Jugendlichen über mehrere Jahre missbraucht
Nach dem Geständnis des Dekans und Nördlinger Stadtpfarrers werden Einzelheiten klar. Das Opfer spricht von mehreren Fällen zwischen 1983 und 1988. Strafrechtliche Konsequenzen drohen dem Geistlichen wohl nicht
Nördlingen Die schockierende Nachricht des vergangenen Sonntags begreifen viele Rieser Gläubige und Weggefährten des in den Ruhestand versetzten Stadtpfarrers Paul Erber noch immer nicht. Der 68-Jährige hat zugegeben, einen Minderjährigen in seiner früheren Wirkungsstätte im Unterallgäu sexuell missbraucht zu haben. Den Gläubigen ist, wie berichtet, die Straftat vor dem Sonntagsgottesdienst vorgelesen worden, aus einem Brief des Bischofs Dr. Konrad Zdarsa. Wie die Staatsanwaltschaft Memmingen mitteilt, ist der Missbrauch am 13. November von der Missbrauchsbeauftragten des Bistums Augsburg angezeigt worden. Das Schreiben des Opfers, mit dem es sich offenbar an das Bistum gewandt hat und das am 6. November eingegangen sein soll, lag bei.
Inzwischen ist bekannt, was konkret vorgefallen sein soll. Wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft Memmingen, Thomas Hörmann, auf Nachfrage unserer Zeitung sagt, hat der Geschädigte angegeben, dass Erber ihn zwischen 1983 und 1988 mehrfach „oberhalb der Kleidung“berührt haben soll, so die Formulierung aus Justizkreisen. Der Jugendliche war also angezogen. Es handelt sich nach weiteren Angaben der Staatsanwaltschaft nicht um schweren sexuellen Missbrauch, also nicht um Geschlechtsverkehr, sondern um sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen. Ob Erber den Jungen in den Räumen des Maristenkollegs in Mindelheim angefasst haben soll oder außerhalb der Schule und des Internats, ist nach Auskunft des Bistums bislang nicht bekannt.
Der Bub soll im Tatzeitraum über 14 Jahre alt gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft bestätigt zudem, dass die Straftat inzwischen verjährt ist. Die Frist habe in diesem Fall bei zehn Jahren gelegen. Die Staatsanwaltschaft kann somit den sexuellen Missbrauch nicht mehr verfolgen.
Seit Montag ist Erber, nachdem er den Stellenverzicht angeboten hatte, von seinem Amt als Stadtpfarrer und Dekan entpflichtet. Der Wallersteiner Pfarrer Jürgen Eichler, bis Sonntag Prodekan, übernimmt kommissarisch das Nördlin- ger Dekanat. Der Oettinger Stadtpfarrer Dr. Ulrich Manz soll die vakante Stelle besetzen, die Eichler zurücklässt.
Welche Strafe den 68-Jährigen vor der Verjährung erwartet hätte, lässt sich unter den teilweise unklaren Umständen noch nicht genau sagen. Klar ist aber, und das sagt Gerhard Schamann, stellvertretender Direktor am Amtsgericht Nördlin- gen: „Solche Handlungen werden heute wesentlich gravierender gesehen als damals.“
Wie die Rieser Nachrichten erfahren haben, soll das Opfer, das nicht mehr in Deutschland lebt, den Fall erst nach Jahrzehnten angezeigt haben, weil es erst jetzt den Mut gefunden habe, um über den Missbrauch zu sprechen.
Der Sprecher des Bistums Augs- burg, Karl-Georg Michel, teilt mit, dass das Bistum im Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger „klare Leitlinien“befolge. Darin sei festgehalten, dass Opfer sexuellen Missbrauchs „besonderer Achtsamkeit bedürfen“. Ein Arbeitsstab sei derzeit auch für den Missbrauchsfall des Nördlinger Pfarrers in Mindelheim eingebunden. Über die kirchenrechtlichen Folgen werde schließlich der Vatikan in Rom entscheiden. Möglich seien kirchliche Strafverfahren.
Am Maristenkolleg gab es weitere Missbrauchsfälle
Der erste Fall von sexuellem Missbrauch, der am Maristenkolleg in Mindelheim öffentlich wurde, stammt aus dem Jahr 2007. Ein Erzieher soll sich mindestens an zehn Jungen vergangen haben. Die Maristen haben allerdings erst 2010 eingeräumt, dass ein Mitbruder 2008 wegen sexuellen Missbrauchs eines Internatsbuben verurteilt worden ist. Beim Täter handelte es sich um den damaligen Leiter des Internats. Die Informationspolitik wurde damals hart kritisiert. Im März 2010 sollen sich nach weiteren Informationen unserer Zeitung weitere Personen bei Behörden und Medien gemeldet haben. Insgesamt zählten die Maristen in einem umfassenden Bericht 25 Personen, die von sexuellem Missbrauch und Gewalt betroffen waren.
Gottfried Wesseli, heutiger Leiter des Maristengymnasiums, ist deutlich anzumerken, wie sehr ihn das alles mitnimmt. „Das verschlägt einem wirklich die Sprache.“Erber arbeitete von 1983 bis 1996 am Maristeninternat und den angeschlossenen Schulen. Dem Leiter zufolge genoss er dort hohes Ansehen.
Auch der Nördlinger Oberbürgermeister Hermann Faul ist bestürzt über die Nachricht und die Gründe für den Amtsverzicht des Dekans, die er schon am Samstag erfahren hat. Einerseits habe er großes Mitgefühl für das Opfer. Andererseits habe er Paul Erber als vertrauensvollen und fleißigen Menschen kennengelernt. „Mir tut das unfassbar leid für den Dekan“, sagt Hermann Faul. Erber habe sich teilweise auch über die Grenzen hinaus für seine Aufgaben eingesetzt und war „ein wichtiger Baustein“. Die Tat sei als solches nicht mehr zu löschen, sagt er weiter. Doch als Christ solle man den „Weg des Verzeihens“gehen.
Wie berichtet, plant die Diözese einen Gesprächsabend, bei dem sich die Gläubigen austauschen können. Ein Termin steht allerdings noch nicht fest. Die Diözese will kurzfristig informieren.