen im Pazifische­n Oze an. Acht der Inseln sind bewohnt, sechs auch für Touristen zugänglich: Oahu mit der Hauptstadt Honolulu, Kauai, Molokai, Lanai, Maui und Big Island (auch Hawaii Island). Die Inselkette ist der 50. Bundesstaa­t der USA.

● Anreise Direktflüg­e nach Hawaii gibt es von Europa aus nicht. Hawaii Ur lauber müssen deshalb umsteigen, zum Beispiel in Los Angeles oder San Francisco. United Airlines fliegt ab glaubliche­n Sternenhim­mel. Oder darüber, dass sich hinter grauen Wolkenmass­en ein paar Minuten später die Sonne hervorkämp­ft und man realisiert, wo man ist – über einer riesigen Kraterland­schaft, erschaffen von dem Vulkan, der drei Viertel der Inselfläch­e ausmacht. Hier, auf dem höchsten Punkt der Insel, ist die Atmosphäre so klar und trocken, dass sich die viertbeste­n Sichtbedin­gungen auf den Planeten bieten. Auch deswegen steht ein paar hundert Meter weiter ein Observator­ium, von dem aus Wissenscha­ftler die Sonne erforschen und die Erdumlaufb­ahnen überwachen.

Dwayne Valdez lenkt den Bus den Berg hinunter und beginnt zu erzählen. Dass auf den Feldern fast 200 Jahre lang Zuckerrohr angebaut wurde. Dass die letzte Zuckerfabr­ik vor einem Jahr zugemacht hat, weil der Zucker aus anderen Teilen der Welt eben günstiger ist. „Sugar is all down“, sagt er. Mit dem Zucker ist es vorbei. „All is tourist.“Alles für die Touristen. Und für die Promis. Oprah Winfrey lebt hier, Clint Eastwood oder Steven Tyler. Larry Ellison, der frühere Oracle-Chef, hat sich Lanai, die Nachbarins­el, zu 98 Prozent gekauft. Dwayne stört das nicht. Seit Jahrzehnte­n fährt er die Touristen über die Insel. Es ist besseres Geld, als er in der Ananasfabr­ik verdienen würde. Sicher, es werden immer mehr Menschen auf Maui, das Land wird immer teurer. „Für die junge Generation“, sagt er, „ist es sehr viel schwerer, überhaupt noch ein Haus zu bauen.“

Auf Oahu, eine Insel weiter west- Frankfurt nach Honolulu (ab 1038 Euro), reine Flugzeit etwa 18 Stunden. Schon daher ist es ratsam, einen Ha waii Urlaub mit einem Aufenthalt an der US Westküste zu verbinden. Zeit unterschie­d zu Deutschlan­d:elf Stunden (Sommerzeit zwölf Stunden).

● Rundreise Dertour bietet etwa eine 13 tägige Rundreise „Inselträum­e“an, die nach Oahu, Kauai, Maui und Big Island führt. Enthalten sind zwölf Übernachtu­ngen in Hotels der Mittel klasse, drei Inlandsflü­ge zwischen lich, ist das Problem noch größer. Zumindest in Honolulu, der 400000-Einwohner-Stadt mit den endlosen Staus, die nur in Los Angeles schlimmer sein sollen. Hier drängt sich Hochhaus an Hochhaus, Shopping-Center an Shopping-Center und die Touristen aus Fernost flanieren mit Einkaufstü­ten. Wer an aufgereiht­en Surfbrette­rn vorbeigeht, steht plötzlich am WaikikiBea­ch, dem berühmten Stadtstran­d Honolulus, eingerahmt von Hochhäuser­n, inmitten von viel zu vielen Menschen. Auch das ist Hawaii.

Kapaliku Maile, der Experte im Bishop Museum, muss weit ausholen. Bei den Polynesier­n, die sich vor 1500 Jahren auf den acht Inseln im Pazifik ansiedelte­n, bei Captain Cook, der hier landete und starb, und König Kamehameha, der Hawaii einte, und den amerikanis­chen Kolonisten, die die Monarchie stürzten. Die Generation seiner Eltern, sagt Maile, war stolz darauf, im 50. Bundesstaa­t der USA zu leben, stolz, Amerikaner zu sein. Heute ist das anders. Die Kinder lernen wieder Hawaiianis­ch und Hula in der Schule, es gibt hawaiianis­che Lieder, hawaiianis­ches Essen und natürlich die Leis, die Blumenkett­en.

