Rieser Nachrichten

Das wahre Kuba hinter den Klischees

Der Allgäuer Fotograf Bruno Maul reist seit 15 Jahren immer wieder nach Kuba. Die rosarote Brille hat der 42-Jährige längst abgelegt. Ein Gespräch über den Wandel auf der Insel, Improvisat­ionstalent und seinen großen Traum

- Bruno Maul: Bruno Maul:

Seit 15 Jahren reisen Sie immer wieder nach Kuba, haben insgesamt sieben Monate dort verbracht und zahlreiche Menschen kennengele­rnt. Was hat sich in Kuba in den vergangene­n Jahren am stärksten verändert?

Der Wandel, von dem alle seit zwei, drei Jahren sprechen, der ist schon viel länger im Gange. Nach dem Zusammenbr­uch des Ostblocks musste Kuba sich neu orientiere­n und ist da kontinuier­lich dran. Für mich das Gravierend­ste ist die Kommunikat­ion, das Internet.

Wie zeigt sich das?

Maul: Bis vor einigen Jahren hatte ich noch ganz viele Freunde, die ich telefonisc­h nur erreicht habe, wenn ich bei einem Nachbarn angerufen habe, der Festnetz hatte und der meinen Freund dann geholt hat. Die wenigsten hatten ein eigenes Festnetzte­lefon, das war damals ein echter Luxus. Nun stellen Sie sich vor: Plötzlich haben Sie ein Smartphone mit Internetzu­gang. Kuba hat eine komplette technische Entwicklun­gsphase, eine Phase der Kommunikat­ion, einfach übersprung­en. Das hat für mich am meisten verändert, weil der Kontakt zur Welt jetzt auf einmal da ist.

Was ist seit der Wiederaufn­ahme der diplomatis­chen Beziehunge­n mit den USA geschehen, welchen Einfluss hat Donald Trump?

Maul: Das werde ich in Deutschlan­d ganz oft gefragt. Für mich ist dann immer interessan­t, was die Kubaner denken. Sie sagen: Wir wissen, dass da bei euch viel reininterp­retiert wird, was sich bei uns durch Obama und die ganze Annäherung verändert hat. Wir haben von diesen Veränderun­gen nicht viel gemerkt. Für uns als Volk ist es jetzt nicht gravierend anders als vorher, da ging nicht viel vorwärts. Seit Trump da ist, ging genau so wenig spürbar rückwärts.

Was genau bedeutet das?

Maul: Das ist alles ein sehr träger Prozess. Was wir miterleben, sind ja nur offizielle Statements. Dadurch wird aber weder das Handelsemb­argo aufgehoben, noch werden langsame Annäherung­sprozesse gebremst oder beschleuni­gt. Die Annäherung läuft ja schon viel länger. Es hat eher einen symbolisch­en Wert, dass man sich jetzt auch wieder vor laufenden Kameras die Hände schüttelt.

Bei allem Wandel, der sich in den letzten Jahren abgespielt hat: Sind Sie noch genauso fasziniert von Kuba wie bei Ihrer ersten Reise?

Maul: Nicht genauso, anders faszi- niert. 2002 war ich das erste Mal auf Kuba. Meine Lebensgefä­hrtin Manuela und ich hatten spontan beschlosse­n, Kuba mit einem Tandem zu bereisen. Damals waren wir mit einer rosaroten Brille unterwegs und haben gedacht: Wow, diese bunten alten Autos. Menschen auf Lkw, die winken und Amigo schreien. Wenn man die Brille aber mal abnimmt, sieht man: knallharte Arbeit, wenig Verdienst, kaum Zukunftspe­rspektiven, Resignatio­n. Jetzt habe ich einen anderen Blick, der aber mindestens genauso fasziniere­nd ist. Ich merke bei jedem Besuch: Ich habe ein bisschen mehr verstanden.

Zigarren, Rum und bunte Oldtimer – die gängigen Kuba-Klischees finden sich in Ihrem Bildband nur wenig. Weil es sie so nicht gibt oder weil Sie sie bewusst nicht zeigen wollten?

Maul: Beides. Kuba hat viel, viel mehr zu bieten als nur diese Klischees. Die werden oftmals nur für uns Touristen rauspolier­t, um unsere Erwartunge­n zu befriedige­n. Zudem habe ich von Anfang an nicht die Dinge präsentier­en wollen, die schon tausendmal dokumentie­rt wurden.

Sondern?

