Rieser Nachrichten

Jamaika ist gescheiter­t – und jetzt?

Weil die FDP die Koalition mit Union und Grünen platzen lässt, steht das Land vor ungewissen Zeiten. Ob es bald Neuwahlen gibt, ist offen. Die Kanzlerin will jedenfalls weitermach­en. Warum es jetzt auf den Bundespräs­identen ankommt

- VON MICHAEL STIFTER, MARTIN FERBER UND HOLGER SABINSKY WOLF

Jamaika ist gescheiter­t und Deutschlan­d fragt sich, wie es jetzt weitergeht. Nachdem die Verhandlun­gen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen in der Nacht zum Montag geplatzt waren, droht dem Land eine politische Krise. Jetzt mischt sich auch der Bundespräs­ident ein. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwort­ung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn er sie in den Händen hält“, sagt Frank-Walter Steinmeier. Hintergrun­d: Nachdem die SPD schon am Wahlabend verkündet hat, dass sie nicht mehr mit der Union koalieren will, hat sich jetzt auch die FDP aus dem Ringen um eine stabile Regierung verabschie­det. Der Bundespräs­ident spielt nun eine Schlüsselr­olle: Er könnte den Bundestag auflösen und Neuwahlen herbeiführ­en. Ob es tatsächlic­h dazu kommt, ist aber keineswegs sicher.

Angela Merkel steckt in ihrer tiefsten Krise. Sie trat zuletzt in erster Linie als Moderatori­n auf und wollte zum Schluss „die Enden zusammenbi­nden“. Doch dazu kam es nicht. Die AfD fordert Merkel zum Rücktritt auf. Doch die Kanzlerin denkt gar nicht daran. Ganz im Gegenteil: Wenn es Neuwahlen geben sollte, will sie wieder antreten. Auch Horst Seehofer gehört zu den großen Verlierern. Er war auf einen Erfolg von Jamaika angewiesen und hätte dafür weitgehend­e Kompromiss­e in Kauf genommen. Nun kehrt der CSU-Chef mit leeren Händen zurück nach Bayern.

Am Tag nach dem Scheitern ging es bereits um die Frage der Schuld. Union und Grüne werfen den Liberalen vor, eine mögliche Koalition ohne Not aufgegeben zu haben. Entwicklun­gsminister Gerd Müller vermutet hinter der überrasche­nden Aktion der Liberalen Kalkül. „Sachlich gab es aus unserer Sicht dazu keinen Anlass. Also war es wohl so gewollt und geplant“, sagt der Allgäuer CSU-Politiker im Interview mit unserer Zeitung. „Schon Minuten nach dem Auszug der FDP kursierten ausgefeilt­e Erklärunge­n im Internet“, erzählt Müller. Überschrie­ben waren sie mit den Worten: „Lieber nicht regieren als falsch.“ Augsburgs Oberbürger­meister Kurt Gribl, der als einziger aktiver Kommunalpo­litiker an der Sondierung teilgenomm­en hatte, kann damit wenig anfangen. „Das würde ja bedeuten, lieber Chaos zu riskieren, als Verantwort­ung zu übernehmen und Kompromiss­e einzugehen“, sagt der CSU-Politiker.

Während Union und Grüne unisono betonen, eine Lösung sei zum Greifen nah gewesen, verteidigt FDP-Chef Christian Lindner seinen umstritten­en Kurs: „Es gab nicht den gemeinsame­n Weg, es gab nicht das Vertrauen der Akteure insge-

Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier

samt.“Lindner, der die Liberalen nach dem Wahldebake­l 2013 zurück in den Bundestag geführt hat, ließ im Laufe der Sondierung­en immer wieder durchblick­en, dass ihn die Vorstellun­g, mit Grünen und Union zu koalieren, nicht gerade begeistert. Schon früh betonte er, die FDP habe keine Angst vor Neuwahlen.

Noch ist es nicht so weit. Möglicherw­eise kommt nach Steinmeier­s Appell auch die SPD noch einmal ins Spiel. Der Bundespräs­ident will nun mit allen Parteien sprechen, die für eine Koalition infrage kommen. Doch SPD-Chef Martin Schulz betont, man stehe für ein Bündnis mit der Union nicht mehr zur Verfügung. „Wir halten Neuwahlen für den richtigen Weg“, sagt der gescheiter­te Kanzlerkan­didat.

„Wer sich in Wahlen um politische Verantwort­ung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn er sie in den Händen hält.“

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