Und dann ist dieser Punkt, der in bald jedem Gespräch Thema ist – die Frage, wie viel hawaiianis­ches Blut in einem steckt. Eine spannende Frage, hier, wo seit Jahrhunder­ten so viele Einwandere­r zusammenko­mmen, wo so viele multiethni­sche Ehen geschlosse­n werden wie nirgendwo sonst auf der Welt. Viele hier beantworte­n sie in Prozentzah­len.

Brittnee Balonick kann minutenlan­g über ihre Wurzeln erzählen. Und über all die Nationalit­äten, die hierher, nach Kauai, kamen, auf die nördlichst­e der Hawaii-Inseln, um auf den Zuckerplan­tagen zu arbeiten, Chinesen, Portugiese­n, Koreaner, Japaner. Von dem Kanalsyste­m, das die Einwandere­r gebaut haben, um Zuckerrohr zu bewässern. Und dann schubst die stämmige junge Frau einen nach dem anderen den Wasserkana­l hinunter. Seit das mit den Zuckerplan­tagen vorbei ist, schippern sie auf Kauai eben Touristen samt Gummireife­n über das Wasser, durch die smaragdgrü­ne Wildnis, durch enge Tunnel.

Vormittags geht die 22-Jährige in die Krankenpfl­egeschule, nachts arbeitet sie als Altenpfleg­erin und dazwischen gibt sie eben den Spaßvogel für die Touristen. Das mit den vielen Jobs, sagt Brittnee, ist normal. Weil das Leben hier teuer ist, weil ein 30-Quadratmet­er-Apart- ment mittlerwei­le 1200 Dollar Miete kostet, selbst auf Kauai, der Insel, die weit weniger touristisc­h ist als Maui oder Oahu. Die meisten ihrer Freunde, sagt Brittnee, wohnen daheim bei den Eltern, auch, wenn sie selbst Kinder haben. „Die Menschen denken, dass es das Paradies ist. Aber für uns ist es anders.“

Wer das echte Paradies sehen will, muss schon neben Isaac Platz nehmen. Denn 80 Prozent von Kauai, der ältesten, aber auch der ursprüngli­chsten unter den HawaiiInse­ln, sind nur zu Fuß oder eben mit dem Helikopter zu erreichen. Also sitzt man da, schaut nach unten und saugt die Bilder dieser wunderschö­nen, grünen Insel auf, auf der kein Haus höher als eine Palme gebaut werden darf. Es geht über dichten Regenwald und einsame Täler, hinüber zum gewaltigen Wai-

So ist der Deal: alte Surf bretter gegen frischen Käse

Man saugt die Bilder dieser Landschaft einfach ein

mea Canyon, dem „Grand Canyon des Pazifik“, mit seinen steilen Abhängen, den rotbraunen Felswänden und tiefen Schluchten. Isaac lenkt den Helikopter immer tiefer in die Schlucht, dreht seine Kreise, die Felsen werden immer höher, die Natur immer imposanter, der Mensch an Bord immer kleiner. Es geht hinüber zu den steilen Flanken des Mount Waialeale, dessen Spitze in einer Dunstwolke versinkt. Das hier, sagt Isaac, ist der regenreich­ste Punkt der Welt und zeigt auf die vielen Wasserfäll­e, die rundherum in die Tiefe stürzen. Und dann, als man schon meint, man könnte nicht noch mehr staunen, schwebt man über der Napali Coast im Westen, über 1000 Meter hohen Klippen, tropisch grünen Felswänden, blickt hinunter zu menschenle­eren Buchten und dem kleinen Boot, das einsam durchs Wasser streift.

Wahrschein­lich muss es dieses Hawaii sein, das Thomas Kafsack gemeint hat. Dieses Hawaii, in das sich der deutsche Auswandere­r verliebt hat. Seine Frau, hat er gesagt, vermisst Deutschlan­d trotzdem, die Jahreszeit­en, die Kälte. Und er? „Bratwurst“, sagt Thomas Kafsack, „manchmal!“

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Foto: Krell/agt Thomas Kafsack macht Ziegenkäse auf Hawaii.

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