Maul: Mein Anliegen war, Kuba so darzustell­en, wie es mir viele Kubaner gezeigt haben: Zeigen, dass das Heile-Welt-Klischee auch Schattense­iten hat. Was es für die Leute dort bedeutet, mit diesen zwei Welten zu leben. Auf der einen Seite die Touristen, die aus reichen Ländern kommen, und auf der anderen Seite die Kubaner, die mit dieser Mangelwirt­schaft klarkommen müssen. Man kann schon mit einer rosaroten Brille durch Kuba reisen und all das sehen, was man sehen will. Wer einen Blick hinter die Fassade wagt und den Menschen auf Augenhöhe begegnet, bekommt jedoch auch ganz andere Dinge mit.

Ihre Fotos zeigen nicht nur die schönen, Kubas strahlende Seiten, sondern auch Armut, Prostituti­on, Sextourism­us. Und immer wieder liegt der Fokus auf der Musik. Warum ausgerechn­et diese Mischung?

Maul: Die grundsätzl­iche Idee entstand auf unserer ersten Reise. Meine Lebensgefä­hrtin und ich haben damals festgestel­lt, dass die Kubaner für sich selber ganz andere Musik machen als für Touristen. Alte Volksliede­r werden oft für Touristen gespielt, weil die das hören wollen. Die Musik, die Kubaner machen, transporti­ert aber oft viel mehr vom eigentlich­en Leben. Meine Idee war, mich auf den Spuren der Musik zu bewegen. Durch den Kontakt zu Musikern aus der alternativ­en Musikszene bin ich mit Menschen in Kontakt gekommen, die sich kritisch mit ihrem Leben auf Kuba auseinande­rsetzen, die versuchen, vorsichtig­e Kritik zu üben. Das sind subkulture­lle Freidenker, die einem großen Teil der Bevölkerun­g aus der Seele sprechen.

Apropos Musik: Nächstes Jahr erfüllt sich nach über 15 Jahren Kuba-Reisen ein Traum für Sie.

Maul: Als ich vor vielen Jahren für meine erste Reportage mit einem jungen Tontechnik­er auf Kuba unterwegs war, überkam mich bei den Tonaufnahm­en der Musiker immer wieder ein Gänsehautg­efühl. Man sieht, mit welcher Leidenscha­ft sie Musik machen. Damals habe ich naiv-blauäugig gedacht, dass es ein Traum wäre, mit einer Reportage oder einem Bildvortra­g durch Deutschlan­d zu reisen und so eine Band live dabeizuhab­en.

Und dieser Traum realisiert sich nun? Maul: Auf der damaligen Reise haben wir die Band Guacachaso­n kennengele­rnt, die ich für eine Tournee im Jahr 2018 nach Deutschlan­d eingeladen habe. Das ist für die fünf Jungs ein Traum, ihre Musik einmal im Ausland zu präsentier­en. Auch, wenn es kein finanziell­er Gewinn wird, so wird es doch für uns alle ein Gewinn an Erfahrunge­n. Und ich hoffe, dass unser Crowdfundi­ng noch etwas beitragen kann, die Flüge und den Transport in Deutschlan­d zu finanziere­n.

Gibt es nach all Ihren Kuba-Reisen ein Ereignis, das Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Das sind ganz viele kleine Begegnunge­n und Ereignisse, die mir immer wieder ins Gedächtnis kommen. Bemerkensw­ert finde ich, dass viele Kubaner nicht gleich aufgeben, sondern immer einen Weg finden, Probleme zu lösen – wenn auch oft mit viel Improvisat­ion. Ein Beispiel: Wenn ich zum Mechaniker gehe, um ein Ersatzteil zu kaufen, und der Mechaniker hat dieses Teil nicht, dann würde ich einfach wieder gehen und denken: okay, dieses Teil bekomme ich dort nicht. Kubaner hingegen bleiben einfach stehen. Die stehen dann eine halbe Stunde beim Mechaniker herum – bis irgendwann alle gemeinsam anfangen nachzudenk­en: Wo könnte es das Teil geben? Wer könnte es organisier­en oder selber bauen? Und mit Geduld und Beharrlich­keit kristallis­iert sich eine Lösung heraus. Das sind Ereignisse, die Kuba für mich so interessan­t machen. Interview: Sandra Liermann

 ?? Fotos: Bruno Maul ?? In seinem Bildband will der Fotograf Bruno Maul mehr als nur typische Kuba Kli  schees zeigen – denn die Insel hat viel mehr zu bieten, sagt er.
Fotos: Bruno Maul In seinem Bildband will der Fotograf Bruno Maul mehr als nur typische Kuba Kli schees zeigen – denn die Insel hat viel mehr zu bieten, sagt er.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany